Frauen vor!
„Von echter Gleichberechtigung noch weit entfernt“
Monika Habicher

Traut euch!

Monika Habicher ruft Frauen dazu auf, mutig zu sein, für ihre Werte und Ziele einzustehen, auf sich selbst zu vertrauen und auch vor Führungspositionen nicht zurückzuschrecken.

Publiziert in 7 / 2025 - Erschienen am 8. April 2025

Vinschgau - Monika Habicher, Mentorin und systemische Coachin für Frauen in Führungspositionen, hat unlängst bei einem „Frauenfrühstück“ in Prad die teilnehmenden Frauen dazu aufgerufen, mutig zu sein, sich politisch einzubringen und an sich zu glauben. 

der Vinschger: Im Jahr 2015 ist Ihr Buch „Meine Seele weint: Gewalt in der Familie - eine Tochter erzählt“ erschienen. Waren die im Buch geschilderten Erfahrungen der Anlass, jetzt als Coachin und Mentorin gezielt Frauen zu stärken?

Monika Habicher: Natürlich sind wir immer geprägt von unseren Erfahrungen, unserer Herkunft und von unserem Umfeld. Die Tatsache, dass ich als einziges Mädchen zwischen 3 Brüdern aufgewachsen bin, hat mir das Thema der Positionierung als Frau unter Männern quasi mit in die Wiege gelegt. Es liegt mir am Herzen, Frauen zu stärken, ihnen Mut zu machen und ihnen dazu gezielte Werkzeuge in die Hand zu geben, um für sich einzustehen, sich selbst ernst zu nehmen und für ihre Ziele loszugehen. Dass ich jetzt konkret mit Frauen in Führungspositionen arbeite, das hat sich aber auch aus meinem persönlichen Werdegang entwickelt. Ich war selbst viele Jahre lang in Führungspositionen tätig, habe über die Zeit entsprechende Ausbildungen und Spezialisierungen gemacht und gebe dieses Wissen und die Erfahrung nun in Coachings, Workshops und Kursen weiter. 

Worauf führen Sie es zurück, dass auch heutzutage noch viele Frauen nicht den Mut finden, öffentlich das Ihre zu sagen und es vorziehen, sich zurückzuhalten, speziell wenn es darum geht, aktiv in der Politik mitzumischen?

Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle und obwohl wir uns einsetzen, bewusst reflektieren und Veränderung anstoßen, gibt es noch viel zu tun. Zum einen fehlt es Frauen oft an Vorbildern, bestimmte Bereiche, wie die oberen Führungsebenen oder eben auch die Politik, sind vorwiegend männlich geprägt. Das macht es Frauen schwieriger, sich ihren Weg zu bahnen. Gleichzeitig werden Frauen anders sozialisiert. Sie werden tendenziell eher zur Zurückhaltung erzogen, sollen bescheiden sein, nicht zu sehr im Mittelpunkt stehen, darauf achten, dass es allen anderen gut geht. Dieses Bild der „Kümmererin im Hintergrund“ beißt sich damit, als Leaderin voran zu gehen. All das führt auch dazu, dass Frauen selbst oft daran zweifeln, ob sie auch wirklich „gut genug“ sind, ob sie es schaffen können. Frauen sind oft schon lange qualifiziert genug und haben immer noch das Gefühl, dass sie noch nicht so weit sind. Männer gehen tendenziell eher einfach los und probieren sich aus, nach dem Motto „was soll schon schief gehen“. Dann sind da natürlich noch all die strukturellen Hürden, Doppelbelastung usw., die es Frauen schwer machen, bestimmte Schritte zu gehen. 

Warum wird Politik auch heute noch oft als reine Männersache gesehen? Selbst von Frauen wird diese Ansicht nicht selten geteilt.

Wir müssen bedenken, dass Politik in der Geschichte fast immer eine reine Männerdomäne war – Frauen dürfen erst seit 1945 aktiv teilnehmen. Dieses Rollenbild ist also zutiefst verankert und wirkt noch stark nach. Vieles ist auf Männer zugeschnitten und Männer verfügen über die passenden Netzwerke. Selbst die mit Führungsrollen verbundenen Eigenschaften, wie stark oder laut zu sein, Entscheidungen zu treffen, werden als „männlich“ angesehen. Übernehmen Frauen diese Rolle, werden sie nach wie vor sehr kritisch betrachtet, streng beurteilt, sehr oft sogar dafür „abgestraft“. Auch aus den eigenen Reihen. Eine Frau, die zielstrebig und konsequent ist, gilt schnell als „bossy“ oder „unbequem“, während Männer dafür bewundert werden. Dabei werden die dahinterstehenden Kompetenzen oft einfach übersehen.

