Arsen, Nickel, Schwefel, Zink
Warum finden sich Spuren von Schwermetallen auf 2.500 m Höhe?
Vinschgau - Geologen mehrerer Forschungsteams untersuchen den Permafrost und machen dabei überraschende Entdeckungen. Warum finden sich Schwermetalle in Südtirols Gebirgsbächen und -seen? Die Wissenschaftler haben verschiedene Theorien, eine eindeutige Antwort steht bisher aus.
Tiefblauer Schimmer
Bei der Rappenscharte im Schlandrauntal, Gemeindegebiet Schlanders. Ein kleiner See auf 2.700 m Höhe. Auf Fotos vermittelt die Wasserlacke Karibikflair: Die weißen Ablagerungen am Seeboden lassen das Wasser tiefblau schimmern. Was oberflächlich betrachtet unbedenklich aussieht, ist bei näherer Betrachtung ein sichtbares Ergebnis des Klimawandels. Beispiele dieser weißen Ablagerungen, die Seenböden und Gebirgsbäche färben, finden sich seit dem Jahr 2000 immer häufiger: Bei den Litzerseen, im Matschertal, beim Rasasssee, beim Langsee im Ultental, auch in Pejo, im Ötz- und Kaunertal, in Salzburg oder im benachbarten Kanton Graubünden. Allen diesen Beispielen gemeinsam ist, dass sie sich in Gebieten mit ähnlichem Gesteinsaufbau - zumeist Gneis und Glimmerschiefer (Altkristallin) - befinden und im Einzugsgebiet eines Blockgletschers liegen, jenen mehr oder weniger mächtigen Schuttströmen, die mit Eis verkittet sind. Diese augenscheinlichsten Phänomene des Permafrostes kommen im Gebirge oberhalb von 2.500 m noch häufig vor. Forscher in Südtirol zählen derzeit an die 2.700 Blockgletscher.
Eis kommt ins Schwitzen
Aufgrund des globalen Temperaturanstiegs kommt jedoch auch das Eis im Permafrost ins Schwitzen. Wie das Interreg IVB Alpine Space Projekt PermaNET nachgewiesen hat, enthalten die Schmelzwässer aus dem Permafrost zum Teil hohe Gehalte an Schwermetallen, die mancherorts weit über dem Grenzwert für Trinkwasser liegen. Für die Forscher des PermaNet-Projektes ist erwiesen, dass diese hohen Schwermetallkonzentrationen sich bereits im Eis befanden und nicht aufgrund des Felsuntergrundes oder aus den Gesteinsblöcken stammen.
Woher stammen die Schwermetalle und welche Auswirkungen haben sie auf Flora und Fauna? Um dieser Frage nachzugehen, wurde ein zweites Interreg-Projekt namens Permaqua gestartet. Geologen des Landesamtes für Geologie, Mitarbeiter am Amt für Gewässernutzung und des Biologischen Labors der Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz, Geologen und Limnologen der Universität Innsbruck sowie Salzburg sowie Mitarbeiter des Forschungszentrums IASMA Edmund Mach aus San Michele all’Adige haben zwischen 2011 bis 2015 u.a. Wasseranalysen und Bohrungen am Lazaunferner durchgeführt. Dabei kamen sensationelle Ergebnisse zu Tage.
Sensationelle Ergebnisse
Die Forscher bestimmten die chemische Zusammensetzung und das Alter des Eises des Blockgletschers am Lazaunferner, das sie auf 10.300 Jahren (!) datieren. Auch die festgestellten, erhöhten Nickelkonzentrationen gaben den Forschern zu denken. Speziell auf die weißen Ablagerungen an Gebirgsbächen und -seen im Bereich von Blockgletschern konzentriert haben sich die Mitarbeiter des Instituts für Geologie an der Uni Bern. Gerhard Furrer von der ETH Zürich hatte bereits Ende der 1980er Jahre die Vermutung, dass sich sogenannte Ausfällungen zeigen müssten, aber erst ein Jäger lieferte 2010 den Beweis: Auf ca. 1 km Länge waren die Steine im Bach Ova Lavirun (Kanton Graubünden) weiß eingefärbt. Dieses Phänomen kennt die Wissenschaft seit langem aus dem Bergbau mit sauren Minenabwässern, im alpinen Raum waren solche Aluminiumsulfat-Ablagerungen bis vor kurzem unbekannt.
