„Wer nichts tut, kann nicht scheitern”
Publiziert in 28 / 2014 - Erschienen am 30. Juli 2014
Reinhold Messner, der wohl bekannteste Südtiroler, wird 70 Jahre alt. Im Interview mit dem
der Vinschger blickt er zurück und nach vorn und antwortet auch auf recht persönliche Fragen.
der Vinschger: Herr Reinhold Messner, es gibt vermutlich wenige Südtiroler, deren Name international so oft genannt wird wie der Ihre. Erfüllt Sie das mit Stolz?
Reinhold Messner: Nein. Es ist eine Tatsache, die Vor- und Nachteile bringt.
Wenn man von Ihnen spricht, egal ob im Gasthaus oder in Expertenrunden, heißt es oft, dass das eigentliche Wunder nicht das ist, was Sie auf den Bergen unbestritten geleistet haben, sondern die Tatsache, dass Sie schlicht und einfach immer noch leben. Sehen Sie das auch so?
Viele meiner Zeitgenossen, die während meiner aktiven Zeit top waren und ähnliche Taten wie ich wagten, haben nicht überlebt. Von den rund 50 Personen, auf die ich mich beziehe, sind vielleicht noch 5 am Leben. Dass ich immer noch da bin, ist tatsächlich ein kleines Wunder. Ich hätte mehrmals umkommen können oder müssen. Dass es nicht geschah, führe ich auf Vorsicht zurück, auf Erfahrung und natürlich auch auf Glück.
Sind Sie ein Egoist?
Ja. Alle Menschen, die ich kenne sind Egoisten. Wer das Gegenteil behauptet, lügt. Der Egoismus liegt in unseren Genen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht zugleich auch altruistisch sind. Ich meine altruistisch im kleinen Kreis. Wer zum Beispiel ist nicht bereit, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um seine Kinder zu retten? Es ist der Instinkt, der uns treibt, wir handeln aus Egoismus und werden Altruisten. Im großen Kreis, also über die eigene Familie und Sippe hinaus funktioniert der Altruismus nicht. Es gibt keinen Instinkt, der uns global dazu treibt, völlig uneigennützig zu handeln.
Wer einen Blick auf Ihr Lebenswerk wirft, dem fällt vor allem eines auf: Neben Ihren weltweit anerkannten Leistungen als Kletterer, Höhenbergsteiger und Grenzgänger durch Wüsten und Eispole waren bzw. sind Sie auch Naturschützer, Politiker, Museumsgründer, Bergbauer und Erzähler. Gibt es einen gemeinsamen Nenner all dieser doch recht unterschiedlichen Tätigkeiten?
Ja, einen gemeinsamen Nenner gibt es. Ich bin im Grunde ein Kreator, ein schaffender Mensch. Zuerst kommt die Idee, dann die Tat. Ich bin dabei, was ich tue. Dieser Grundsatz trifft auf alles zu, was ich getan habe oder noch tue. Als ich einst die Vision hatte, die Ortler-Nordwand auf einer neuen Route zu besteigen, war zuerst die Idee da, dann die Tat, die ich ausführte. Bei den Achttausendern war es dasselbe, ebenso bei meinen Büchern oder meinen kulturellen Projekten wie die Gestaltung der sechs Museen.
Alle Menschen haben Ideen.
Ja, aber ich will sie auch umsetzen. Dazu braucht es nicht nur Können, Motivation, die richtigen Partner, die nötigen Mittel und weitere Voraussetzungen, sondern vor allem Mut. Wer nicht den Mut hat, die eigenen Ideen umzusetzen, kann nicht einmal scheitern.
Zum Beispiel?
Als es darum ging, die Museumsidee hier auf Schloss Sigmundskron zu schaffen, war ich felsenfest überzeugt, dass es ein erfolgreiches Projekt würde. Ohne das Vertrauen, das mir der damalige Landeshauptmann Luis Durnwalder entgegenbrachte, hätte ich diese Vision aber nicht umsetzen können. Durnwalder hat mir vertraut und das Museum „Firmian” ist tatsächlich ein großer Erfolg geworden. Ein Erfolg, von dem das ganze Land profitiert. Es kommen pro Saison zigtausend Gäste nach Südtirol, nur um dieses und weitere meiner Museen zu besuchen. Dass damit indirekt eine beachtliche Wertschöpfung entsteht, liegt auf der Hand. Schließlich müssen die Gäste auch irgendwo schlafen, essen, tanken, einkaufen und vieles mehr.
Lassen Sie uns wieder etwas geistiger werden: Sind Sie ein gläubiger Mensch oder anders gefragt: Ist nach dem Tod alles aus?
Der Glaube an sich hat mit dem Tod nichts zu tun. Wenn wir sterben, lösen sich Zeit und Raum für uns auf. Was hier auf Erden übrig bleibt, ist Erinnerung in anderen, sonst nichts. Ich glaube nicht an einen postulierten Gott. Alle bekannten Götter sind von Menschen „gemacht“. Trotzdem schließe ich nicht aus, dass es eine Dimension des Kosmos gibt, die für unseren Verstand nicht zugänglich ist. Ich bin kein Atheist, sondern ein Possibilist, also einer, der das „Göttliche“ nicht kategorisch ausschließt.
