Mehr als nur Holz
Ludwig Pertl: „Es braucht mehr Wertschätzung für all das, was die Wälder leisten.“
Schlanders - Steigende Temperaturen, Hitzeperioden, Wetterextreme, Stürme, Schneedruckschäden und seit 2021 ein starker Borkenkäfer-Befall: Die Wälder stehen seit Jahren unter Druck. Dass auch viele Waldbestände im Vinschgau betroffen sind, zeigte sich einmal mehr bei der Tagung „Wald der Zukunft“, zu der das Forstinspektorat Schlanders und die Gemeinde Schlanders am 5. Juni eingeladen haben. Die Kernfrage, mit denen sich Förster und Försterinnen, Vertreter von Eigenverwaltungen, Gemeinden und der Jägerschaft sowie weitere Interessierte bei einem Fachreferat im Kulturhaus und bei anschließenden Besichtigungen am Nördersberg und am Sonnenberg oberhalb von Kortsch befassten, war jene, was zu tun ist, um die Wälder an den Klimawandel anzupassen. „Es geht darum, die Wälder fit für die Zukunft zu machen“, schickte die Gemeindereferentin Christine Kaaserer voraus, die den ehemaligen Revierförster und Fachmann Ludwig Pertl als Gastreferenten begrüßen konnte.
„Klimawandel ist nicht nur graue Theorie“
Über den derzeitigen Zustand der Wälder im Vinschgau informierte einleitend Georg Pircher, Amtsdirektor am Forstinspektorat Schlanders. „Es wird seit Jahren wärmer und Wetterextreme häufen sich“, so Pircher. So ist etwa die Jahresmitteltemperatur in Schlanders im Zeitraum von 1970 bis 2020 von 10 auf 11 Grad gestiegen. Rückblickend auf die vergangenen Jahre erinnerte der Forstinspektor auf das fast schon vergessene Föhrensterben: Im Winter 2016/2017 war es außergewöhnlich trocken, im Dezember 2016 gab es so gut wie keinen Niederschlag und der März 2017 ging als der zweitwärmste März in die Wettergeschichte ein. Wetterextreme wie der Sturm „Vaia“ (2018) sowie außergewöhnlicher Schneedruck im November 2019 und im Dezember 2020 haben zu gewaltigen Schadholzmengen geführt und waren mit ausschlaggebend für den massiven Borkenkäferbefall, der 2021 einsetzte. Zurzeit sind landesweit mindestens 16.000 Hektar Fichtenwälder betroffen, was in etwa 4,7 Prozent der Waldflächen entspricht. Die Schadholzmenge bezifferte Georg Pircher mit ca. 10 Millionen Vorratsfestmetern. Besonders besorgniserregend sei, dass sich rund ein Drittel von 5 Millionen Vorratsfestmetern im Objekt-Schutzwald befindet. Der Klimawandel führe zu einem doppelten Problem: „Trockenheit und Hitze schwächen die Wälder und begünstigen damit die Insektenentwicklung“.
Für weniger Nadelholz
Dem Klimawandel die Stirn bieten kann man laut Ludwig Pertl mit einem nachhaltigen und zukunftsorientierten Waldumbau. Wie das konkret funktionieren kann, erläuterte er anhand des EU-Pilotprojektes „LIFE Future Forest“ in der Region um Landsberg am Lech im Südwesten von Bayern, an dem der Fachmann von Beginn an federführend mitgewirkt hat. In Kaufering im Landkreis Landsberg, wo vor rund einem Jahr eine Delegation aus Schlanders mit Vertretern der Gemeinde und der Forstbehörde zu Gast war, wird schon seit Jahren versucht, den Fokus auf das Bodenmanagement und auf Verbesserungen der Ökosystemleistungen der Wälder zu legen. Eins zu eins vergleichbar seien die Wälder im Raum Landsberg mit den zum Großteil alpinen Wäldern, wie es sie im Vinschgau und ganz Südtirol gibt, zwar nicht, „aber die Probleme sind ähnlich, in erster Linie aufgrund des Klimawandels“, so der Experte. Eines der größten Probleme in seiner Heimatregion sei, dass die Wälder bis zu 80 und mehr Prozent nadelholzgeprägt seien. Der Wald dürfe nicht ausschließlich auf Themen wie Holznutzung, Holzpreis und Vermarktung reduziert werden, „denn der Wald erbringt Ökosystemleistungen, die der gesamten Gesellschaft zugutekommen.“ Es gehe letztendlich um Menschenschutz.