Wie kann es Frauen gelingen, mutig zu werden und mehr an sich selbst zu glauben?

Mutig zu sein können wir tatsächlich lernen, ebenso selbstbewusst zu sein, uns selbst zu vertrauen. Hier ist es wichtig, immer wieder in kleinen Schritten die Komfortzone zu verlassen, Neues auszuprobieren und zu merken, dass nichts Schlimmes dabei passiert. Wir dürfen Glaubenssätze auflösen, unser Selbstbild neu definieren. Das sind alles Punkte, die sowohl in kleinen Schritten alleine, aber auch gezielt in Coachings bearbeitet werden können. Wir können Netzwerke dazu nutzen, um uns gegenseitig zu stärken und zu unterstützen. Sichtbar zu sein bedeutet auch angreifbar zu sein. Die Fähigkeit, sich selbst den Rücken stärken zu können, in sich selbst klar zu sein und klare Werte zu vertreten, sind wichtige Voraussetzungen, um nicht das Gefühl zu haben, emotional ausgeliefert zu sein. Wir dürfen auch ganz bewusst andere Frauen gezielt unterstützen und stärken, damit keine alleine im Gegenwind stehen muss. Nicht jede von uns muss auf die große Bühne. Schon im kleinen Kreis, in der Familie, unter Freunden, im Gespräch mit unseren Kindern dürfen wir üben, uns selbst ernst zu nehmen, uns einzubringen und für unsere Werte einzustehen, diese auch weiter zu geben. Jeder kleine Tropfen füllt am Ende das Fass. 

Auf der Ebene der Gemeindepolitik werden vielen Frauen, die in den Verwaltungen als Referentinnen mitarbeiten, oft die Zuständigkeiten für Familie, Soziales und Kultur übertragen. Führungsrollen sind immer noch eher selten. In den 16 Gemeinden von Partschins bis Graun gibt es derzeit „nur“ zwei Bürgermeisterinnen, während die Zahl der Vizebürgermeisterinnen viel größer ist.

Hier wirken noch viele Vorurteile und Rollenbilder, wir landen unreflektiert in Schubladen und nehmen uns selbst zurück. Ich bin mir sicher, dass ganz viel Potential ungenutzt bleibt, weil Frauen in verschiedenen Bereichen unterschätzt oder nicht dazugeholt werden und sich selbst nicht aktiver ins Spiel bringen. Wie oben schon erwähnt: Es sind sich wiederholende Dynamiken, die aufgelöst werden dürfen. Neu denken, Neues ausprobieren, mutig sein – von beiden Seiten und immer wieder. 

Welche Rolle spielt die Sichtbarkeit? Nicht wenige Frauen ziehen es vor, zum Beispiel große öffentliche Auftritte zu vermeiden und mehr im Hintergrund zu arbeiten.

Wenn Frauen sichtbar sind, dann bringt das auch sehr viel Druck mit sich. Frauen werden stärker bewertet, kritisiert, auf unsachlicher Ebene. Das kostet zusätzlich sehr viel Kraft. In Kombination damit, dass Frauen dann versuchen, alles perfekt zu machen, um eben weniger Angriffsfläche zu bieten, kann das schnell an die Grenzen des Machbaren führen. Außerdem üben sich Frauen oft weniger darin, die Sichtbarkeit und das Netzwerk für sich zu nutzen, weil die Sichtbarkeit für sie eben negativ verknüpft ist. Es ist ein Kreislauf, aus dem es auszusteigen gilt. 

Wo orten Sie die Hemmschwellen, die Frauen daran hindern, mehr Selbstwertgefühl zu entwickeln bzw. auch Führungsrollen anzustreben?

Ein Problem ist es sicherlich, wenn kollektive Unsicherheit, Zweifel und Stereotypen weitergegeben werden. Wir dürfen als Frauen vermehrt darauf achten, uns selbst, aber auch uns gegenseitig zu bestärken und zu ermutigen. Wir brauchen öfter diesen Dialog, mehr Bewusstsein dafür. Veränderung geht Schritt für Schritt voran. Gerade, wenn populistische Diskussionen laut werden, wenn offensichtliche Diskriminierungen passieren, ist es wichtig, dass wir öfter mutig dagegenhalten. Auch das Bewusstsein, dass wir es nicht nur für uns selbst tun, sondern jeder Frau und jedem Mädchen den Rücken stärken und Vorbild schaffen, wenn wir uns selbst stärken, das halte ich für wichtig. 

