Neue Wege
Im Bereich der Betreuung
Vertiefende Gespräche im Anschluss an die Veranstaltung (v.l.): die Bürgermeisterin Roselinde Gunsch Koch mit ihren Amtskollegen Ulrich Veith, Luis Frank, Peter Trafoier und Heinrich Noggler.
Im Nationalparkhaus in Trafoi fand die gut besuchte Kick-Off-Veranstaltung zum Interreg-Projekt „Sonnenstrahl“ statt.
Paolo Balzardi
Karin Tschurtschenthaler, die Direktorin der Sozialdienste
Verena Schütz vom Gesundheitszentrum Unterengadin
Nadia Brunner, die Ansprechpartnerin für „Sonnenstrahl“
Roland Angerer stellte das Projekt „Stilfs Light“ vor.
Anton Theiner, der frühere ärztliche Leiter des Krankenhauses
Philipp Gunzinger vom Gesundheitszentrum Unterengadin

„Sonnenstrahl“

Laien unterstützen ältere Menschen. „Stilfs Light“ als Vorreiter-Projekt.

Publiziert in 26 / 2019 - Erschienen am 23. Juli 2019

Trafoi - Der Anteil der älteren Menschen nimmt weiter zu, soziale Netzwerke schwinden, die professionellen Betreuungsdienste stehen zunehmend unter Druck und die Versorgungssicherheit kann teilweise nicht ausreichend gewährleistet werden, vor allem nicht in peripheren Gebieten. Ausgehend von diesem Hintergrund und den damit verbundenen Herausforderungen schlagen die Sozialdienste der Bezirksgemeinschaft Vinschgau und das Gesundheitszentrum Unterengadin neue Wege in der Betreuung älterer Menschen und in weiteren Bereichen ein. „Sonnenstrahl“ nennt sich das grenzüberschreitende Interreg V-Projekt (Italien-Schweiz), das am 18. Juli im Nationalparkhaus „naturatrafoi“ mit einer gut besuchten Auftaktveranstaltung im Beisein vieler Bürgermeister bzw. Gemeindereferenten des Vinschgaus sowie zahlreicher Vertreterinnen und Vertreter von Seniorenwohnheimen vorgestellt wurde. „Um nicht von den Auswirkungen des demografischen Wandels überrollt zu werden, ist es ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, die Herausforderungen und Chancen des demografischen Wandels zu erkennen, negativen Entwicklungen entgegenzusteuern und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle Generationen auch in Zukunft gut begleitet und zufriedenstellend versorgt werden können“, sagte Karin Tschurtschenthaler, die Direktorin der Sozialdienste. Träger des Projektes „Sonnenstrahl“, das bis zum Jahr 2021 läuft und für das 582.000 Euro (Italien) und 300.000 Franken (Schweiz) vorgesehen wurden, sind die Bezirksgemeinschaft Vinschgau und das Gesundheitszentrum Unterengadin. Verena Schütz, Direktorin von „Chüra - Pflege & Betreuung“ im Gesundheitszentrum Unterengadin, und Karin Tschurtschenthaler stellten das Projekt im Detail vor. Der aus Turin angereiste Paolo Balzardi von der Stabstelle „Interreg V Italien-Schweiz - 2014-2020“ in Mailand hatte eingangs über die gesamten Interreg V-Projekte informiert. Das Projekt „Sonnenstrahl“ gehört zur „Achse 4“. Ziel dieser Förderschiene ist es, die Sozial- und Gesundheitsleistungen in den peripheren Gebieten besser zugänglich zu machen.

Niederschwellige Assistenzleistungen

Speziell für den Vinschgau sieht das Projekt „niederschwellige Assistenzleistungen“ vor. Laut Tschurtschenthaler geht es im Wesentlichen darum, älteren Menschen mit niederschwelligem Hilfsbedarf Unterstützungen und Hilfestellungen in der Alltagsbewältigung anzubieten. Konkret nannte sie Hilfen im Bereich der Pflege, im Haushalt, bei Ämter- und Behördengängen sowie bei der Freizeitgestaltung und der Pflege sozialer Kontakte. Im Rahmen des Projektes, das dem Leitmotiv der Sozialdienste „MitMenschen wachsen“ voll entspricht, sollen insgesamt ca. 8.500 Assistenzstunden von Laien geleistet werden, und zwar in den Gemeinden Stilfs, Taufers im Münstertal und Graun sowie auch in Fraktionen im Vinschgau, sofern der Bedarf gegeben ist. 

Eigene Ansprechpartnerin

Die direkte Ansprechpartnerin für das Projekt „Sonnenstrahl“ im Vinschgau ist Nadia Brunner, die seit Juli als Bedienstete der Bezirksgemeinschaft tätig ist und sich ausschließlich diesem Interreg-Projekt widmet. Bereits 2015 konkret angelaufen ist das Projekt „Stilfs Light“, über das Roland Angerer informierte. Er ist Gemeinderatsmitglied und begleitet bzw. betreut das Projekt als Ansprechperson für alle Beteiligten schon seit den ersten Anfängen im Jahr 2011. Im Gemeindegebiet von Stilfs werden jährlich zwischen 1.500 und 2.000 Betreuungsstunden für ältere Menschen geleistet. Bei den Betreuten handelt es sich um Personen, die über 80 Jahre alt sind, die keine Familienangehörigen in der Nähe haben und weitere Kriterien erfüllen. Die drei Betreuerinnen und die Koordinatorinnen, denen Angerer einen großen Dank aussprach, verrichten bei den betreuten Mitbürgern vor allem haushaltsnahe Dienste. Aber auch Besuche, das Begleiten bei Spaziergängen, ein gemeinsames Kartenspiel und viele weitere Aktivitäten gehören dazu.