Weitere Untersuchungen notwendig
„Wir erklären uns die Bildung der Aluminiumsulfat-Ablagerungen damit, dass es in den Blockgletscher- bzw. Permafrostgebieten langsam fließendes Grundwasser gibt - die genauen Gründe dafür müssen noch weiter untersucht werden - und somit viel Zeit für die Verwitterung von Pyrit, im Volksmund Katzen- oder Hennengold, zur Verfügung steht. Die Verwitterung, sprich Oxidation durch das langsam vorbeifließende Grundwasser führt zur Produktion von Schwefelsäure im Grundwasser. In einem zweiten Schritt löst dann das nun saure Grundwasser Aluminium aus den aluminium-reichen Glimmerschiefern. Somit weist das Grundwasser, welches in den Gebirgsseen an die Oberfläche tritt, einen relativ tiefen pH-Wert (4.5-5.5) sowie hohe Konzentration von Aluminium auf, typischerweise einige mg/L. (Anm.: Trinkwasser weist üblicherweise einen pH-Wert von 6,5 – 8,5 auf). Kommt es dann beim Abfluss der Gebirgsseen zu einem Anstieg des pH-Werts, weil es mit anderem Wasser vermischt wird, nimmt die Löslichkeit der Aluminium-Sulfate ab und es kommt zur Bildung der weißen Ausfällungen“, so Christoph Wanner vom Institut für Geologie an der Uni Bern, Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Gestein-Wasser-Interaktion.
Saures Schmelzwasser
Diese Beobachtung der Berner Geologen teilt auch Samuel Vorhauser vom Biologischen Labor der Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz in Bozen. „Aus Blockgletschern austretendes Schmelzwasser ist oft sehr sauer (Anm.; „sauer“ sind alle Wässer mit einem ph-Wert unter 7) und enthält verschiedene chemische Verbindungen. Zum einen können diese enthaltenen Verbindungen direkt ausfallen, sobald sich das Milieu des Gewässers verändert, zum anderen kann das saure Wasser aus dem Blockgletscher chemische Stoffe aus Mineralien des Ausgangsgesteins lösen, […] und diese weißen Krusten bilden.“ „Auffällig ist dabei“, so Volkmar Mair vom Landesamt für Geologie, „dass die Ausfällungen Krusten ohne Kristalle aufweisen, quasi wie ein Gel sich über die Steine im Bachbett legen, jedoch aluminium-, silizium- und schwefelreich sind.“ Erstaunlich und derzeit unerklärlich sind auch die oben erwähnten Schwermetallkonzentrationen in diesen Ablagerungen, u. a. Arsen, Kupfer, Yttrium, Zirkon und Nickel.
„Elemente stammen aus dem Eis“
Auch in den Gebirgsbächen im Bereich von Blockgletschern, wo der pH-Wert sich im sauren Bereich befindet, wurden erhöhte Konzentrationen von Nickel, Mangan, Zink, Kobalt oder Aluminium festgestellt. Diese Elemente kommen, wie bereits erwähnt, aber auf jeden Fall aus dem Eis, wurde also nicht aus den Gesteinen gelöst, so Mair. Dem widersprechen die Forscher vom Institut für Geologie an der Uni Bern. Für sie ist die Lösung dieser Elemente direkt aus dem Gestein nicht ausgeschlossen. Bleiben vorerst zwei Fragen. Erstens: Ist das Wasser aus den weißgefärbten Seen oder Gewässern trinkbar? Volkmar Mair, führender Landesgeologe, bejaht mit einer Einschränkung: „Das Wasser aus den Seen und Bächen enthält zwar Schwermetalle, aber wenn es nur über einen sehr kurzen Zeitraum verwendet wird, ist der Konsum unbedenklich“. Auch wenn Trinkwasserquellen im Bereich von Blockgletschern liegen, besteht keine Gefahr, weil das Trinkwasser in Südtirol ständigen Kontrollen unterliegt und der Gehalt von Schwermetallen deutlich unter den gesetzlichen Grenzwerten liegt. Zudem ergibt sich durch die Niederschläge ein Verdünnungseffekt. Außer wie im Falle der Lazaunbachquelle, wo hohe Nickel- und Aluminiumgehalte festgestellt wurden. Dort musste eine andere Wasserquelle erschlossen werden. Zweite Frage: Woher kommen die Schwermetalle? Dazu gibt es derzeit nur Hypothesen, aber keine endgültigen Beweise.
