Wo die Kunst zum Menschen kommt
Publiziert in 32 / 2010 - Erschienen am 15. September 2010
Mals – Seit Anfang August ist die Marktgemeinde Mals ein musealer Ort. Zumindest, was das Kunstprojekt des Vinschgers Othmar Prenner angeht: Seine Arbeit im öffentlichen Raum greift um sich; über 200 Titel von Bildern des verstorbenen Malser Malers Karl Plattner sind auf Häuserfassaden und Mauern, in Bars, Cafès und öffentlichen Gebäuden zu lesen. Damit fängt das Wirken des Künstlers, der zwischen München und Langtaufers hin- und herpendelt, erst an. Auch seine Idee, in Südtirol eine Artothek zu gründen, hat sich materialisiert: Am 17. September wird sie in der Malser Bibliothek eröffnet. Wenn schon, dann richtig, scheint das Motto zu sein, nach dem er agiert: In Zusammenarbeit mit dem neu gegründeten Kunstverein M10 wird ab dem 17. September das Malser ENAL Kino zwei Wochen lang dem Schlaf entrissen: mit einer täglichen Dosis Musik, Performance und: Prenners Kunst- und Dokumentarfilm über Karl Plattner: „Wer Angst vor dem Tod hat, hat auch Angst vor dem Leben“. Othmar Prenner erklärte dem „Vinschger“ einige gute Gründe für seinen Tatendurst. Wer mehr wissen will, nimmt sich Zeit für einen Spaziergang durch Mals und Laatsch, Schleis und Burgeis.
„Der Vinschger“: Am 17. September stellen Sie die erste Artothek Südtirols in der Malser Bibliothek vor. Woher kommt diese Idee und wie soll sie funktionieren?
Othmar Prenner: Ich überlegte, wo man im Obervinschgau Zeitgenössische Kunst sehen kann. Eine Artothek bot sich als die einfachste aller Möglichkeiten an. Menschen gehen in die Bibliothek (Sitz der Artothek), hier gibt es keine Schwellenangst. Einige nehmen dann ein Werk für drei, vier Monate zu geringen Gebühren mit nach Hause, Familienangehörige, Freunde, sehen das Werk. Vielleicht sind diese daraufhin ebenso inspiriert, sich ein Bild auszuleihen und sich für Zeitgenössische Kunst zu öffnen.
Wie kam es zur Idee, Bildtitel von Karl Plattner an die Wände im Obervinschgau zu malen?
Othmar Prenner: Die Idee stammt von einer älteren Arbeit, die ich in New York machte. Ich fischte Treibholz aus dem Hudson River und schrieb eigene Werkstitel auf das Treibholz. Dann schwamm das Treibholz wie eine Flaschenpost auf dem Fluss weg. Gleichzeitig habe ich dort, wo ich es herausfischte, die Titel auf die Straße oder Mauer gesprüht. Ähnlich ist die Situation in Mals. Es gibt Titel auf Fassaden, Straßen, Innenräumen, aber es gibt Titel auch als Tattoo (kostenlos gestochen von Clockwork Tattoo, Naturns, Anmerkung der Redaktion). Das vergleiche ich jetzt mal: das Treibholz ist unterwegs und das Tattoo ist unterwegs. Die Arbeit hier in Mals mit Plattner Bildtiteln zu machen, hängt damit zusammen, dass die Malser Bevölkerung sich mit Plattner identifizieren kann. Zudem kommt eine wahre Fülle an Titeln. Titel, die mit der Gegend zu tun haben. Wenn man durch Mals läuft, die Titel liest, die Menschen kennt, stellt man fest, dass es immer wieder passt, der Titel dennoch gleichzeitig was Neues erschließt, da er in einen neuen Kontext gestellt wird. Schön, wie über den Titel ein Werk entsteht.
Haben Sie mit diesem Zuspruch von Seiten der Bevölkerung gerechnet?