„Das gehört dazu“

Für Roland Angerer gehören diese Dienste zu einer modernen Dorfentwicklung dazu. „Stilfs Light“ stehe mittlerweile trotz mancher Schwierigkeiten, vor allem in den Anfangsjahren, auf recht stabilen Beinen. Erfreulich sei, dass neuerdings vermehrt auch Männer die Hilfen in Anspruch nehmen. Neben den Betreuerinnen und Koordinatorinnen dankte Angerer auch den Projekt-Initiatoren Sascha Plangger und Juliane Stocker, der Genossenschaft für Weiterbildung und Regionalentwicklung Spondinig (GWR), den Sozialdiensten, den zuständigen Politikern und nicht zuletzt den betreuten Menschen selbst. Der Verlauf des Projektes „Sonnenstrahl“ wird von einer grenzüberschreitenden Steuergruppe koordiniert. Im Unterengadin umfasst das Projekt u.a. Maßnahmen im Bereich der Prävention bei Kindern und Jugendlichen. Auch grenzüberschreitende Weiterbildungs- und Schulungsangebote im professionellen und im nicht professionellen Bereich sind vorgesehen.

Nationalparkregion - Gesundheitsregion

Über das Gesundheitszentrum Unterengadin, das der größte Arbeitgeber der Region ist, informierte Philipp Gunzinger, der Delegierte des Vorstandes des Stiftungsrates Gesundheitszentrum Unterengadin. Großes Augenmerk lege man auf eine dezentrale Gesundheits- und Sozialversorgung, wobei auch der Aspekt der Wirtschaftlichkeit zum Tragen kommt. Wie schon im Unterengadin und in Graubünden könnte das Thema Gesundheitstourismus laut Gunzinger auch im Vinschgau stärker gespielt werden, zumal die Voraussetzungen dafür gegeben seien. Als langfristig ausgerichtetes Vorhaben in seiner Heimat nannte Gunzinger das Projekt „Nationalparkregion – Gesundheitsregion“. Werden zusätzliche Gästesegmente erschlossen, „kann die Gesundheitsversorgung der einheimischen Bevölkerung wirtschaftlicher und finanziell tragbar erbracht und damit langfristig für die Region sichergestellt werden.“ Graubünden verfüge mit seinen dezentralen, qualitativ hochstehenden Angeboten für die Gesundheitsversorgung in Verbindung mit seinen landschaftlichen und klimatischen Vorzügen über beste Voraussetzungen für den Gesundheitstourismus. „Die Angebote der Gesundheitsversorgung fallen bei der Wahl von Feriendestinationen immer stärker ins Gewicht“, gab sich Gunzinger überzeugt.

Wo hapert es im Vinschgau?

Über das Gesundheitswesen in Südtirol und im Besonderen über die Situation im Vinschgau und im Krankenhaus in Schlanders referierte Anton Theiner, der frühere ärztliche Direktor des Krankenhauses. Er informierte über die derzeitigen Abteilgungen und Dienste im Krankenhaus und nannte auch eine Reihe von Anliegen bzw. Problemen im Bereich der Gesundheitsversorgung insgesamt: Abwanderung in peripheren Gebieten, anstehende Pensionierung von Hausärzten, Mangel an Fachärzten und weiteren Fachkräften, Schwierigkeiten bei der Organisation der Notfallmedizin. Das dezentrale Dienstleistungsangebot sei zum Teil nicht ausreichend bzw. angemessen.

Der „Vinschger Vorschlag“ 

Auch einen Vorschlag für die Organisation des Südtiroler Gesundheitswesen, der mit einigen Ärzten diskutiert wurde und den man „Vinschger Vorschlag“ nennt, stellte Theiner vor. Demnach könnten aufgrund einer genauen Definition des Leistungsangebotes in den einzelnen Einrichtungen Doppelgleisigkeiten von vorneherein vermieden werden. Es könnte auf bestehende geographische, demographische und logistische Bedürfnisse in den einzelnen Landesteilen eingegangen werden. Eine dezentrale, patientennahe Versorgung sei möglich. Theiner: „Insbesondere durch den zukünftigen Ärztemangel in der Peripherie dürfte es damit gelingen, auch in der Peripherie flexibel auf lokale Bedürfnisse zu reagieren.“ Es könnten optimale Übergänge „Krankenhaus-Territorium“ gewährleistet werden und es könnten kurze Entscheidungswege erfolgen. Die Bezirksdirektoren, die ärztlichen Leiter und die Pflegeleiter fänden sich in ihrer Verantwortung der jeweiligen Einheiten „Krankenhaus-Territorium“ wieder. 

Dank an alle Akteure

Bezirkspräsident Andreas Tappeiner und sein Stellvertreter Dieter Pinggera, der im Bezirksausschuss u.a. für die Sozialdienste und das Krankenhaus zuständig ist, begrüßten das Projekt „Sonnenstrahl“ und dankten allen Akteuren. „Die Anliegen der Menschen in peripheren Gebieten machen nicht an geografischen Grenzen Halt“, sagte
Tappeiner. Umso wertvoller sei es, wenn Synergien grenzüberschreitend genutzt werden. Laut Pinggera werde sich die Bezirksgemeinschaft darum bemühen, das Projekt bei Bedarf möglichst flächendeckend auf den gesamten Bezirk auszudehnen.

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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