Keine endgültigen Beweise
Für die Schweizer Forscher ist, wie bereits erwähnt, das Gestein eine relevante Quelle für Nickel, Mangan, und Kobalt. Sie haben bereits erste Beobachtungen diesbezüglich gesammelt, wie Christoph Wanner ergänzt. Zum Beispiel zeigen die Pyritmineralien, die für die Produktion der Säure verantwortlich sind, zum Teil deutlich erhöhte Nickel-, Zink- und Kobalt-Gehalte. Es könnte deshalb auch sein, dass die Schwermetalle von der Verwitterung des Gesteins stammen und in gewissen Eisschichten aufkonzentriert wurden. Volkmar Mair meint: „Es gibt verschiedene Vermutungen, warum diese erstaunlichen Elemente durch das Abtauen des Permafrostes auftauchen.“ Die gedankliche Reise geht in das Mittelmeer, zum verheerenden Vulkanausbruch von Santorin vor etwa 3.600 Jahren, welcher zur Auslöschung der Minoischen Kultur geführt hat. Die Vulkanasche dieser riesigen Explosion findet sich weit über Europa verteilt in den Boden- und Sedimentschichten. Da Vulkanasche gerade solche Metalle enthält, könnte sich diese auf den Gletschern vor 3.600 Jahren niedergelegt haben und nun durch das Abtauen wieder zum Vorschein kommen. Es kann daher kein Zufall sein, dass gerade die Eisschicht im Blockgletscher Lazaun im Schnalstal, die auf 3.600 Jahre datiert ist, die ersten sehr hohen Nickelwerte des Blockgletschers aufweist.
Spielt Brandrodung eine Rolle?
Eine zweite Hypothese bringt die Geschichte der Alpenbesiedlung der letzten 3.000 Jahre ins Spiel. Die hohen Nickelgehalte des Eiskerns von Lazaun zeigen nämlich viele dünne Eislagen mit hohen Schwermetallgehalten gerade in jenen Zeitspannen als Brandrodung zur Landgewinnung an der Tagesordnung stand. Durch diese Schwelbrände entsteht Nickel, welches direkt aus der Luft ausgefällt und im Boden eingelagert werden kann. Ein solches Phänomen ist z.B. aus dem Umkreis von Kohlekraftwerken bekannt, wo sich in den Böden ebenfalls hohe Nickelkonzentrationen finden. Die Schmelzprozesse im Bereich der großen Bergbaugebiete in den Alpen hätten einen ähnlichen Effekt. Ziel der Schweizer Forscher ist es, weitere inzwischen gemeldete Standorte von Ausfällungen in der Schweiz und in Norditalien sowie Österreich zu untersuchen und mit Laborversuchen eine bessere Prognose der zukünftigen Wasserqualität in den betroffenen Gebieten treffen zu können und vor allem in Hinblick auf das weitere Auftauen von Permafrost. Dieses Ziel deckt sich auch mit jenem des italienisch-österreichischen Forschungsprojektes Permaqua, das zwar 2015 beendet wurde, dessen Ergebnisse aber solides Datenmaterial für eine langfristige Beobachtung der Blockgletscher, der Gebirgsbäche und -seen sowie deren Flora und Fauna zulassen.
Thema bleibt spannend
Da zwei Geologenteams verschiedene Theorien zur Entstehung der Schwermetalle vertreten, bleibt das Thema Ausfällungen weiter spannend. Vermutlich liegt die Wahrheit in der Mitte, wie Volkmar Mair meint, beides, dass nämlich chemische und physikalische Prozesse beteiligt sind. Fest steht, dass sich die Zahl der beobachteten Ausfällungen kontinuierlich steigt, wie auch im Zuge der Recherche festgestellt werden konnte. Aber wie alle Prozesse in der Natur, sind Ausfällungen steten Veränderungen unterworfen, d.h. eine heute sichtbare kann in einigen Monaten oder im nächsten Jahr schon nicht mehr vorhanden sein. Wohl nicht verschwinden werden aber die Folgen der globalen Erwärmung und die damit einhergehende Abschmelze des Permafrostes. Darin stimmen beide Geologen, Christoph Wanner als auch Volkmar Mair, überein.