„Die Sehnsucht war immer da“
Wie Isabel ihre leibliche Mutter fand
Familienfoto am Watles: Isabel mit den Adoptiveltern Rosalinde Thöni und Peter Lintner, sowie mit Giulia, Adriana und Daniel.
Seit dem „Haflinger Festival“ unzertrennlich: Isabel Lintner und Dietmar Gander.
Isabel Lintner mit ihrer Tochter Giulia, ihrem Bruder Daniel und ihrer leiblichen Mutter Adriana.

„Sie hat nichts falsch gemacht“

1991 kam Isabel Lintner als Adoptivkind von Brasilien nach Südtirol.Erstes Wiedersehen mit der leiblichen Mutter in Schluderns.

Publiziert in 16 / 2024 - Erschienen am 10. September 2024

Schluderns/Agums - 19 Jahre alt, alleinstehend mit einem zweijährigen Kind, arm und erneut schwanger: In dieser Lage befand sich Adriana Dantas im Herbst des Jahres 1990. Sie fristete in Linhares, einer Küstenstadt im Bundesstaat Espírito Santo im Südtosten Brasiliens, ein schwieriges und hartes Dasein, wie man es sich in unseren Breitengraden nur schwer vorstellen kann. Weil sie sich außerstande sah, ohne Mann – dieser hatte sich aus jeglicher Verantwortung gestohlen – und ohne jegliche anderweitige Unterstützung ein zweites Kind aufzuziehen, fasste sie schweren Herzens den Entschluss, ihr Töchterchen Isabel, das am 15. Dezember 1990 geboren wurde, zur Adoption freizugeben. Seit dem Februar 1991 lebt Isabel Lintner in Südtirol, ist selbst Mutter einer 15-jährigen Tochter, arbeitet als Zahnarztassistentin in Schluderns und ist seit dem „Haflinger Festival“, das heuer vom 31. Mai bis zum 2. Juni in Schluderns stattgefunden hat, die Partnerin von Dietmar Gander aus Agums.

„Meiner leiblichen Mutter blieb nur dieser Ausweg“

Im Haus von Dietmar Gander, der übrigens seit fast 11 Jahren bei der Lasa Marmo in Laas arbeitet und ein leidenschaftlicher Hobbyfotograf ist, dauert es nicht lange, bis Isabel zum Taschentuch greifen muss, um die ersten Tränen abzuwischen. Die Entscheidung ihrer leiblichen Mutter, sie sofort nach der Geburt zur Adoption freizugeben, sei richtig gewesen: „Sie hat nichts falsch gemacht und das Beste getan, um mir eine gute Zukunft zu schenken.“ Sie sei gezwungen gewesen, diese Entscheidung zu treffen, denn sie habe keine andere Möglichkeit gehabt. „Sie musste diesen Weg gehen und braucht sich daher keine Vorwürfe zu machen.“ Isabel hätte ihr das schon immer gerne selbst gesagt, doch das war unmöglich, denn es gab keine Kontakte mehr zu Adriana in Brasilien. Dass sie ein Adoptivkind ist und in Brasilien geboren wurde, „haben mir meine Eltern schon als Kind erzählt“, sagt Isabel. Auch dafür ist sie ihren Adoptiveltern, Rosalinde Thöni aus Burgeis und Peter Lintner vom Ritten, bis heute dankbar. Isabel besuchte den Kindergarten und die Grundschule in Klobenstein, die Internatsschule Mariengarten in St. Pauls und absolvierte anschließend die Ausbildung zur Zahnarztassistentin in Bozen. In den Vinschgau kam sie durch die Beziehung mit einem Latscher. Vor 15 Jahren wurde ihre Tochter Giulia geboren. Seit rund 6 Jahren arbeitet und wohnt Isabel zusammen mit ihrer Tochter in Schluderns.

„Die Sehnsucht war immer da“

Nie abgebrochen ist Isabels Sehnsucht nach ihrer leiblichen Mutter und ihren Wurzeln in Brasilien: „Meine Eltern haben zwar alles unternommen, um einen Kontakt zu meiner leiblichen Mutter herzustellen, aber es war leider nicht möglich, sie ausfindig zu machen.“ Rosalinde und Peter Lintner hatten Adriana zwar im Februar 1991, als sie die zwei Monate alte, zur Adoption freigegebene Isabel in Brasilien abholten, kennengelernt, doch später gab es keine Möglichkeit mehr, mit Adriana Kontakt aufzunehmen. Rosalinde und Peter hatten der leiblichen Mutter damals versprochen, alles zu tun, um der kleinen Isabel ein gutes und schönes Leben zu ermöglichen. „Und genau das haben meine Eltern auch getan“, blickt Isabel dankbar zurück und greift zu einem weiteren Taschentuch. Als Giulia auf die Welt kam und Isabel selbst Mutter wurde, „ist die Sehnsucht nach meiner leiblichen Mutter noch mehr gewachsen.“

