„Das Land muss viel Geld in die Hand nehmen“
Cavigelli: „Graubünden ist bereit.“ Plangger: „Fenster ist offen.“ Thurner: „Mals als Ausgangspunkt.“
Scuol - Gibt es einen Fahrplan für den Bau eines Alpenbahnkreuzes im Dreiländereck? Welche Trassenvariante soll umgesetzt werden? Wer zahlt wie viel? Diese und weitere Fragen rund um die Schaffung internationaler Eisenbahnverbindungen in der Terra Raetica sind zwar immer noch offen, aber das „Bahnfeuer“ brennt. „Graubünden ist bereit“, sagte Mario Cavigelli, der Regierungspräsident des Kantons Graubünden, am 7. Juni bei einer gut besuchten Podiumsdiskussion im Hotel Belvédère in Scuol. „Wir werden dieses ‚Feuer’ nach Südtirol tragen und noch mehr Druck auf die Landesregierung machen“, stimmten der Kammerabgeordnete Albrecht Plangger und der Malser Bürgermeister Josef Thurner überein.
„Alle müssen profitieren“
Zum Podiumsgespräch eingeladen hatte die Initiativgruppe „Pro Bahnverbindung Scoul-Val Müstair-Mals“ mit der Großrätin Valérie Favre Accola an der Spitze und vielen weitere prominenten Mitstreitern wie Erwin Bundi, Not Carl, Hans Peter Danuser und Paul Stopper. Wenn eine Bahnverbindung Scuol-Landeck oder Scuol-Mals in der Vergangenheit nicht als erste Priorität eingestuft worden sei, so sei das laut Cavigelli nicht dem Kanton Graubünden anzukreiden, „sondern darauf zurückzuführen, dass dieses Vorhaben von unseren Nachbarn in Nordtirol und Südtirol nicht erwünscht war.“ Es habe seitens der betreffenden Regierungen nur ausweichende oder gar keine Antworten gegeben.
„Wir sind bereit“
Fest stehe, dass die Grundlagenarbeit in Graubünden durchgeführt wurde. „Wir sind bereit“, so der Regierungspräsident. Er erinnerte auch daran, dass das Treffen vom 11. September 2020 in Graun, bei dem die höchsten Vertreter der Regierungen der Länder Tirol und Südtirol, des Kantons Graubünden und der Region Lombardei eine Absichtserklärung für die Schaffung eines Alpenbahnkreuzes im Dreiländereck unterzeichneten, „eine Bündner Initiative war.“ Nun liege der Ball bei der eigens eigensetzten Arbeitsgruppe, die einen Lösungsvorschlag vorlegen soll. Fest steht für Cavigelli, dass alle Länder bzw. Regionen von einem Alpenbahnkreuz profitieren müssten und dass ein entsprechender Konsens zu erzielen sei. Die Lombardei sei mit einzubinden. „Und auch die Schweiz muss einen Nutzen haben und darf nicht nur als Transitroute für Gäste dienen, die nach Südtirol wollen.“ Was die Mitfinanzierung seitens der Schweiz betrifft, obliege die Bewertung am Ende der Planungsbehörde des Bundes: „Wer zahlt, ist der Bund. Daher muss die Idee sitzen und von allen mitgetragen werden.“ Wie berichtet, hatte der Großrat in Chur im Februar 2021 mi breiter Mehrheit beschlossen, „ein Angebotskonzept betreffend die Verbindung Scuol-Mals im Dezember 2022 als Grundlage für den STEP 2040/45 einzureichen.“ STEP steht für Strategisches Entwicklungsprogramm Bahninfrastruktur in der Schweiz.
„Viel Geld in die Hand nehmen“
Albrecht Plangger und Josef Thurner freuten sich über das „Bündner Feuer“ für die Bahn. Sie hatten sich erst am vergangenen 31. Mai mit Landeshauptmann Arno Kompatscher über das Thema des Alpenbahnkreuzes unterhalten. Die Leitung der genannten Arbeitsgruppe, die sich aus je 2 Vertretern aus Nordtirol, Südtirol, der Schweiz und der Lombardei zusammensetzt, liegt derzeit bei Südtirol. „Ich habe das Gefühl, dass das Fenster jetzt offen ist“, sagte Plangger. Nach der Absichtserklärung in Graun, die ein großer Erfolg gewesen sei, gehe es nun darum, weiterhin Druck auf die Landesregierung auszuüben. Es sei darauf zu drängen, dass die Arbeitsgruppe bis zum Herbst bzw. spätestens innerhalb 2021 einen Lösungsvorschlag unterbreitet, „und dass das Land Südtirol viel Geld in die Hand nimmt, um mit den konkreten Planungsarbeiten beginnen zu können.“ Konkrete Zahlen nannte Plangger nicht. Wie Paul Stopper dem der Vinschger am Rande des Podiumsgesprächs verriet, sollten nach der Entscheidung für die Bestvariante rund 24 Millionen Euro für Vor- und Detailplanungen inklusive Probebohrungen zur Verfügung gestellt werden. Nicht außen vor lassen sollte man laut Plangger beim Alpenbahnkreuz die Nachbarn im Veltlin. Für die Lombardei sei schon allein der Neubau einer ca. 40 Kilometer langen Eisenbahnstrecke von Tirano nach Bormio eine gewaltige Herausforderung.
