“Ein bisschen Herrgott weiterbringen”
Publiziert in 15 / 2003 - Erschienen am 31. Juli 2003
Im einstigen Bischofssitz Säben oberhalb von Klausen zogen im 17. Jahrhundert Benediktinerinnen ein. Zehn Äbtissinnen wirkten seither dort. Die Elfte ist nun die ehemalige Kindergärtnerin Maria Hohenegger/Schwester Ancilla aus Melag in Langtaufers. Sie übernahm das Amt am 3. Mai 1996 von ihrer charismatischen Vorgängerin Marcellina Pustet, die den Zeitpunkt der Ablöse selbst bestimmt hatte. Gewählt wurde sie von ihren achtzehn damaligen Mitschwestern. Die kleine, zierliche Vinschgerin mit dem „Oberländer“ Dialekt ist nun schon seit sieben Jahren „Mutter“ der Klostergemeinschaft und repräsentiert diese nach außen, mit großer Ausstrahlung und beseelt vom Wunsch Brücken zu bauen.
von Magdalena Dietl Sapelza
Die Nonnen sprechen sie mit „Mutter Ancilla“ an. Für alle anderen ist sie schlicht und einfach die „Frau Äbtissin“. Mittlerweile sind die Schwestern nur noch zu acht, sechs davon haben bereits ein hohes Alter erreicht. "Sie sind zwischen siebzig und der Ewigkeit", sagt die Äbtissin. Es fehlt an jugendlichem Nachwuchs. Aus menschlicher Sicht ist die Lage zum Verzweifeln, doch sie nimmt es sehr gelassen und legt die Zukunft voller Vertrauen in Gottes Hände. Er würde schon wieder jemanden rufen, so wie es bei ihr einst der Fall war. Als junges Mädchen in Melag dachte sie nie daran, irgendwann ins Kloster zu gehen. Sie besuchte zwar die Gottesdienste, doch so ganz genau nahm sie es nicht damit. Während ihrer Zeit als Kindergärtnerin entfernte sie sich immer mehr von der Kirche. Sie empfand diese als überholt und altmodisch. Das änderte sich dann schlagartig, als sie sich mit einer Jugendgruppe nach Assisi begab. Begleiter war Luis Lintner (Missionar in Brasilien, der dort 2002 ermordet wurde). "In Assisi wurden mir die Bekehrung und der Sinn des Lebens geschenkt", erklärt sie, "es war ein neuer Aufbruch für mich, verbunden mit der Erkenntnis, dass Christus die Erlösung ist." Sie begann die Bibel zu lesen, die ihr Antworten auf viele Fragen gab. Bereits ein Jahr später verbrachte sie ein Fasten -Wochenende auf Säben. Dort reifte in ihr die Erkenntnis: "Das ist das, was ich suche." Nicht zuletzt war sie beeindruckte vom feinen Umgangston, den die Schwestern untereinander pflegten. Das Leben in der Klausur, der geschützte Ort, die Demut der Schwestern, die Ruhe im Klosteralltag, all das übte eine besondere Anziehungskraft auf sie aus. 1980 trat sie in die dortige Klostergemeinschaft ein. Nach einem halben Jahr Eingewöhnung entschied sie zu bleiben. Sie wurde eingekleidet und erhielt von Mutter Marcellina den Namen "Ancilla" (Magd). Der neue Name steht für den Beginn eines neuen Lebensabschnittes und bedeutet "Ich will meine Taufe leben". Heute ist die Tendenz da, den eigenen Taufnamen zu behalten. Das zweijährige Noviziat mit allgemein bildendem Unterricht, theologischer Bildung und Latein begann unter den Fittichen der Novizenmeisterin. Öfters traten auch Zweifel auf. "Zweifel gehören zur Prüfung", erklärt Mutter Ancilla, "viele halten der Prüfung nicht stand und verlassen das Kloster." Sie aber schritt zur "ewigen Profess" und besiegelte den Bund mit Gott und der Klostergemeinschaft. Das Leben in der Klausur verläuft geordnet, nach festgelegtem Tagesablauf und scheinbar immer friedlich. Doch zwischenmenschliche Unzulänglichkeiten machen auch dort zu schaffen. Wenn sich die Klosterfrauen "in die Schleier geraten", ist die Äbtissin gefordert, der Sache nach zu gehen, zu schlichten und eine Versöhnung herbeizuführen." Es ist wie im Leben draußen und doch etwas anders. "Jeden Tag nehmen wir uns von Gott her neu an, mit all unseren Schwächen", sagt die Abtissin, "die konkrete Kraft kommt aus der lebendigen Christusbeziehung und dem Bewusstsein, dass er sich keinen perfekten Menschen aussucht.