Was Orte mit uns machen
Der Topophilia-Effekt in der Tschenglsburg. Warum Räume unser Leben beeinflussen.
Tschengls - „14 Jahre Tschenglsburg sind auch eine Erfahrung, wie man einem Ort eine Bedeutung geben kann“, unterstrich Kulturwirt Karl Perfler zu Beginn des Vortrags von Roberta Rio. Die aus Triest stammende und schon lange in Österreich lebende promovierte Historikerin und Buchautorin referierte in der Tschenglsburg zum Thema: „Topophilia-Effekt und wie Orte/Räume auf uns wirken und uns beeinflussen“. Zwei Tage vor ihrem Besuch in Tschengls war sie im Dorfmoar in Naturns zu Gast. Die Wahl der Orte komme nicht von ungefähr, schließlich handle es sich um besondere Orte und eine besondere Umgebung. Ohnehin komme sie immer wieder gerne in den Vinschgau, „seit 25 Jahren“, betonte Roberta Rio. Sie sei vertraut mit dem Tal. In der Tschenglsburg, die sie erstmals besuchte, gebe es „viel Geschichte und viele alte Mauern“. Um eine Deutung zu machen, sei es zwar noch zu früh, aber „es gefällt mir hier total gut“.
„Liebe zum Ort“
Um Deutungen geht es im Topophilia-Effekt und zwar, wie der Titel des Vortrags schon sagte, darum, wie Orte auf uns wirken. „Räume beeinflussen unser Leben. Jahrtausendelang war das Teil des Menschheitsbewusstseins“, erklärte die Historikerin. Mit der Deutungshoheit der Naturwissenschaften sei dieses Wissen allmählich verschwunden. Beim sogenannten Topophilia-Effekt handle es sich um eine Methode, die dabei helfen könne, die Ortsentwicklungen neu zu denken, indem der „Genius Loci“, sozusagen der Geist des Ortes, verstärkt einbezogen wird. Der Begriff „Topophilia“ stammt aus dem Griechischen („topos“ = Ort, „philia“ = Liebe) und bedeutet wörtlich „Liebe zum Ort“. Der Effekt beschreibt, wie Orte unsere Emotionen, unser Wohlbefinden und sogar unsere Gesundheit beeinflussen können. Laut Rio kann der Topophilia-Effekt dazu beitragen, dass Menschen sich an bestimmten Orten besonders wohl, inspiriert oder auch geheilt fühlen. Es gehe darum, nach der Geschichte eines Ortes zu forschen, um zugrundeliegende Muster darin zu erkennen. „Was ist dort immer wieder passiert und wird deshalb mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft wieder passieren?“, fragte Rio. Letztendlich gehe es um statistisches Datenmaterial. Als Beispiel nannte sie in der Tschenglsburg einen Auftrag, den sie von einem Ehepaar erhalten hatte: Dieses war im neuen Haus immer wieder in Streit geraten. In den Forschungen kam schließlich zutage, dass sich hier früher ein Gerichtsgebäude befunden hatte, wo unter anderem regelmäßig Ehen geschieden wurden. Weiters berichtete die Vortragende über Geschäfte, wo es immer wieder Wechsel gebe, über Orte, wo aus unerklärlicher Ursache nichts wachse und gedeihe. Auch Hippokrates habe bereits geraten, bei chronischen Krankheiten den Ort zu wechseln.
Verlernt, demütig zu sein
Das Thema der Orte sei eine Grenze zwischen Wissenschaft und Spiritualität. Roberta Rio sei dabei auch viel mit dem Gefühl unterwegs. „Es gilt Brücken zu bauen zwischen altem Wissen und der Wissenschaft“, erklärte sie. Ihre historisch-intuitive Methode hatte sie erstmals 2011 an der Universität von Glasgow präsentiert. „Vielleicht ist es nicht immer messbar, aber Liebe ist auch nicht immer messbar und doch existiert sie“, unterstrich die Vortragende. Der Begriff mit „Liebe zum Ort“ passe auch deshalb bestens. Im Gegensatz zu früher habe die Menschheit heute oft verlernt, demütig zu sein, was Orte und Natur betrifft. Ihre Forschungen und Erkenntnisse zum Topophilia-Effekt hat Roberta Rio unter anderem im Bestsellerbuch „Der Topophilia-Effekt: Wie Orte auf uns wirken“ zusammengefasst.
