Elsbeth Wallnöfer

Von Dirndl-Chic und Salontirolern

„Tracht Macht Politik“ ist die neueste Publikation der in Wien lebenden Wissenschaftlerin Elsbeth Wallnöfer.

Publiziert in 7-8 / 2021 - Erschienen am 4. März 2021

WIEN/LAAS - Seit Jahrzehnten forscht die in Laas aufgewachsene Volkskundlerin zu Tradition und Volkskultur. Nun hat sie die Tracht und das Dirndl genauer unter ihre Lupe genommen und bietet einen Blick auf die alpenländische Kostümgeschichte, der so mancher/m den Kopf verdrehen wird.

der Vinschger: Frau Wallnöfer, Ihre historische Forschung an Tracht und Dirndl entzieht Trachten- und bäuerlichen Vereinen sowie politischen Gruppierungen ihre vermeintliche historische Grundlage rund um‘s Thema Tracht. Hagelt es Empörung über Ihre neueste Publikation?

Elsbeth Wallnöfer: Im Gegenteil, sehr viele mögen das Buch, sind froh darüber, insgesamt kostümhistorisch Neues zu erfahren. Erstaunlich viel Männer sind darunter. Man lobt den Schreibstil wie die vielen Informationen, freut sich über die Illustrationen.

Trachten gab es, auch in Südtirol. Doch diese Kleidung war bedingt durch eine Verordnung, wer welche Stoffe verwenden durfte und war gefertigt aus dem, „was man so hatte“?

Für Südtirol galt, was in Europa generell galt. Es waren die jeweiligen Herrschaften, die Kleiderordnungen ausgaben. Sie bestimmten, welche Stoffe getragen und welches Material der Pöbel verwenden durfte. Da blieb nur übrig, was man so selbst herstellte. Wie sich das aufweichte, die Kleiderschränke änderten, zeige ich auch anhand von Diebstählen.

Von Diebstählen?

Was da so gestohlen wurde, waren schon mal silberne Knöpfe und seidene Tücher, in unterschiedlichen Farben. Was geklaut wird, ist meistens von Wert und in diesem Fall Hinweis auf die Bekleidung.

Der Salontiroler verkleidete sich auf Maskenbällen, die Städterinnen und Städter entdeckten das Land ...

Als der Tourismus aufkam, brauchte man die exotische Landbevölkerung als Figuren im Bühnenbild der Landschaft. Wie diese Entwicklung vonstatten ging, zeichne ich nach. Kostümhistorisch war das eine interessante Zeit, denn sie veränderte tatsächlich Aussehen und Funktion und sie konturierte den Unterschied zwischen Bauern und Bürgertum. Mode als Gegenbegriff wird dann ein Abgrenzungsmerkmal zur Bauernkleidung. Tracht wird zum Chic schöngeistiger Künstler.

Es sei, schreiben Sie, auch der Aufklärung zu verdanken, dass das Interesse an der Kleidung der Landbevölkerung überhaupt erst aufkam …

Die politischen Umwälzungen, die im Zuge der Aufklärung erfolgten, ließen den Blick auf „alle“ zu, das bisher leibeigene Individuum wurde sichtbar. Die Demokratisierung schritt voran, das Bildungsbürgertum entdeckte den einfachen (armen) Menschen.

Die ersten Trachtenvereine hätten die Tracht als Teil eines Kollektivs erfunden und sie als nationalen Gründungsmythos klassifiziert. Tracht als kollektive Kleidung einer Gemeinschaft gab es nie?

Bis zur Idee, trachtige Menschen als ethnische Besonderheit hervozuheben, trug man, was man hatte. Die Kleiderordnungen waren hinfällig geworden und die Weiberleut hatten ein wenig Spielraum, ihren Geschmack zu zeigen. Nur blanke Haut sollte nicht sichtbar sein.

Wie kam es dazu, eine vermeintliche Authentizität in den Köpfen bis heute zu verankern?

Die Idealisierung und Romantisierung von Trachtenmenschen ist eine Erzählung der Politik, gefälliger Kunst, frühem Tourismus, von Heimatvereinen und der willfährigen Wissenschaft.

Die Nationalsozialistin Gertrud Pesendorfer erfand die „erneuerte Tracht“ und wusste das modische Dirndl als Gegenspielerin der Tracht zu nutzen. Gelten ihre Dirndl heute noch als authentisch?

