Denkmalpfleger an der Gebirgsfront
Der Ortler Sammelverein Erster Weltkrieg und Amtsdirektorin Waltraud Kofler Engl an der Ortler-Front
Prad - Eine Filmpremiere war angekündigt und der Raiffeisensaal im „aquaprad“ hatte sich gefüllt. Nur einige Verlegenheitsplätze in den ersten Reihen blieben frei. Kulturreferent Kurt Agethle begrüßte und hatte seine Freude am augenscheinlichen Interesse. Als Vorsitzender des Ortler Sammelvereins entdeckte Moderator Gerald Holzer viele neue Gesichter und nutzte diese Möglichkeit, seinen Verein vorzustellen. Ursprünglich sei das Sammeln im Vordergrund gestanden. Ausgelöst habe das Ganze eine Ausstellung in „naturatrafoi“ 2005. Nach der Vereinsgründung ein Jahr später habe man begonnen, die Geschichte der Ortler-Front aufzuarbeiten und zu dokumentieren. So geschehen über Wanderungen, Vorträge und Ausstellungen. Seit aber feststeht, dass Überreste des 1. Weltkrieges archäologische Funde sind (2007), wurde das Sammeln auf eine neue Ebene gehoben. „Nachdem sich das Landesamt für Archäologie nur zögernd auf den neuen Aufgabenbereich einließ, entwickelte sich im Verein das Bedürfnis zu bergen, zu dokumentieren, zu fotografieren, zu archivieren und zu konservieren“, erklärte Holzer. Es sei höchst an der Zeit, denn Touristen und Sammler diesseits und jenseits der Grenze zur Lombardei seien dabei, Vieles wegzutragen, so Holzer sinngemäß.
Durch die Film-Technik mit Video wurde die Beschäftigung mit der Ortlerfront um Dimensionen erhöht. Eberhard Reinstadler aus Sulden entwickelte sich zum erfahrenen Dokumentarfilmer. „Tuckettspitze und Hintere Madatsch“ wurde sein 4. Film. Das „Kino-Publikum“ aus Prad und Stilfs war jedes Mal nicht nur durch spektakuläre Landschaftsaufnahmen beeindruckt, sondern vor allem durch die professionell verwendet Filmmusik und die Original-Aufnahmen aus der Zeit um 1916. Die Texte der Historikerin Melanie Platzer aus Außersulden waren jedes Mal prägnanter und eindringlicher. Die angenehme Moderation von Franz Angerer, ein gebürtiger Suldner, und der Wechsel zu Zitaten aus den Erinnerungen von Rayonskommandant Freiherr von Lempruch durch Christoph Anstein aus Glurns überzeugten. Der Film konnte entstehen, weil die für Bodendenkmäler zuständige Amtsdirektorin Waltraud Kofler Engl angeregt hatte, einen Vermessungstrupp per Hubschrauber an die ehemalige Gebirgsfront zu schicken. Das filmische Ergebnis dieser „Zufallsexkursion“ war gewaltig. Reinstadler eröffnete seine Produktion dramatisch mit der Lawinenkatastrophe am Kleinboden. Es folgten gekonnt in Szene gesetzt Hubschrauberlandung, atemberaubende Landschaftsaufnahmen und das Begehen von Artilleriestellungen und Baracken durch Frau Kofler Engl unter der Führung von Gerald Holzer, Christian Mazagg und Arnold Kuntner. Die Denkmalpflegerin zeigte sich interessiert und trittfest auch auf 3.400 m über dem Meer. Es wurden die Schwierigkeiten der Vermesser und die Möglichkeiten einer digitalen Vermessung bis zum 3-D-Modell gezeigt und besprochen. Auflockernd und die Spannung hochhaltend wirkten die Einschübe von zeitgemäßen Aufnahmen, deren Belebung durch den Computer, die Geräuschkulisse mit Kanonendonner, Sturmböen und dazwischen der Hinweis auf den Tod zweier Tiroler Sammler nach einem Munitionsfunde.
Nach der Vorführung führte die Historikerin Melanie Platzer in ein besonderes Fundstück von der Ortlerfront ein. Das von Olaf Reinstadler entdeckte „Marodenbuch des Standschützenbattaillons Glurns“ und dessen Transkription durch Manfred Haringer seien die Quellen für ihre Diplomarbeit an der Universität Innsbruck gewesen. Das Büchlein in prekärem Zustand sei eine Art Kranken-Statistik mit Dienstgrad, Name, Krankheit und ärztlichem Befund mit Diagnose. Es erfasse die Zeit vom Mai bis 29. Oktober 1915 und vom 12. Mai bis 25. Dezember 2016. Von Abschürfung bis Rheuma, von Abszess bis Zahnbehandlung reichten die Beschwerden. Daraus habe sie u.a. die These formuliert, „dass nicht die militärischen Gegner, sondern die lebensfeindlichen Umstände im Hochgebirge die größten Feinde waren“. Franz Angerer berichtete von Funden im eigenen Haus in Sulden, die zum Teil in einer kleinen Ausstellung in „aquaprad“ zu sehen seien. Er begrüßte Sebastian Marseiler, Autor des Buches „Zeit im Eis“ (1999), und erinnerte an dessen Frage: „Wie haben die das damals ausgehalten?“ Eindringlich war sein Appell an die Besucher, sich auf allen Ebenen für das Vorhaben des Vereins einzusetzen, in der Straßenfestung Gomagoi ein Museum einzurichten.