Julia Leischik suchte und hat gefunden

Nachdem alle Versuche, ihre leibliche Mutter in Brasilien auszuforschen, erfolglos blieben – „wir haben es auch über Internet und die sozialen Medien versucht“ –, wandte sich Isabel 2016 an das Team der SAT.1-Fenrsehserie „Julia Leischik sucht - Bitte melde Dich“. Es hat zwar rund 3 Jahre gedauert, aber 2019 wurde Isabels E-Mail beantwortet. Julia Leischik nahm sich des Falles an und lud Isabel für ein Erstgespräch nach Köln ein. Dann ging es Schlag auf Schlag. Julia Leischik entsandte ihren Mitarbeiter Lukas nach Brasilien, während sie sich selbst in Südtirol, Trient und Verona auf Spurensuche begab. Lukas stieß in Brasilien bei den Behörden auf viele Hürden, weil er zwar den Namen von Adriana kannte, nicht aber das Geburtsdatum. Um dieses herauszufinden, kontaktierte Julia Leischik indessen vier ehemalige Richter und Richterinnen, die seinerzeit am Gericht in Trient die Adoption von Isabel beglaubigt hatten.

Schwierige Spurensuche

Trotz intensiver Suche und Recherche blieben Julias Bemühungen erfolglos. Mehr Glück hatte indessen Lukas in Brasilien. Dank des Einsatzes eines Polizisten gelang es ihm, den Wohnort und die Adresse von Adriana ausfindig zu machen. Die Frau war in der Zwischenzeit von Linhares nach Vila Velha bei Vitória gezogen. Vitória ist die Hauptstadt des Bundesstaates Espírito Santo und bildet zusammen mit ihrer Zwillingsstadt Vila Velha eine große Metropolregion. Adriana und ihr Sohn Daniel, der 10 Jahre jünger ist als seine Schwester Isabel, brachen in Tränen aus, als ihnen Lukas Fotos von Isabel, ihren Adoptiveltern und ihrer Tochter Giulia zeigte. Isabel wusste zu dieser Zeit noch nichts von all dem. Ihr war zwar bekannt, dass sie einen um zwei Jahre älteren Bruder hat, Jonathan, nicht aber, dass in der Zwischenzeit zwei weitere Geschwister geboren sind, nämlich Daniel sowie Daniela, die nur ein Jahr älter ist ihre Tochter Giulia. Groß waren die Hoffnungen von Isabel nicht, als ihr Julia Leischik mitteilte, dass sie mit ihrem Team nach Schluderns kommen möchte, um erneut ein Interview zu führen, weil bei den Aufnahmen in Köln etwas nicht gut funktioniert haben soll.

„Und da standen sie plötzlich vor mir“

Als ihr Julia aber in ihrer Wohnung in Schluderns eröffnete, dass es gelungen sei, ihre leibliche Mutter zu finden, war Isabel überglücklich. Toppen ließen sich ihre Gefühle nur mehr durch eine Sache, die dann auch tatsächlich geschah: Julia Leischik führte Isabel aus dem Haus und da standen sie plötzlich vor ihr: ihre leibliche Mutter und ihr Bruder Daniel. „Dass ich nur wenige Worte Portugiesisch spreche, spielte da keine Rolle mehr“, sagt Isabel und braucht jetzt zum dritten Mal ein Taschentuch. Lange hat es gedauert, bis sich Adriana, Isabel und Daniel von den Umarmungen lösten.

„Mein Herz war immer traurig"

Dem SAT.1-Team verriet Adriana, dass sie unter der Entscheidung, Isabel zur Adoption freizugeben, vom ersten Tag an gelitten hat: „Ich habe mir das nie richtig verzeihen können, das Herz tat mir immer weh.“ Mehrfach forderte Adriana ihre Tochter auf, mit ihr nach Brasilien zu fliegen und für immer dort zu bleiben. „Es ist alles schön hier, auch die Berge, aber ich kann ohne das Meer nicht leben,“ sagte Adriana zu ihrer Tochter, die sie ihrerseits gefragt hatte, ob sie sich nicht ein Leben in Südtirol vorstellen könne. Nach dem Wiedersehen in Schluderns wollte Isabel nach Brasilien reisen, um ihre Ursprungsfamilie und ihre Wurzeln näher kennenzulernen. Daraus wurde aber nichts, weil die Corona-Zeit anbrach. Nun trägt sie sich mit dem Gedanken, zusammen mit ihrem Partner Dietmar Gander nach Brasilien zu reisen. Dieser räumt mittlerweile die Marendteller ab und meint: „Warum nicht?“. Sehr zufrieden ist Isabel, dass ihre Mutter eine Arbeit hat, glücklich verheiratet ist und im Gegensatz zu ihrer Jugendzeit schon seit vielen Jahren gut leben kann. Ein „Glück von oben“ sieht Isabel auch darin, dass ihren Eltern nach der Adoption ganz unverhofft zwei leibliche Kinder geschenkt wurden: 1992 kam Alexa auf die Welt und 1995 Susanne. Detail am Rande: Auch Daniel und Adriana hatten in der Vergangenheit mehrfach von Brasilien aus versucht, mit Isabel in Kontakt zu kommen, was aber nie gelungen ist. Mittlerweile sind sie und weitere Familienmitglieder mit Isabel zwar nicht physisch, aber umso öfter „virtuell“ zusammen.

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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