Zeitgenössische Jugendkultur
Publiziert in 25 / 2007 - Erschienen am 4. Juli 2007
Die große Masse der Jugendlichen ist gebildet, aufgeschlossen und lebensfroh: aber halt etwas anders als die frühere Jugend.
Von Werner Wallnöfer (ww)
Es gibt heute nicht mehr den genormten typischen Jugendlichen, genauso, wie es den typischen Erwachsenen nicht mehr gibt. Das kann für die Gesellschaft verwirrend sein, vor allem wenn man in das Leben der Jugend keinen Einblick hat. Man spricht in der Gesellschaftsforschung von der Vervielfältigung der Lebensstile, die im Zuge der gesellschaftlichen Individualisierung Platz gefunden hat. Wir können heute unsere Persönlichkeit also freier ausleben als früher. Nun hat sich eine Vielzahl von Jugendszenen gebildet. Der im Vinschgau vor etwa 10 bis 20 Jahren noch vorherrschende Bruch zwischen „Rattler“ (Punks usw.) und „Normalen“ ist längst überwunden. Der Jugendliche entscheidet mehr oder weniger frei, welcher Szene er angehören möchte. Die „gesunden“ Jugendszenen widmen sich dabei vorwiegend dem Sport, der Musik und den neuen Medien. Drei von vier Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren fühlen sich einer Jugendszene zugehörig. Nach außen hin kommunizieren sie ihre Zugehörigkeit über den „Szene-Code“: sprich Kleidung, Sprache, Mimik und Gestik. So grenzen sie sich zum einen vom Kind-Sein und zum anderen von den Erwachsenen ab, wobei es für Jugendliche zunehmend schwieriger wird, sich von den Erwachsenen abzugrenzen. Vielfach kaufen heute Erwachsene jugendliche Mode, üben trendige Sportarten aus und rocken am Wochenende in den Discos ab. Die Erwachsenenwelt besetzt zunehmend Jugendthemen. Wahrscheinlich auch, weil Erwachsene viel später die Elternrolle übernehmen wollen. Deshalb fühlt sich der Jugendliche genötigt, sich ständig neu abzugrenzen, zuweilen auch in radikalisierter Form.
Grundsätzlich gilt es jedoch festzuhalten, dass der überragende Teil der Jugendszene gesellschaftspolitisch kein Problem darstellt. Zwar entwickeln die Szenen eigene Wertehaltungen, die mit den lokalen Werten nicht unbedingt passgenau übereinstimmen. Doch sind die Grundwerte wie Familie, Bildung und Frieden auch bei der heutigen Jugend gültig (vgl. dazu die Ergebnisse der letzten Jugendstudie in Südtirol).
Bloß ist erkennbar, dass Erwachsenenszenen, wie der Verein für christliche Erziehung und Schule oder der Schützenbund, den Jugendlichen die Freiheit, ihre Lebenseinstellung selbst zu definieren, teils abspricht. Eine weitaus bessere Strategie hat Südtirol mit der Förderung der so genannten offenen Jugendarbeit eingeschlagen, welche sich zum Ziel setzt, „sich an der Seite der Jugendlichen und ihren Cliquen für die Belange der jungen Menschen einzusetzen und sie durch die zum Teil rasanten Veränderungsprozesse zu begleiten“ (Quelle: Das OJA! Dokument, Die Grundlagen der Offenen Jugendarbeit in Südtirol). Anstatt sich also dem sinnlosen Versuch hinzugeben, den Jugendlichen eine Leitkultur aufzuzwingen, will man die jungen Menschen begleiten und ihnen im Notfall zur Seite stehen. Im letzen Jahrzehnt wurden zahlreiche neue Jugendtreffs und –zentren errichtet. Interessant ist die Tatsache, dass sich nicht notgedrungen alle Jugendszenen in den Jugendeinrichtungen wohl fühlen, ja diese teils scharf kritisieren. Es ist eben auch dies Ausdruck der unübersichtlichen Vielfalt der Jugendszenen, welche sich auch gegenseitig in teils heftigen Konflikten gegenüberstehen.
Alkohol und Drogen
Schlagzeilen machen in den Medien immer wieder der Alkohol- und Drogenkonsum. Mittlerweile ist die Suchtproblematik derart hochstilisiert worden, dass es fast den Anschein hat, als ob die Drogenwelle der 70er Jahre in den Schatten gestellt würde. Um die aktuelle Situation zu analysieren, eignet sich die beispielhafte Situation um das krisengeschüttelte „School’s Out Festival“ in Bozen. Im Vergleich zur Ausgabe 2006 schrumpfte die Besucherzahl heuer auf rund ein Zehntel zusammen. Dafür ist sicher das Alkoholverbot ausschlaggebend, das heuer verhängt worden ist. Die Kritik von Teilen der Erwachsenenwelt folgte auf den Fuß: Die Jugendlichen von heute könnten ohne Alkohol nicht anständig feiern.
Ganz salopp gesagt, beweist die Geschichte unseres Landes aber, dass man das noch nie konnte. Warum sollte dies dann die Jugend von heute können? Kein Wiesenfest kommt ohne Bier- und Schnapsbude so richtig in Schwung, kein Schützenfest wird ohne Alkohol „fröhlich“. Hier lebt ein ganzer Wirtschaftszweig von der lokalen Fest- und Gasthauskultur.
