Für mehr Ökologie in der Viehwirtschaft
DOKUMENTARFILM „DAS SYSTEM MILCH“ RÜTTELT AUF
Bild aus dem Dokumentarfilm „Das System Milch“ von Andreas Pichler.
Bild aus dem Dokumentarfilm „Das System Milch“ von Andreas Pichler.
Bauernbund-Bezirksobmann Raimund Prugger
Biomilchbauer Alexander Agethle
Moderator Markus Lobis
Eva Prantl, Vorsitzende der Umweltschutzgruppe Vinschgau

Wann ist genug?

Prugger: „Das ist nicht die Landwirtschaft, die wir wollen.“ Agethle: „Nur die ökologische Landwirtschaft hat Zukunft.“

Publiziert in 38 / 2017 - Erschienen am 7. November 2017

Schlanders - Das Profistreben weltweit agierender Großkonzerne hat in vielen Bereichen drastische Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt. Welche Machenschaften hinter der globalen Milchindustrie stecken und welche weitreichenden Folgen das hat, zeigt der preisgekrönte Dokumentarfilm „Das System Milch“ auf. Der beeindruckende Film des Südtiroler Dokumentarfilmregisseur Andreas Pichler wurde am 4. November auf Einladung des Kulturhauses Karl Schönherr und der Umweltschutzgruppe Vinschgau im bis auf den letzten Platz besetzten Schönherr-Kino in Schlanders gezeigt. Im Anschluss an die Vorführung stellten sich der Bauernbund-Bezirksobmann Raimund Prugger sowie der Biomilchbauer Alexander Agethle von der Hofkäserei Englhorn in Schleis, einer der Protagonisten des Films, der Diskussion. „Wir möchten den Blick auch auf die Situation in Südtirol lenken“, sagte Eva Prantl, die Vorsitzende der Umweltschutzgruppe.    

Big Business Milch

Die Idylle friedlich weidender Kühe auf intakten Wiesen ist für die globale Milchindustrie zu einer Werbebotschaft verkommen. Zu einem Bild, mit dem man die Konsumenten lockt, das aber mit der Wirklichkeit fast nichts mehr zu tun hat. Wie diese in weiten Teilen der Welt tatsächlich aussieht, zeigt der Dokumentarfilm anhand etlicher Beispiele von Viehbauern aus Dänemark, den Niederlanden, Afrika und China auf. Aber auch mit Managern mächtiger Molkereikonzerne, Wissenschaftlern, Politikern, Experten und Züchtern hat Andreas Pichler gesprochen. 

Leistung, Leistung, Leistung

„Landwirtschaft ist das beste aller Geschäfte“. Dieses Zitat aus dem Film erklärt, warum die Milchproduktion weltweit ad absurdum getrieben wird. Die Milch ist zu einem Billigprodukt geworden, das es in immer größeren Mengen braucht, um immer mehr Nebenprodukte herzustellen, mit diesen den Weltmarkt zu überschwemmen und den Gewinn in die Kassen der Konzerne zu spülen. Die Verlierer dieses unseligen Teufelskreises sind die Kühe, die zu Höchstleistungen getrieben werden, die Landwirte und nicht zuletzt die Umwelt. Mit Bildern, die gelinde gesagt schockieren, zeigt der Film auf, wie Milchkühe in Massenbetrieben gehalten werden und wie mächtig, lukrativ und global vernetzt die Milchindustrie geworden ist.

Zwischen Krawatte und Gülle

Wie weit die Ansichten und Vorstellungen zwischen Konzernmanagern in Krawatte und Landwirten in Stallbekleidung auseinanderklaffen, zeigt die Doku ebenfalls auf. Der Manager will möglichst viel Billigmilch und der Bauer sieht sich nur noch als Zulieferer: „Man arbeitet nur noch für Konzerne, für die Kraftfutterindustrie und für die Lebensmittelindustrie. Und selber bleibt man auf der Strecke“, bringt es ein Milchbauer aus Süddeutschland auf den Punkt. Dabei hat er ca. 250 Kühe im Stall. Selbst von den großen Bauerbundverbänden fühlt er sich im Stich gelassen, ja verraten. Die EU-Agrarpolitik wird ebenfalls kritisch hinterfragt. Ein Bauer aus Dänemark, der ca. 750 Kühe hält, räumt ein, dass er ohne EU-Zuschüsse nicht überleben kann: „Unsere gesamte Existenz beruht darauf, dass wir einen Liter Milch so günstig wie möglich produzieren.“

Weltweite Umweltfolgen

Auch auf katastrophale Umweltfolgen, zu denen die industrielle Milchwirtschaft führt, wird in der Doku eingegangen: In Südamerika werden Wälder abgeholzt, um Soja für die Tierfütterung anzubauen, in Europa - und nicht nur - bleibt man auf der Gülle sitzen, afrikanische Länder werden mit billigen Milchpulver-Produkten überschwemmt, sodass der örtlichen Landwirtschaft das Wasser abgegraben wird und sich viele gezwungen sehen, in die Städte oder über das Mittelmeer nach Europa zu fliehen. In China, dem größten Markt, werden Milchprodukte massiv beworben, obwohl es Zweifel darüber gibt, ob ein hoher Konsum von Milch seitens erwachsener Menschen tatsächlich so gesund ist, wie es oft dargestellt wird. Was Pichler in seiner Doku ebenfalls beleuchtet, ist die nicht zu unterschätzende Lobbyarbeit zugunsten von Großkonzernen. Das Lobby-Zentrum befindet sich in Brüssel. Kritisch hinterfragt wird auch die These, wonach die Weltbevölkerung in Zukunft nur Hand in Hand mit einer Steigerung der Produktion von Lebensmitteln ernährt werden kann. Viele sehen im Erhalt der kleinbäuerlichen Strukturen die einzige wahre Alternative.