Othmar Prenner: Ein bisschen rechnete ich damit, dass es funktionieren könnte, dass es allerdings so gut ankommt und die Menschen wirklich Freude damit haben, war überraschend. Schön ist, dass man die Menschen einbeziehen kann und ein Bewusstsein für Zeitgenössische Kunst im Vinschgau schaffen kann. Und dass man einmal etwas macht, was auch funktioniert!
Titel wie ERSCHROCKENE SCHAFE, UNTER ANKLAGE kann man lesen. Sprengen diese Titel nicht den Rahmen dieser Arbeit, da diese Titel durchaus als gesellschaftspolitische Aussage über die Dorfgemeinschaft gelesen werden könnten? War Ihnen das vorher schon bewusst?
Othmar Prenner: Mir war es in diesem Ausmaß nicht bewusst, obwohl ich nicht finde, dass es den Rahmen der Arbeit sprengt. Im Vorfeld waren viele der Meinung, nur die Titel alleine würden nicht funktionieren. Jetzt bestätigt es sich, dass es sehr wohl funktioniert. Menschen kommen jetzt auf mich zu und fragen mich: Wie schaut eigentlich das Bild aus? Denn 90 Prozent derer, die sich einen Titel auswählten, kennen das Bild nicht und haben einen Titel zu ihrer Person oder Situation passend ausgewählt. Der Titel passt, er sagt viel aus und das finde ich wünschenswert.
Der Film „Wer Angst vor dem Tod hat, hat auch Angst vor dem Leben“ ist Ihr Film über Karl Plattner. Ein Dokumentarfilm?
Othmar Prenner: Wir konnten mit Plattner nicht mehr sprechen, suchten Menschen auf, die ihn sehr gut kannten; es gibt beispielsweise ein Telefoninterview mit seiner Frau. Gleichzeitig bezieht sich der Film auf das, was in Mals mit den Bildtiteln passiert. Das war die einzige Chance, vom üblichen Dokumentarfilm wegzukommen; nämlich diese Arbeit in den Film mit einzubauen.
Vom 17. bis 30. September wird Ihr Film über Karl Plattner täglich gezeigt, es gibt jeden Abend Musik, Film, Performance. Was erwarten Sie von diesen zwei Wochen im Malser ENAL Kino?
Othmar Prenner: Ich hoffe, dass Menschen die Möglichkeit wahrnehmen, die Filme anzuschauen, dass sie sich mit den Titeln auseinandersetzen, dass Gespräche stattfinden. Es kann ein Start für die nächsten Jahre sein, der in anderer Form weitergehen könnte, wo andere Künstler eine Plattform bekommen könnten. Ich hoffe, dass dieses Projekt nicht nur akzeptiert, sondern angenommen und unterstützt wird. So sehe ich die Arbeit mit den Titeln sowie die Artothek: Dass man sich keine Gedanken machen muss, „wie und wo kann ich Kunst sehen?“, sondern dass die Kunst zu den Menschen, in ihren Alltag kommt.
Interview: Katharina Hohenstein
Eröffnung der Artothek Mals am 17. 9. 2010 um 18 Uhr
Bibliothek Mals General I. Verdross Str. 36 Mals
Othmar Prenner Ausstellungseröffnung am 17. 9. 2010 um 19 Uhr
Dauer der Ausstellung vom 18. 9. 2010 bis 30. 9. 2010 Öffnungszeiten täglich 15 Uhr bis 20 Uhr
ENAL Kino / Peter Glückh Platz / Mals
M10/ReVoLtEkk „Die Verschwörung“ Musik, Kunst und Performance
Vom 17. 9. 2010 bis 30. 9. 2010
ENAL Kino / Peter Glückh Platz / Mals
„Wer Angst vor dem Tod hat, hat auch Angst vor dem Leben“ Dokumentar – und Kunstfilm, 30 min., HD (1920x1080 25p) Farbe/BW 2010, KAZUKA Film / Othmar Prenner, täglich vom 18. 9. 2010 bis 30. 9 2010
ENAL Kino / Peter Glückh Platz / Mals
Projektion Bildtitel Karl Plattner 3. 12. 2010 von 18 Uhr bis 21 Uhr; Medienfassade Museion Bozen

Katharina Hohenstein