“ Eine ihrer wesentlichsten und schwierigsten Aufgaben sieht Mutter Ancilla darin, ihren Mitschwestern Wertschätzung zu schenken und sie auf Christus zuzuführen, entsprechend der Weisung des hl. Benedikts: „Ora, labora et lectio“, übersetzt "Gebet, Arbeit und das Studium der Bibel". "Unsere wichtigste Verpflichtung ist das Chorgebet", betont sie, " das ist unser eigentlicher Dienst an der Kirche und an der Menschheit. Es rechtfertigt unser Dasein. Klöster sind wie Oasen in der Wüste, Kraftquellen des Lebens, das geistige Potential, das erst wieder neu entdeckt werden muss." Neben ihrem Wirken im Kloster möchte sie auch draußen „ein bisschen Herrgott weiterbringen“ , um den Menschen dadurch Halt zu geben. Sie will Brücken zwischen dem Geistlichen und dem Weltlichen bauen. Bis vor dem letzten Konzil galten in der Benediktinerinnenabtei sehr strenge Vorschriften. Diese waren allesamt von Männern ausgearbeitet worden. Die Nonnen durften den Säbenrer Berg grundsätzlich nie verlassen. Für einen Arztbesuch musste oftmals um eine Genehmigung seitens des Trientner Ordinariats regelrecht gekämpft werden. Mittlerweile hat sich vieles zum Positiven verändert. Das Konzil war in den Augen der Äbtissin ein großer Segen. "Wir Frauen sind selbständiger geworden, die Regeln wurden unseren Bedürfnissen angepasst."
Ihre Vorgängerin hatte in diesem Zusammenhang vor allem Menschlichkeit gelehrt, nach dem Grundsatz " Zuerst muss man menschlich sein, dann kann man erst christlich sein". Eben diese Menschlichkeit will Ancilla weitertragen und auch den Hilfe Suchenden entgegenbringen, die sich mit verschiedensten Anliegen an sie und ihre Mitschwestern wenden. Oft sind es Sorgen rund um Ehe und Familie, welche die Menschen nach Säben führen. Aus der Sicht der Äbtissin brechen viele Ehen nicht zuletzt auseinander, weil sich das Verständnis für das Religiöse verändert hat. Der einstige Zusammenhalt im Glauben mit Christus als Mitte und das gemeinsame Gebet ist vielen verloren gegangen. "Wenn wir im Kloster diesen Halt nicht hätten, würde es bei uns schon auch oft krachen." Sie ist überzeugt, dass Christus als Bezugspunkt in vielen Familien den Konsens herbeiführen könnte. Für die Äbtissin Ancilla ist das Leben außerhalb der Klostermauern keineswegs fremd. Einmal in der Woche fährt sie mit dem „Klosterauto“ nach Brixen zu theologischen Vorlesungen. "Von uns wird viel an Glaubensvermittlung erwartet und das erfordert ständige Weiterbildung." Es kommen Pilger, Erstkommunionkinder und Gäste, die im Gästehaus des Klosters ihren Urlaub verbringen. Platz ist für zwölf Personen, die Vollpension haben können. Es besteht für sie jederzeit die Möglichkeit, am Chorgebet teilzunehmen. Einzelne kommen mit dem ganz konkreten Wunsch, ein paar Wochen mit den Schwestern im Kloster zu leben, was ihnen gerne gewährt wird. Das "Kloster auf Zeit" fördert Kontakte zum weltlichen Leben und ist gleichzeitig ein wirtschaftliches Standbein für die Abtei. Ganz besonders gerne sieht es die Äbtissin, wenn Vinschger Landleute sie besuchen. In ihren Begrüßungsworten“ Herzlich willkommen auf Säben“ schwingt plötzlich eine einzigartige Verbundenheit mit. Es ist fast so, als wäre ein klein bisschen Heimweh zu spüren, Heimweh und Sehnsucht nach jenem Vinschger Bergtal, das ihr ans Herz gewachsen war, bevor sie ihr Zuhause auf Säben fand.
Der Weg in Säbens
Klostergemeinschaft:
• ein halbes Jahr Postulat
(Einleben in die Gemeinschaft)
• Einkleidung
• zwei Jahre Noviziat
• erste Profess (Versprechen für
drei Jahre, Triennium genannt)
• ewige Profess
Gebetszeiten:
sonntags werktags
Morgenhore:
6.00 Uhr 5.30 Uhr
Eucharistiefeier:
8.30 Uhr 7.30 Uhr
Mittagshore:
11.30 Uhr
Vesper:
16.30 Uhr 17.30 Uhr
Complet:
20.15 Uhr
Magdalena Dietl Sapelza