Sie werden am 17. September 70 Jahre alt. Fühlen Sie sich alt?
Nein. Ich fühle mich weder jung noch alt. Natürlich bin ein älterer Herr. Die Ausdauer, die Schnelligkeit und auch die Leidensfähigkeit haben abgenommen. Ich habe mich in meinen Zielen zurückgenommen. Bestimmte Abenteuer gehen nicht mehr! Abgesehen davon hätte ich heutzutage auch als junger Mensch wenig Lust für bestimmte Projekte, wie zum Beispsiel die Gründung einer Firma, das Machen eines Films, den Bau eines Hauses oder einer Wohnung. Als ich in den 1970er Jahren zum ersten Mal baute, war das noch relativ einfach. Heute hat sich die Bürokratie vervielfacht. Ich hätte weder die Kraft noch die Geduld, mich durch tausend Regeln, Bestimmungen und Zettel zu wühlen. Immer im Widerstand gegen lokale Behördenvertreter.
Wird man schon mit 40 Jahre weise, mit 70 oder überhaupt nie?
Ich weiß es nicht. Vielleicht mit 70 (lächelt).
Wie sehr hat Ihre Kindheit Ihr Denken und Tun beeinflusst?
Meine Eltern waren nicht selbst Bauern, aber ich habe beim Großvater und bei Verwandten gemäht, Kühe gemolken, Holz gesammelt und alles das getan, was Bergbauern tun. Die Kindheit hat mich wesentlich geprägt. Ich lernte wie wichtig die Selbstversorgung ist. Sie ist die größte soziale Sicherheit, vor allem in Krisenzeiten. Dass ich selbst zum Bergbauer und Selbstversorger wurde, hat mit meinen Erfahrungen in der Kindheit zu tun.
Wovon träumten Sie als junger Mensch und wovon heute?
Meine Träume sind seit 60 Jahren ähnlich geblieben. Als ich jung war, träumte ich von Erstbegehungen, dann von Durchquerungen, Tibet, Wüsten, Polen, später von kulturellen Projekten, seit 20 Jahren von Museen. Ich träume noch immer. Auch in den nächsten Jahren werde ich eine Art Tagträumer bleiben: ich lebe in die offene Welt hinein. Meine jetzigen Träume gehen über die Museen hinaus. Ich möchte ein oder zwei Spielfilme machen. In Südtirol. Mal schauen, ob die Filmförderung bei mir ebenso greift wie bei anderen.
Gibt es Dinge, die Sie aufrichtig bereuen oder von denen Sie sagen: hier habe ich wirklich einen Bock geschossen?
Ich habe in meinem Leben viele Böcke geschossen.
Zum Beispiel?
Als ich 1995 auf Juval von der Schlossmauer stürzte.
Von Propheten heißt es, dass sie in ihrer Heimat nichts gelten. Sehen Sie sich manchmal als so ein Prophet in Südtirol?
Ich bin kein Prophet. Allerdings kann es sein, dass meine klare und radikale Ausdrucksart manche Leute aufgeregt hat, zum Teil immer noch aufregt. Dafür habe ich auch Verständnis. Der Aufschrei und die Kritik, die mir entgegengebracht wurden, als ich mich einst zu Themen wie jenem der Option äußerte, sind mittlerweile abgeflaut. Im Grunde habe ich Recht behalten und es ehrt mich, wenn im Landesmuseum für Kultur- und Landesgeschichte Schloss Tirol ein Aussage von mir zu lesen ist: „Ich bin weder Deutscher, noch Österreicher, auch kein Italiener; ich bleibe Südtiroler, Europäer und Weltbürger.“ Nationalismen jeder Art waren mir immer suspekt, sie sind gefährlich. Darauf hat kürzlich bei der Tagung „Europa der Regionen“ auf Schloss Prösels auch der Schriftsteller Robert Menasse ganz klar hingewiesen. Hoffentlich bekommen wir ein Europa der Regionen.
Wie stehen Sie zu einer Makroregion Alpen?
Eine solche Region würde rund 60 Millionen Einwohner umfassen. Die Gefahr dabei sehe ich darin, dass dabei die Städter bestimmen würden, was für die Alpen gut ist und was nicht. Ich nenne als Beispiele das Thema Wasser und Energie. Die Energieversorgung gehört zu den wichtigsten Themen der Zukunft. Weltweit. Dazu kommt die Ressourcenknappheit. Wir brauchen nur zu schauen, was die Chinesen machen. Sie kaufen bald Afrika auf. Die Energie in unserem Land muss unseren Leuten zu Gute kommen, angefangen bei einem bezahlbaren Preis. Die Ressource Wasser gehört uns. Wir stehen international vor sehr großen Herausforderungen. Das betrifft nicht nur die knapper werdenden Ressourcen, sondern auch die ökologische und soziale Entwicklung weltweit.
