„Martell braucht mehr Mitsprache bei Park und Energie“
Publiziert in 30 / 2010 - Erschienen am 1. September 2010
Martell – Das Besondere am Marteller Neo-Bürgermeister Georg Altstätter ist weder sein Alter, noch sein Karrieresprung vom Postboten zum Bürgermeister und auch nicht die hauchdünne Mehrheit von 10 Stimmen nach der Wahl am 16. Mai. Das Besondere besteht erstens darin, dass er als Sohn eines Staudammwartes an jenem Ort aufgewachsen ist, an dem sich das wirtschaftliche Schicksal der Berggemeinde entscheiden könnte, zweitens, dass er alles andere als ein Politneuling ist. Der 1971 geborene Bürgermeister ist seit frühester Jugend über die Junge Generation der SVP in die öffentliche Verantwortung hinein gewachsen, hat seit 1993 als Sportpräsident Martell auch zum Biathlon-Tal gemacht, saß seit 2000 als Referent und seit 2008 als Vizebürgermeister im Gemeinderat.
von Günther Schöpf
„Der Vinschger“: Muss man bei 10 Stimmen Vorsprung nicht dauernd im Hinterkopf haben, die Hälfte minus 10 der 795 wahlberechtigten Marteller wollten jemand anderen?
Georg Altstätter: Dass es für mich nicht einfach wird, das hab ich gewusst. Aber es gibt nicht zweierlei Marteller. Es gibt keine unterschiedliche Behandlung für diejenigen, die mich nicht gewählt haben. Jetzt liegt es auch am gesamten Gemeinderat, die Bürger wieder an einem Strang ziehen zu lassen.
Es stellt sich natürlich die Frage: Haben sich die Turbulenzen nach der Bestellung des Ausschusses oder nach der Abrüstung des Wirtschaftsvertreters Stefan Kobald gelegt?
Georg Altstätter: Stefan Kobald kann man nicht als Wirtschaftsvertreter bezeichnen. Er ist Arbeitnehmer.
Aha, aber die Wirtschaft beklagt sich, sie ist nicht zufrieden und fühlt sich nicht vertreten.
Georg Altstätter: Dafür kann der Bürgermeister aber nicht verantwortlich gemacht werden. Außerdem kann man bei uns in Martell nicht alles so genau trennen, so zwischen Bauern und Wirtschaftsvertretern. Zum Beispiel betreibt der Vizebürgermeister Urlaub auf dem Bauernhof und einen kleinen Aufschank. Da kann man nicht mehr von einem reinen Bauernhof reden. Und auch ein anderer Gemeindereferent hat einen landwirtschaftlichen Betrieb und leistet als Einzelunternehmer wie viele Handwerker auch mit einem Lastwagen Transportdienste. Übrigens hat die Referentin Heidi Gamper ein Wirtschaftsstudium hinter sich. Also kann man nicht sagen, die Wirtschaft wäre nicht vertreten.
Kommen wir zum Wichtigsten in Martell, worüber auf jeden Fall zu reden ist. Ich denke an die Konzession am Marteller Stausee und an die Geldmittel aus der Stromgewinnung. Wie weit hat sich die neue Verwaltung schon damit befasst?
Georg Altstätter: Ich persönlich schon seit langem. Als Mitglied der SVP-Bezirksleitung, als Referent und als Vizebürgermeister hat man sich natürlich damit beschäftigen müssen. Ganz einfach ist zu sagen, dass ich und mit mir die Marteller der Meinung sind, dass wir am Kuchen mit naschen müssen und das nicht ganz zu wenig. Wir sind jetzt nicht die, die mit dem Kopf durch die Wand wollen, aber natürlich – und ich glaube das ist legitim – sollen wir Marteller und auch die Gemeinden Laas und Latsch einen Anteil abbekommen von dem, was hier erwirtschaftet wird. Ich bin der Meinung, dass die Marteller Bevölkerung in den letzten 60 oder 50 Jahren schon Nachteile erfahren hat. Wir haben die Almen und wir haben die vielleicht schönsten Plätze im Tal verloren und was noch schwerer wiegt, wir haben die ganzen Wasserkonzessionen ab Stausee bis zum Ortsteil Gand Fremden überlassen müssen. Damit hat Martell keine Möglichkeit, wie andere Gemeinden eigene E-Werke zu bauen. Daher ist es legitim, dass wir mitreden und was davon haben wollen.