Der Wald als „Wassermacher“
Der Wald binde zwar auch CO2, sein Wert gehe aber viel weiter. So sei er u.a. auch ein „Wassermacher“. Über 60 Prozent des Trinkwassers komme aus den Wäldern. Ebenso bedeutend sei die Kühlleistung der Wälder. Weil Nadelholzreinbestände mit ihren „toten Böden“ nicht imstande sind, Ökosystemleistungen zu erbringen, wie sie angesichts des Klimawandels immer dringlicher werden, müsse ein nachhaltiger Waldumbau in Richtung laubholzreiche Dauerwälder erfolgen. Ludwig Pertl: „Der Waldboden ist ein entscheidender Faktor, der immer im Auge zu behalten ist.“ Wert zu legen sei speziell auf heimische Laubbaumarten, weil diese mit ihrem regenwurmfreundlichen Laub und dem hohen Feinwurzelanteil den Aufbau und die Gesundheit des Bodens stärken. „Der Boden ist wie ein Darm. Um seine Funktion erfüllen zu können, muss er hoch lebendig sein“, gab sich Ludwig Pertl überzeugt. Er informierte über Maßnahmen, die im Rahmen des dreijährigen Projektes „LIFE Future Forest“ mit Ausgaben in Höhe von rund 1,4 Millionen umgesetzt wurden. Ziel war es, bestehende Waldbestände in laubholzreichen Dauerwälder umzuwandeln und dadurch die Klimaresilienz der Städte und Gemeinden im Landkreis zu fördern. Sowohl Gemeinden mit Waldanteil im Landkreis als auch Privatwälder wurden in das Projekt miteinbezogen. Auch ein Leitfaden für Gemeinden, Planer, Naturschützer und Waldbewirtschafter wurde erstellt.
Mehr Wertschätzung eingefordert
Mehrfach hingewiesen hat Ludwig Pertl darauf, dass es eine viel stärkere Wertschätzung für die vielfältigen Leistungen der Wälder braucht. Die Politik sei in diesem Sinn ebenso gefordert, wie die Gesellschaft insgesamt. Auch die Gemeinden sollten aktiv werden, die Jägerschaft, die Schulwelt und weitere öffentliche Institutionen und Bildungseinrichtungen. Ebenso klar ist für den Fachmann, dass Waldbesitzer für die Ökosystemleistungen ihrer Wälder finanziell belohnt werden sollten bzw. dass finanzielle Anreize für nachhaltige Waldumbau-Maßnahmen in Aussicht zu stellen seien. Die zum Teil fehlende Wertschätzung den Wäldern gegenüber sowie die unzureichende finanzielle Förderung von zukunftsorientierten Umbaumaßnahmen waren nur zwei von vielen Themen, über die im Anschluss an die Tagung bei der Besichtigung der Bestandsfläche „Blasenegg“ am Nördersberg diskutiert wurde. Auf „Blasenegg“ wurden in den Sommermonaten 2022 und 2023 nach dem Borkenkäferbefall von 2021 rund 4 Hektar Fichtenwald gerodet. Die Flächen gehören der Gemeinde Schlanders. Wie Klaus Bliem, der Leiter der Forststation Schlanders, informierte, fiel eine Schadholzmenge von rund 1.000 Kubikmetern an. Mittlerweile sei auf der Fläche bereits eine relativ starke natürliche Waldverjüngung zu beobachten. Zusätzlich zur „Arbeit“ der Natur sei geplant, heimische Laubbaumarten zu pflanzen. Auch Baumfeste mit Kindern werde es in Zukunft auf „Blasenegg“ geben. Der Einfall von Wild halte sich in Grenzen, „weil die Gegend hier stark felsdurchsetzt ist.“ Von Kahlschlägen derart großer Ausmaße rät Ludwig Pertl ab.
Es braucht auch Geld
Zum Thema finanzielle Unterstützung warf Georg Pircher die Frage in den Raum, warum die EU angesichts der vielen Leistungen der Wälder nicht auch gezielte Förderungen für Waldumbauarbeiten vorsieht. Das Thema der finanziellen Förderung seitens der Gemeinden brachte Helmuth Oberkofler vom Landesamt für Forstplanung aufs Tapet: „Würde zum Beispiel ein Gemeinderat eine Förderung von 100.000 Euro für den Wald diskussionslos genehmigen?“ Christine Kaaserer meinte dazu, „dass es sicher zu Diskussionen kommen würde.“ Andreas Platter, der stellvertretende Leiter des Forstinspektorates Schlanders, gab zu bedenken, dass Fernheizwerke teilweise billiges Holz aus dem Ausland zukaufen, anstatt auf heimisches Käferholz zurückzugreifen. Auf diese Thematik und weitere Probleme verwies auch Hannes Ille, der neue Präsident der Fernheizwerk Schlanders GmbH sowie Vertreter der Eigenverwaltung Vetzan. Das Ziel, möglichst heimisches Schadholz einzusetzen, dürfe nicht aus den Augen verloren werden. Bei einer weiteren Besichtigung der Bestandsfläche „Rossladum“ in Kortsch stand die seit den 1990er-Jahren laufende Umstrukturierung von Schwarzföhrenforsten in laubholzreiche, naturnahe Mischwälder im Mittelpunkt.