„Eppas holzas hots sein gmiaßt“

Publiziert in 7 / 2008 - Erschienen am 27. Februar 2008
Langtaufers – Manager, Programmierer, Computer­ingenieure sind Berufe, die den jungen Generationen durchaus ein Begriff sind. Fragt man sie aber nach der Arbeit eines „Reidamochrs“ blickt man in verdutzte, verständnislose Gesichter. Das kommt daher, dass es dieses Handwerk nicht mehr gibt. Johann Fliri hat den Beruf des „Reidamochers“ noch erlernt und ausgeführt. Der Langtauferer ist allerdings alles andere als ein antiquiertes Fossil aus längst vergangener Zeit, sondern ein rüstiger und lebenslustiger 84-Jähriger, der gerne einen Einblick in seine Arbeit gewährt. Die letzten Strahlen der Nachmittagsonne fallen durch das Stubenfenster auf einen Holzstuhl, auf dem ein eher kleiner, weißhaariger Mann sitzt. Die relativ breiten, abgearbeiteten Hände liegen ruhig auf den Knien, der Blick wirkt konzentriert, als der „Schuastr-­Johann“ zu erzählen beginnt. Ein „Reidamochr“ habe Wagen, Schlitten, Arbeitsjoche, Kutschen, eigentlich alle landwirtschaftlichen Arbeitsgeräte aus Holz angefertigt. „Doch heute braucht es ihn nicht mehr, mit der Modernisierung ist dieses Handwerk gestorben“, sagt Fliri mit einem leichten, kaum merklichen Anflug von Wehmut in der Stimme. Die Lehre konnte der Langtauferer erst mit Mitte Zwanzig beginnen, vorher musste er im Zweiten Weltkrieg dienen. Sein Bruder war begeisterter Landwirt und handwerklich vollkommen ungeschickt. So dachte sich Fliri, „lerne eben ich“. Sein Traumberuf war eigentlich der des Kunstschmiedes; doch zur damaligen Zeit war es unmöglich, einen Ausbildungsplatz in diesem Bereich zu finden. „Eppas holzas hots sein gmiaßt“, meint der Langtauferer mit lachender Stimme, die für den eher kleiner Mann ziemlich gewaltig klingt. Tischler wollte er keiner werden, er zog das gebogene und bucklige Holz den linearen Formen vor. Begonnen hat er seine Ausbildung in Graun, doch dann musste sein Meister auswandern und er setzte die Lehre in Laas fort. Der Betrieb war renommiert und Johann Fliri konnte viel sehen und lernen. „Wir stellten auch Baugeräte für Firmen her, wie beispielsweise Zieh- und Rollwagen und Rossfuhrwerke für Maurerfirmen“, erzählt er sichtlich stolz. Nach dem Ende der Lehre machte sich Fliri selbstständig. Zuerst musste er bauen, Haus mit Werkstatt. Vieles am Haus habe er selbst gemacht, berichtet der „Reidamochr“ stolz, während er mit seiner Hand eine Bewegung in Richtung Fenster macht. Eine Zeit lang lief das Geschäft gut, er machte zahlreiche Hornschlitten zum Holzziehen, Ackergeräte und Pflüge. Seine Arbeitsphilosophie hat er vom Meister übernommen: Ein „Reidamochr“ muss wissen, wie mit einem Gerät gearbeitet wird, um es gut und qualitativ hochwertig herstellen zu können. Und da die Familie auch immer schon Landwirtschaft hatte, konnte er dieses Motto sehr gut umsetzen. Hergenommen werden konnte aber nicht ein jedes Holz, „nur Laubholz war geeignet“, weiß der Fachmann. Jedes Jahr habe er einen Wagen Laubholz von den Unterländer Bauern gekauft. Doch mit dem Aufkommen der Traktoren stagnierte das Geschäft zunehmend. Holzschlitten wurden noch eine Weile hergestellt, doch mit der Anlegung der Waldwege wurden auch diese überflüssig. „Die Umwälzung kam so schnell, ich blieb auf den halbfertigen Geräten sitzen“, berichtet Johann Fliri nachdenklich und macht eine schnelle Handbewegung, als wollte er diesen Gedanken schnell wieder wegwischen. Doch dann wird sein Blick wieder fest und den Mund umspielt erneut das typische, jungenhafte Schmunzeln, mit dem er schon die ganze Zeit über erzählt. „Eine Weile hab ich dann auf Tischlereiarbeiten umgestellt, aber dafür hätte ich eine geräumigere Werkstatt und große Maschinen gebraucht.“ Doch als die Furnierarbeit modern wurden, konnte er der Tischlerei nichts mehr abgewinnen. „Da sind zu viele fremde Materialien drinnen. Mir hat nur Massivholz getaugt, in dem steckt ganz anderes Leben,“ betont Fliri. Um seine Begeisterung zu untermauern, gestikuliert der „Schuastr-­Johann“ mit seinen Händen und fährt sich manchmal durch die widerspenstigen weißen Haare. „Die halbfertigen Geräte hab ich alle zu Brennholz verarbeitet, die brauchten bloß unnötigen Platz“, erzählt Fliri realistisch und gefasst. Von seinem Werkzeug konnte er sich allerdings nicht trennen, obwohl die speziellen Geräte für keine anderen Arbeiten herangezogen werden konnten. „An Roudstockbohrer oder Zopfhoubl braucht ma holt amol fir nichts ondrs“, erklärt der „Reidamochr“. Die teuren, äußerst robusten Werkzeuge bekam er hierzulande nicht zu kaufen, die musste er sich aus Österreich „beschaffen“. Eine zeitlang fertigte er noch Särge für die verstorbenen Langtauferer an. Doch dafür hätte er, ebenso wie für die Herstellung der Räder eine separate Lizenz gebraucht. Daraufhin hat er das Gewerbe abgemeldet, denn „so viel lag da nicht mehr drinnen“. Schon davor ging er arbeiten und verdiente sich auch mit der Landwirtschaft etwas dazu. Heute stellt er nun noch Stiele und andere Kleinigkeiten an. Mittlerweile ist der 84-Jährige wohlverdienter Pensionist. Seine Finger umfassen die weiße Tasse, in der der heiße Tee dampft. Sein Blick ist auf den Tisch gerichtet, einen Moment schweigt er, dann meint er lächelnd: „heint hupf i nimma groaß auf.“ Doch Johann Fliri sieht man sein Alter nicht an. Er hält sich durch tägliches Spazieren gehen, Ski fahren, Rad fahren und seine Leidenschaft für die Imkerei jung. Wenn er von seinen Bienen erzählt leuchten seine Augen. Aber noch stärken funkeln sie, wenn der „Reidamochr“ von den Tanzabenden in seiner Jugend und besonders von seinen Enkeln erzählt. Dann liegt ein seliges Grinsen auf seinem Gesicht und seine ganze Freude und sein Können am Erzählen werden noch deutlicher. Auch wenn die Sonne mittler­weile längst untergegangen ist und seine Arbeit als ­„Reidamochr“ bereits lange der Vergangenheit angehört, steht der lebenslustige Langtauferer mit beiden Beinen fest in der Gegenwart, genießt seinen Lebensabend und lässt uns an seinen Erfahrungen und Erinnerungen teilhaben. Simone Stecher
Simone Stecher

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