Welche Rolle spielen die Männer in dieser ganzen Thematik?

Um Gleichberechtigung wirklich voran zu bringen, braucht es uns alle. Wir müssen gemeinsam verstehen, welche Dynamiken noch wirken, bewusst hinschauen, mit Vorurteilen brechen. Gleichzeitig dürfen wir Frauen uns aber auch bewusst machen, dass wir nicht die Erlaubnis von Männern brauchen um mutiger für unsere Ziele loszugehen. Wir dürfen uns täglich neu aus der „Opferrolle“ befreien und aktiv für uns einstehen. So können wir immer wieder auf verschiedenen Ebenen ansetzen und Veränderung bewirken. Viele noch so kleine Schritte bewirken in Summe Großes. Jeder und jede von uns kann im Kleinen und im Großen einen Beitrag dazu leisten. 

Wie stehen Sie zur Frauenquote?

Solange bestimmte strukturelle Hindernisse und ungleiche Voraussetzungen da sind, sehe ich die Frauenquote als absolut notwendig. Wären die Voraussetzungen und Möglichkeiten gleich, müssten wir nicht darüber reden.

Haben Sie einmal daran gedacht, sich politisch einzubringen?

Aktuell ist das nicht mein Ziel. Zurzeit sehe ich mich eher in der Rolle der Trainerin, der Bestärkerin, der Mutmacherin und als Multiplikatorin. Mein Ziel ist es gerade, möglichst vielen Frauen konkrete Werkzeuge mit an die Hand zu geben und ihnen aufzuzeigen, was bereits in ihnen steckt, damit sie dort, wo sie stehen, mutig und selbstbewusst wirken können. Diese Sichtbarkeit von Frauen brauchen wir auf allen Ebenen, nicht nur in der Politik. Wenn viele von uns Veränderung beginnen, bringt es uns alle weiter. Darum fokussiere ich mich darauf, im Hintergrund die notwendige Unterstützung anzubieten.  

Was sagen Sie zu einer Frau, die nur deshalb nicht politisch aktiv wird, weil sie Angst hat, es nicht zu schaffen und sich damit zu blamieren?

Es geht darum, sich das Ziel bewusst zu machen. Wofür stehe ich, welche Werte sind mir wichtig, was möchte ich erreichen? Daraus lässt sich Kraft ziehen, auch wirklich loszugehen. Die Angst, sich zu „blamieren“ ist ein typischer negativer Glaubenssatz, der aufgelöst werden darf. Etwas zu probieren, sich mutig zu einem Thema zu äußern, das ist bewundernswert und stark. Selbst nicht gewählt zu werden hat absolut nichts mit einer „Blamage“ zu tun. Wir dürfen uns selbst öfter erlauben, unperfekt zu sein, uns auszuprobieren, ja, auch Fehler zu machen. Genau so funktioniert Wachstum und genau das ist die Message, die wir dann wieder an andere Frauen und Mädchen weitergeben. Es ist vollkommen okay. 

Schon seit Jahrzehnten, ja Jahrhunderten, kämpfen Frauen weltweit für mehr Gleichberechtigung auf allen Ebenen. Wie bewerten Sie die derzeitige Situation in Südtirol?

Wir tun manchmal so, als ob wir sehr fortgeschritten wären, aber in vielen Bereichen gibt es noch sehr viel zu tun. Alte Strukturen sind tief verankert und tragen sich weiter, von Generation zu Generation. Von echter Gleichberechtigung sind wir noch weit entfernt. Das zeigt sich im Unterschied auf Lohnebene, in der Aufteilung der Care- Arbeit, in verschiedenen Abhängigkeitssituationen aber vor allem in vielen täglichen Unterscheidungen der Situation von Männern und Frauen. Was Frauen im Alltag machen wird so oft anders bewertet und beurteilt, als wenn ein Mann dasselbe tut. Der Kleidungsstil, die Lebensweise, Frauen werden kritischer betrachtet und sie müssen sich vielfach immer neu beweisen, um ernst genommen zu werden. Hier dürfen wir alle bewusster auf unsere Wortwahl, ja schon auf unsere Gedanken achten. Und selbst als Vorbild vorangehen. Gemeinsam können wir Veränderung bewirken, Schritt für Schritt.

Josef Laner
Josef Laner

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