Wie muss ein Mensch sein oder was muss er tun, damit er Ihren Respekt verliert?
Wenn jemand Menschenrechte verletzt. Mir ist jede Art von Ausgrenzung ein Greuel. Ausgrenzung aufgrund der Hautfarbe ebenso, wie Ausgrenzung von Frauen, Andersdenkenden, anderen Volksgruppen oder von Menschen, die einen anderen Glauben haben oder auch nur andere Ansichten als man selbst.
Wie vielen Menschen vertrauen Sie Ihr Innerstes an?
Meinen Familienangehörigen und Freunden...(kurze Pause)...aber wissen wir auch, was unser Innerstes ist?
Wenn er vom Bergsteigen redet, geht das in Ordnung, sonst aber sollte sich der Messner heraushalten, vor allem aus der Politik. Auch diesen Spruch hört man von vielen.
Dieser dumme Ausspruch stammt von Silvius Magnogo und die Medien haben ihn begeistert übernommen. Wir leben in einer Demokratie und jeder Bürger darf, soll und muss das Recht haben, sich politisch zu äußern. Ich habe das immer getan, tue es auch derzeit und werde es auch in Zukunft tun. Dass die SVP vor Durnwalder Menschen mit Zivilcourage und meist mittlerem Bildungsgrad diskreditieren musste, gehört nicht zu ihren Ruhmestafeln. Ich habe übrigens nichts gegen Silvius Magnago. Im Gegenteil, er hat uns Südtirolern die Autonomie gebracht. Was mir weh tut, ist die Art, mit der man mit seinem Nachfolger Luis Durwalder nach dessen Ausscheiden als Landeshauptmann umgeht. Durnwalder hat ein paar Fehler gemacht, wie jeder, der viel entscheidet, aber er hat unendlich viel für Südtirol geleistet.
Wie wichtig ist Ihnen Geld?
Geld ist die Voraussetzung, um gestalten zu können. In Südtirol habe ich aufgrund von Ausgrenzung kaum Geld verdient. Nur dank meines internationalen Namens ist es mir gelungen, im Ausland zu bestehen. Ohne die dort erarbeiteten Mittel wäre es nicht möglich gewesen, 100 und mehr Expeditionen zu finanzieren und im Lande zuletzt fünf Museen zu hinterlassen.
Angenommen, wir schreiben das Jahr 2100: Was wird von Reinhold Messner übrig bleiben?
Ich wette, dass meine musealen Strukturen bestehen bleiben. An mich wird vielleicht als Gründer erinnert werden. Aber das ist nicht wichtig, spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass nach mir ein kreativer Kopf die Weiterführung der Museen in die Hand nimmt und der traditionelle Alpinismus weiterbesteht.
Sulden zehrt von Ihnen. Gilt das umgekehrt auch?
Sulden liegt mir am Herzen. Es ist mir gelungen, einen kleinen Hof dorf wiederzubeleben, zu schließen, sein weiteres Bestehen zu sichern. Meine besondere Beziehung zu Sulden habe ich ganz klar Paul Hanny zu verdanken. Er hat immer und überall geholfen, auch beim Bau meines Museums in Sulden. Um vor allem jungen Menschen das Skifahren zu einigermaßen erschwinglichen Preisen zu ermöglichen, habe ich zuletzt in Sulden eine Pension erworben. Sie stand leer und leere Häuser möchte ich in Südtirol keine sehen. Das „Messner Mountain Biwak” ist als einfache Frühstückspension konzipiert, wo junge Leute oder auch Gruppen günstig übernachten können.
Am 31. Juli um 21 Uhr halten Sie im Freizeitzentrum Sulden einen Multimedia-Vortrag zum Thema „Über Leben“. Warum dieser Titel und worauf darf sich das Publikum dieses Mal freuen?
Zu meinem 70. Geburtstag bringe ich das Buch „Über Leben“ heraus. Mit dem Titel wird auf die drei Hauptkapitel im Buch verwiesen: „Üb erleben, Überleben, Über Leben.“ Diese spiegeln meinen Werdegang wider. Im ersten Lebensabschnitt ging es ums Üben, das Erlebnis; im zweiten um das Überleben und im dritten um das Wissen vom Leben. Erzählen kann nur, wer überlebt, und überleben kann nur, wer das Leben begreift. In diesem Buch nehme ich ganz offen und unverblümt zu 70 Begriffen Stellung. Das reicht von Geburt bis Tod, von Mut bis Angst, von der Option bis zur Zukunft unseres Landes. Im Vortrag werde ich auf etwa 20 dieser Begriffe bzw. Werte näher eingehen.
Wo fühlen Sie sich richtig zu Hause?
Hinter jeder Tür, hinter der ich meine Familie treffe. Im Moment im Schloss Juval.
Interview: Sepp Laner
Josef Laner