In einem der letzten Verhandlungen Ihres Vorgängers hat, ich zitiere: „der Vertreter der Gemeinde Martell betont, dass sich die Beziehungen zur SEL AG, seit diese die Kraftwerksanlage von Edison zu 60 Prozent erworben hat, positiv und für die Gemeinde vorteilhaft entwickelt haben“. Das klingt nach Einigung. Droht hier ein Auseinanderdriften des „Dreibundes“ Martell mit Latsch und Laas?
Georg Altstätter: Ich glaube, die drei Gemeinden haben es sich abgesprochen, haben Briefe an den Landeshauptmann und an die Hydros geschickt und haben ganz klar die Bedingungen offen gelegt, unter denen sie einen Dialog beginnen möchten. Unter den drei Gemeinen sind wir uns einig, wann wir den Rekurs zurück ziehen wollen. Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht sagen.
Der neue Bürgermeister ist also ein sicherer „Dreibündler“ und schert nicht aus?
Georg Altstätter: Ich glaube, die Marteller Bevölkerung würde es mir nie verzeihen, wenn ich das täte. Sie hat so viel mitgemacht im Jahr der Stauseekatastrophe 1987, dass ihr jetzt Wiedergutmachung zusteht. Diese fordert sie auch, auf welchem Weg auch immer. Ausscheren oder nicht Ausscheren, wenn die Sache stimmt, werden wir dafür sorgen, dass sie für alle drei Gemeinden stimmt. Ich bin der Meinung, Martell hat am meisten Nachteile erfahren und Martell muss am meisten bekommen. Das kann ganz klar geschrieben werden.
Noch einmal Energiewirtschaft. Wie stehen die Bestrebungen, in Hintermartell, also im Nationalparkgebiet, ein E-Werk zu bauen? Gibt es dazu neue Entwicklungen?
Georg Altstätter: Das scheitert momentan an der gesetzlichen Lage im Nationalpark. Dazu wäre eine Gesetzesänderung in Rom notwendig. Verschiedene Politiker des Landes befassen sich mit dieser Angelegenheit, vor allem Senator Manfred Pinzger oder Karl Zeller in der Abgeordnetenkammer.
Bei einer Bürgerversammlung im Februar wurde festgestellt, dass bisher die Gemeinde der Hauptwirtschaftsfaktor im Tal gewesen sei, in Zukunft werde es darum gehen, die Privatwirtschaft zu stärken. Hat die neue Verwaltung diesbezüglich schon Akzente gesetzt oder Pläne geschmiedet?
Georg Altstätter: Die Situation ist nicht ganz einfach. Martell gehört zu den strukturschwächsten Gemeinden des Landes. Und ohne Hilfe von außen – sprich Land – ist kaum etwas zu erreichen. Man muss uns schon unter die Arme greifen. Wir haben mit der Abwanderung zu kämpfen und um diese aufzuhalten, brauchen wir Unterstützung. Wir haben Standort-Nachteile, die von außen kommen. Zum Beispiel durch den Nationalpark. Natürlich muss der nicht nur ein Nachteil sein, aber für die Entwicklung bestimmter Wirtschaftsbereiche ist er halt ein Nachteil. Ich muss daher sagen können: der Nationalpark wird von außen gewünscht, also muss auch etwas von außen kommen, damit die Bevölkerung etwas davon hat. Ich glaube nicht, dass der Nationalpark heute von den Martellern mehrheitlich angenommen würde. Wenn ich was aufdiktiert bekomme, muss ich auch einen Ausgleich haben.
Das war die Überleitung zum Thema Nationalpark. Martell hat doch auch einiges dem Park zu verdanken, trotzdem scheinen die Beziehungen sehr belastet zu bleiben.