„Nicht zu lange warten“
Für Josef Thurner ist es wichtig, das Vorhaben so schnell wie möglich konkret anzugehen „und nicht 20 oder 25 Jahre zu warten.“ Mals sei als Ausgangspunkt jeglicher Zugverbindungen in der Terra Reatica anzusehen. Der Malser Bürgermeister erinnerte an die derzeit laufende Elektrifizierung der Vinschgerbahn und den Ausbau des Bahnhofs in Mals zu einem Mobilitätszentrum. Er sieht die Schaffung eines Alpenbahnkreuzes in erster Linie als Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs bzw. als Baustein einer nachhaltigen Mobilität. „Wie es auf den Straßen zugeht, sehen wir wieder seit dem letzten Wochenende“, so Thurner. Wenn neue Bahnverbindungen zugleich auch den Tourismus in den Regionen stärken, sei das natürlich zu begrüßen. Nicht unerwähnt ließ Thuner, „dass rund 350 Pendler aus der Gemeinde Mals und insgesamt weit über 1.000 aus dem Obervinschgau in der Schweiz arbeiten.“ Christian Fanzun, der Gemeindepräsident von Scuol, wertete eine Bahnverbindung Scuol-Landeck bzw. Scuol-Mals als große Chance für Scuol: „Das Projekt läuft erst an. Wir werden es unterstützen und es ist wichtig, dass es weiterhin verfolgt wird.“ Mehr „Feuer“ war seitens des Gemeindepräsidenten nicht zu verspüren. Der Großrat Rico Lamprecht aus dem Val Müstair freute sich, dass sich die Bündner Regierung klar positioniert hat. Das Val Müstair spiele in dieser Diskussion zwar nicht die Hauptrolle, aber das Tal wäre froh, an die Rhätische Bahn angebunden zu werden: „Das Val Müstair sollte nicht ausgelassen werden.“ Auch eine Verbindung mit der Lombardei wäre wünschenswert. Positiv wertete Lamprecht die bereits bestehende Postauto-Verbindung nach Mals. Annemarie Meyer, die Geschäftsführerin der Glacier Express AG, regte u.a. an, Hand in Hand mit mit neuen Bahnverbindungen auch besondere touristische Produkte bzw. Angebote ins Auge zu fassen. Gekonnt moderiert hat die Podiumsdiskussion David Spinnler, der Direktor der Biosfera.
Noch lange nicht alles auf Schiene
Abgesehen von den Kosten einer neuen Bahnverbindung im Dreiländereck – Mario Cavigelli sprach und „Milliarden von Euro“ – und der Frage, in welchem Ausmaß die beteiligten Länder bzw. Staaten sowie auch die EU das Mammutvorhaben mitfinanzieren wollen und werden, sind noch viele weitere Knackpunkte zu bewältigen. Dazu gehört vor allem die Ermittlung der Bestvariante. Die Palette an Vorschlägen, möglichen Trassen sowie Varianten mit unterschiedlich langen Streckenabschnitten in Tunnels und im freien Geländen ist groß. Besonders heftig diskutiert wird darüber, ob die Variante Landeck-Scuol-Val Müstair-Mals besser ist als die sogenannte Reschenbahn. Siegfried Gohm von der Initiativgruppe Pro Reschenbahn 2.0 plädierte bei der Diskussion für die Reschenbahn.
Hinter den Kulissen
Paul Stopper und weitere Bahnfreunde lehnten die Reschenvariante in Hintergrundgesprächen ab. „Man kann nicht jedes ‚Dörflein’ erschließen, aus heutiger Sicht ist eine Trassenführung über den Reschen nicht sinnvoll“, so Stopper. Als möglichen Anschluss von Nauders könne er sich eine Standseil- oder Zahnradbahn vorstellen. Mehrfach zu bedenken gegeben wurde auch, dass die Reschenbahn das Landschaftsbild der Malser Haide einschneidend beeinträchtigen würde. Andererseits hätte auch die Gemeinde Taufers im Münstertal wohl keine große Freude mit einer teilweise freien Bahnstrecke durch das Tal, Stichwort Turnauna. Worauf nun alle Initiativen (Pro Bahnverbindung Scoul-Val Müstair-Mals, Pro Reschenbahn 2.0 und Pro Bahn terra raetica) sowie auch die Menschen im Dreiländereck warten, ist der Lösungsvorschlag der Arbeitsgruppe und die darauffolgenden Schritte der „hohen Politik“. Sobald ein konsensfähiger Vorschlag auf dem Tisch liegt, werden auch die Landeshauptleute von Nordtirol und Südtirol, Günther Platter und Arno Kompatscher, klar sagen müssen, wohin die Reise geht, wann der „Zug“ startet und wie in etwa der Zeitplan ausschaut.