Pesendorfer war zweifelsfrei ein Nazisse, sie war antiklerikal, was dazu führte, dass sie einen gezähmten Eros in die Kleidung brachte. „Authentisch“ sind sie nicht.

Pesendorfer habe ganze Trachtenlandschaften erfunden, schreiben Sie. Wie z.B. die des Vinschgau. Trägt der Vinschgau heute also Pesendorfer?

Ja, das, was gemeinhin als „Vinschertracht“ gilt, ist ihr „Vinschgerdirndl“ und von ihr erfunden. Da gibt es nix zu deuteln. Ich habe übrigens eine Vinschger Tracht, auch von ihr erfunden. Gab es vorher nicht. Sollte es mal einen passenden Anlass geben, zeige ich sie den Vinschgerinnen gerne. Der Rock ist ein plissierter, brauner Wollstoff, schwer von Gewicht. Die Schürze aus Seide.

Die Rechten entdecken ihre Liebe zur Tracht, Grün-Rot jedoch auch. Sind Politikerinnen und Politiker naiv, wenn sie glauben, sie könnten das aufgeladene Stück Stoff anziehen, ohne die Erzählung von Kollektiv, Tradition, national und ausgrenzend mitzukommunizieren?

Das ist der hilflose Versuch, sich mit dem Volk gemein zu machen. Bei Volk denken sie immer an ein Kollektiv. Sie blenden aus, dass das Volk aus armen, reichen, dummen, klugen, schwulen, lesbischen, willfährigen, liederlichen und so fort Menschen besteht, also divers ist. Ich frage mich immer, warum Politiker keine baggy pants anziehen – also eine Hose, deren Schritt ins Knie reicht und aus der US-amerikanischen Gefangenenkultur kommt, denn die Jungen tragen derlei und die sind ja auch Wähler, oder etwa nicht?

Tracht heute ermöglicht Gruppen das Ausgrenzen von anderen, die sie in ihrem Kreis nicht haben wollen, schreiben Sie. Aber ist das bei Mode anders?

Mode ist eine Frage des Geldbeutels. Wer sich das Original von MiuMiu, Simone Rocha, Maison Margiela oder eine Rolex nicht kaufen kann, der kauft die Kopie. Egal, welcher politischer oder dermatologischer Couleur er ist. Punkt. Tracht hingegen funktioniert anders, sie ist an einen kulturellen Wertekanon gebunden.

Um es in Stichpunkten auszudrücken: Jedes Tal eigene Tracht, Zeichen der bäuerlichen Kultur, gelebtes Kulturgut, ect. Wortefragmente von etlichen Tourismusseiten, wenn‘s um Trachten geht. Wie wäre eine historisch korrektere Version im Tourismussektor?

Diese Reihung speist sich aus romantischen Motiven. Stimmt nur bedingt, sie nährte aber lange Jahre die Erzählung. Es ist hilfreich, die Wirtschaftsgeschichte hinzuzuziehen, das hilft den Verstand zu kühlen. Zum Tourismus: Der braucht als Lockstoff keine Trachtenpärchen mehr. Der überzeugt grundsätzlich durch den Luxus an Qualität und Professionalität. Umweltschützer sorgen mit ihrem Engagement für die passende Kulisse. Prozessionen von Trachtenmenschen taugen kaum mehr als Werbesujets. Die Kombination Bauer-Tracht-Gemütlichkeit-Menschenschlag in aufrichtiger Einfalt hat sich auch überholt.

Etliche Künstlerinnen nehmen sich der Thematik an: Marina Abramovic, Asra Aksamija oder auch die Reclaim the Dirndl-Gruppe, die das Dirndl nicht den Rechten überlassen wollen. Woher stammt dieses Interesse?

Das zeugt weniger von Begeisterung als vielmehr von Gesellschaftskritik. Das sind alles kluge Frauen, von denen die ersten beiden international als Künstlerinnen reüssieren, die sehen und hören, was ihr Alltagsleben beeinflusst. Das verwandeln sie dann meisterhaft in Kunst um. Die Reclaim the Dirndl-Frauen wollen es für sich nutzen, lassen sich aber nicht vorschreiben, wie sie es zu tragen haben. Also gestalten sie es um. Genauso funktioniert Kultur.

Katharina Hohenstein
Katharina Hohenstein
Vinschger Sonderausgabe

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