Bio-Bauer als Kontrapunkt

Sozusagen als Kontrapunkt zu Großbetrieben, die am Gängelband großer Konzerne und öffentlicher Fördermittel hängen, wird im Film der Kleinbetrieb von Alexander Agethle vorgestellt, und zwar als Beispiel dafür, dass man Landwirtschaft auch anders betreiben kann und soll. Für Agethle ist Bauer-Sein „weit mehr als ein Arbeitsplatz, es ist ein Lebensmodell.“ Wie er auch bei der von Markus Lobis moderierten Diskussion betonte, „müssen wir herunter vom Traktor und wieder die Erde in die Hand nehmen. Die Zukunft liegt im Boden.“ Die Produktion sei zwar wichtig, „aber wir dürfen uns nicht auf den rein wirtschaftlichen Aspekt beschränken.“ Enorm wichtig sei die Ökologie. „Die ökologischste Landwirtschaft ist am Ende auch die wirtschaftlichste“, gab sich Agethle überzeugt. Auch in Südtirol habe die intensive Viehwirtschaft ein bestimmtes Ausmaß erreicht: „Wir müssen über vieles nachdenken, etwa über den Futtermittelzukauf oder über mehr Vielfalt in der Landwirtschaft, und zwar in allen Bereichen, auch bei den Viehrassen.“ Was laut Agethle unterschätzt wird, sei der Stellenwert der Landschaft: „Landschaft kann man nicht messen.“ Wie mit der Landschaft in Südtirol zum Teil umgegangen wird, sei bedenklich. Auch in diesem Bereich sei die Frage nach der Grenze angebracht: wann ist genug? Der Biomilchbauer wünscht sich ein Landwirtschafts-Modell, „bei dem weder die Tiere, noch die Pflanzen und auch nicht die Bauern an den Rand gedrängt werden.“ Außerdem gelte es, die Kräfte einer Region zu bündeln und sich nicht in Konkurrenz zueinander zu sehen: „Der Handwerker ist ebenso wichtig wie der Gastwirt, der Bauer und alle anderen Akteure, die in einer Region leben und wirtschaften.“ 

„Ein solche Landwirtschaft wollen wir in Südtirol nicht“

Erschrocken von dem, was der Dokumentarfilm aufzeigt, gab sich Raimund Prugger. „Das ist nicht die Landwirtschaft, die wir wollen.“ In Südtirol sei die Situation eine andere. So gibt es landesweit ca. 5.000 Milchlieferanten, die im Durchschnitt 15 Kühe halten und jährlich ca. 80.000 Liter Milch liefern. Im Vinschgau ist die Kleinstrukturiertheit noch stärker ausgeprägt. Rund 1.500 Kühe verbringen den Sommer auf den Vinschger Almen, wo ca. 1,4 Millionen Liter Milch pro Sommer zu Käse und Butter verarbeitet werden. Auch die Milchhöfe in Südtirol seien im Vergleich zu Großmolkereien, wie sie im Film gezeigt werden, klein, überschaubar und genossenschaftlich organisiert. Relativ gut aufgestellt sei die Milchwirtschaft in Südtirol vor allem aufgrund der Veredelung der Milch in Form von hochwertigen Milchprodukten: „Dank der Qualität der Produkte konnten die Milchhöfe den Milchpreis bisher einigermaßen halten, aber in Zukunft werden weitere Bemühungen notwendig sein.“ Dass es die Bergbauern grundsätzlich schwer haben, auf ihren Höfen mit oft steilen Wiesen zu überleben, beweist schon die Tatsache, dass rund 70% einem Nebenerwerb nachgehen müssen.

„Zuerst im Kopf“

Bei der Diskussion wurden mehrfach die Themen Ökologie, biologische Wirtschaftsweise und Heumilch angesprochen. Heumilch ist laut Prugger mehr als nur ein Schlagwort: „Bei der Produktion von Heumilch wird auf Silage, also Gärfutter, verzichtet.“ Eine Umstellung auf Bio werde oft deshalb nicht vorgenommen, weil eine solche mit Auflagen, Bürokratie und anderen Hürden verbunden ist. „Bio muss zuerst im Kopf stattfinden“, so Prugger. Man sei auf einem guten Weg, „allerdings geht dieser Prozess nur langsam voran.“ Für Agethle ist die Heumilch nur ein erster, kleiner Schritt in die richtige Richtung. Viel Potential nach oben sehen Prugger und Agethle in der Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Tourismus. „Es gibt zwar positive Beispiele, aber insgesamt gesehen könnte sich von vieles bessern“, so der Bauernbundbezirksobmann. Beide Seiten hätten ihre Hausaufgaben zu machen. Von der Vorstellung, dass der Tourismus und die Landwirtschaft zu einem „starken Band“ verschmelzen, sei man derzeit laut Agethle noch ziemlich weit entfernt. Auch in diesem Sinn sei am Ineinandergreifen aller Räder der Region noch zu feilen. Mehrfach angesprochen wurde auch die Rolle, die dem Konsumenten zukommt. Prugger rief einmal mehr dazu auf, „in den Regalen der Geschäfte zu den Produkten unserer Bauern zu greifen, denn damit ist ihnen am meisten geholfen.“

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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