Georg Altstätter: Man muss sicher auch das Positive sehen und ich bin persönlich nicht nur ein Kritiker des Parks. Es ist halt keine gute Stimmung unter den Bürgern. Die Hauptprobleme sind das Jagdverbot und der zu hohe Wilddruck. Wenn die Situation so bleibt, wie sie derzeit ist, kann ein Verwalter nichts machen und es wird immer ein negativer Anstrich bleiben.
„culturamartell“ oder die Wanderwege zum Beispiel werden also nicht angenommen?
Georg Altstätter: Man hat sich ja umgesehen. Es gab auch im Nationalpark Hohe Tauern Probleme, aber man ist sie dort besser angegangen. Dort kann man in bestimmten Zonen auch auf die Jagd gehen. Ich sehe eine Lösung auf lange Sicht eher darin, dass wir viel autonomer werden und aus dem Einflussbereich von Bormio kommen müssen, um einen ähnlichen Status wie die Naturparke des Landes zu erreichen.
Worin unterscheidet sich ein Texelpark vom Nationalpark Stilfserjoch oder welche Vorteile würden sich ergeben?
Georg Altstätter: Der große Knackpunkt ist der Wilddruck. Das hat auch zur Folge, dass überall Zäune errichtet werden müssen. Nicht nur um Sonderkulturen, auch um Grünflächen herum.
Warum errichtet man nicht einen einzigen Zaun am Waldrand entlang?
Georg Altstätter: Dann lastet der Wilddruck allein auf dem Wald. Geschätzte 350 bis 400 Hirsche tun sich dann am Schutzwald gütlich. Daher ist es unerlässlich, dass die Anzahl der Abschüsse auch in nächster Zeit beibehalten wird. Das Tal ist voller Lawinenstriche und die Folgen sind leicht auszumalen. Sicher könnte man auch vom Nationalpark einen Impuls erwarten, gemeinsam mit den Bauern Lösungen zu suchen, dass nicht jeder für sich einen Zaun aufzieht.
Es klingt aber so, als würdet ihr nur auf den Park warten.
Georg Altstätter: Als Gemeinde kann man nicht den Bauern vorschreiben, gemeinsam Zäune zu errichten. Es gibt sie zwar, zum Beispiel in Salt. Aber andernorts haben die Leute zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit den Sonderkulturen angefangen.
Also hat sich niemand für „culturamartell“ bedankt? Aber ihr habt doch auch beim Seerundweg vom Park profitiert.
Georg Altstätter: Ja beim Seeweg, der sehr gut ankommt, hat der Park mitfinanziert. Dafür und für die Erhaltung und Beschilderung der Wanderwege gebührt dem Park auch großer Dank. Sehr positiv ist natürlich, dass die neue Mitarbeiterin in „culturamartell“, die auch Aufgaben für den Tourismusverein übernimmt, vom Park bezahlt wird. Da müssen wir ansetzen, um dem Haus noch mehr Akzeptanz zu geben. Meine Meinung ist, wie gesagt, dass man den Park Hohe Tauern zum Vorbild nimmt und dass man versucht, eigenständiger zu werden.
Aber wo sind die Vorteile der Eigenständigkeit? Könnte man nicht auch Beiträge aus Rom verlieren?
Georg Altstätter: Es geht heute schon viel Geld von Bozen und von der EU in den Nationalpark-Topf ein. Außerdem habe ich gelesen, dass die Budgets der Nationalparks um 50 Prozent gekürzt werden sollen. Wenn das wirklich der Fall ist, wäre ein eigenständiger Weg um so gerechtfertigter.
Martell spielt ja auch in der aktuellen Diskussion über den Vinschger Tourismus eine bestimmte Rolle. Wie ist es Ihrem Tal seit dem Zusammenschluss mit Latsch ergangen?
Georg Altstätter: Martell hat was davon gehabt, das steht fest. Zu sagen ist, wenn die Kommunikation stimmen würde zwischen den Köpfen, wäre das Problem lange nicht so groß, wie es sich jetzt darstellt. Viele menschliche Ressourcen sind zu lange schon vergeudet worden, weil man miteinander streitet.
Günther Schöpf