Alkoholkonsum wird also nicht von den Jugendlichen neu erfunden. Mit dem Drogenkonsum verhält es sich etwas anders. Zwar haben den Konsum leichter Drogen in Jugendjahren selbst hochrangige Politiker zugegeben. Dennoch wird der Konsum bei Jugendlichen als „Kapitalverbrechen“ hochstilisiert und vom Gesetzgeber entsprechend scharf kriminalisiert. Auch hier trügt beim gefühlten Ausmaß der Problematik der Schein. Es werden nicht bedeutend mehr oder weniger Drogen konsumiert als in anderen Generationen konsumiert wurden. Und es werden wohl auch annähernd gleich viele Drogenopfer zu erwarten sein. Also befinden wir uns insofern im „grünen“ Bereich, als dass der Konsum nicht merklich höher ist, als in vergleichbaren Regionen Europas.
Gewaltbereite Randkulturen
Als bedenklich empfunden wird der derzeit feststellbare Rechts- bzw. Linksruck unter Jugendlichen. Seit einiger Zeit ist das Problem im Burggrafenamt aktuell, wobei auch in diesem Fall die Berichterstattung der Medien das Ausmaß überbewertet hat. Nun sind jedoch auch Fälle in der Schlanderser Gegend bekannt, bei denen es zu Handgreiflichkeiten zwischen Jugendlichen kam. Jugendliche berichten, Naziparolen gehört zu haben. Die Jugendszene der linksorientierten Skinheads hingegen schmücken ihre Jacken mit Plaketten, auf denen etwa Gegenparolen wie „Good Night White Pride“ (Gute Nacht weißer Stolz) gestickt sind. Wie europaweit üblich, hat auch bei uns dieser Konflikt zwischen Jugendlichen Einzug gefunden. Es sind wenige Jugendliche, die sich mit diesen Randkulturen identifizieren. Da sie jedoch über ihren Szene-Codes, also vor allem ihrer Kleidung, ganz klar nach außen kommunizieren, „Seht her, ich bin Nazi“ oder „Seht her, ich bin Skinhead“, fallen sie natürlich auf. Dies hat zu einer vielleicht übermäßigen Sensibilisierung der Bevölkerung geführt. Als völlig unakzeptabel gilt jedenfalls die latente Gewaltbereitschaft dieser Jugendlichen. Ob Vandalenakte hauptsächlich diesen beiden Jugendszenen zuzuschreiben sind, bleibt offen. Ein interessantes Detail sind die Unterscheidungsmerkmale der gegenübergesetzten „linken“ und „rechten“ Gruppierungen, denn es gibt praktisch für den normalen Betrachter keine. Beide Gruppierungen haben als vorwiegenden Kleidungs-Code Springerstiefel (mit allen möglichen Schuhbänderfarben, vorwiegend weiß oder rot), enge Jeans, Polohemden, Bomberjacken und Glatze.
Wie Carabinieri-Hauptmann Marco D`Addato dem „Vinschger“ versichert, würden die Sicherheitsbehörden die lokale Situation aufmerksam beobachten. Inwieweit Mitglieder des Schützenbundes radikalisiert sind, bleibt auch offen. Es gibt keine zuverlässigen Quellen, die den Rechtsruck abschätzen können. Was bleiben, sind einzelne isolierte Episoden einzelner Schützen.
Der frühere Vizeobmann der Jungen Union, Valerian Wallnöfer, distanzierte sich hingegen im Gespräch von rechtsradikalem Gedankengut und konnte glaubwürdig darlegen, dass es in Göflan keine Auffälligkeiten bezüglich Rechtsradikalismus gäbe. Man pflege eben einen gesunden Patriotismus. Dies obwohl unter Jugendlichen gern gemunkelt wird, dass Göflan eine Hochburg von „Nazis“ sei.
Wo kein Kläger, da kein Richter
Trotzdem, einige Jugendliche sind beunruhigt, vor allem jene, die Opfer von Übergriffen wurden. Laut Elmar Niederbrunner vom Netzwerk der Jugendtreffs und -Zentren Südtirols (Dachverband der offenen Jugendarbeit) kann eine Gewaltzunahme gegenüber früheren Generationen statistisch nicht nachgewiesen werden. Gewalt gab es unter Jugendlichen auch früher. Vielmehr seien die Gewalttäter jünger geworden, die Gewalt an sich qualitativ anders. Dennoch glaubt laut Statistik etwa ein Drittel der Jugendlichen, dass man Interessen mit Gewalt durchsetzen kann. Hier lernen Jugendliche bestimmt von der Erwachsenenwelt. Wenn ein 12-Jähriger etwas gegen Ausländer habe, dann spiele wohl das Elternhaus oder zumindest jenes der Kollegen eine Rolle. Auch die Zivilcourage der Erwachsenen lässt zu wünschen übrig. Es sei in unserer Gesellschaft viel zu oft normal, wenn Hass geschürt würde, etwa am Stammtisch in der Kneipe, bei Feiern usw.
Was kann aber die Gesellschaft tun, wenn das Gewaltproblem wächst? Nach den Ratschlägen der Internetplattform gegen (rechte) Gewalt gilt folgendes:
Seien Sie solidarisch mit Opfern von Gewalt!
Polizei rufen, als Zeuge aussagen, Hilfe suchen
Opfer eines Übergriffs zu werden, ist traumatisch. Sie müssen kein Held sein. Sehen Sie nur nicht weg & sagen Sie etwa als Zeuge aus.
Wenn Sie Zeuge oder Zeugin eines Angriffs werden:
- Organisieren Sie Hilfe (z.B. rufen Sie die Polizei, Tel. 112).
- Lassen Sie die Betroffenen nicht allein. Stellen Sie sich öffentlich auf die Seite der Opfer.
-Bieten Sie den Betroffenen an, als Zeuge oder Zeugin gegen den Täter vor Gericht auszusagen.
Also sollte die Gesellschaft den Mut haben, Gewalthandlungen, von welcher Seite auch immer mit Zivilcourage zu begegnen Wo kein Kläger, da kein Richter.
Bringen sie Übergriffe zur Anzeige!
Werner Wallnöfer