Künast in Mals
Nur mit dem Tun sind Veränderungen möglich.
Mals - Angesichts der Klimakrise, der Zunahme der Weltbevölkerung, des wachsenden Verlustes der Artenvielfalt und weiterer Faktoren ist Handeln angesagt. Veränderungen lassen sich aber nicht mit endlosen Diskussionen herbeiführen, sondern nur mit konkretem Handeln. Das war einer der Grundtenöre des offenen Treffens mit Renate Künast, das am 12. Juni im vollbesetzten Kulturhaus in Mals stattgefunden hat. Künast war von 2001 bis 2005 deutsche Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Von 2014 bis Januar 2018 war sie Vorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Derzeit ist sie Mitglied des Bundestages. Es war Künast selbst, die bei der Initiativgruppe Hollawint angefragt hatte, nach Mals kommen zu dürfen, um zu erfahren, was es mit dem „Malser Weg“, der weltweit Wellen geschlagen hatte, auf sich hat. Organisiert hatten das Treffen die Gruppe Hollawint und die Grüne Fraktion im Landtag. Im Namen der Gemeinde willkommen geheißen wurde Künast vom Malser Bürgermeister Ulrich Veith.
Die Kraft der Veränderung
Auf die Frage der Moderatorin Brigitte Foppa, warum sie nach Mals kommen wollte, antwortete Künast: „Ich suche Menschen und Orte, die Veränderungen wollen und andere Wege gehen.“ Die „Kraft der Veränderung“ war auch der Leitfaden der Diskussion. Dass Veränderungen immer auch Widerstand auslösen, liegt laut Künast in der Natur der Dinge. Als unabdingbar für neue Konzepte und Wege nannte sie das Miteinander: „Alle müssen mitmachen. Die konventionellen Landwirte ebenso wie die Ökobauern, der Tourismus, die Bildung, die Konsumenten.“ Es gebe durchaus auch positive Entwicklungen. Als Beispiel nannte sie die Initiative „Stadt Land Food“ in Berlin. Es ist dies ein Festival für gutes Essen und gute Landwirtschaft. „Die Realität auf dem Land ist oft weiter als manche Debatten im Bundesstag“, sagte die ehemalige Ministerin. Für die Hollawint-Vorsitzende Martina Hellrigl ist Mals ein „Demokratie- und Nachhaltigkeitsexperiment“. Es habe Widerstand und Kritik gegen den „Malser Weg“ gegeben, nicht nur seitens der Bauern. Der „Weg“ verschwinde aber nicht, „denn es gibt viele interessierte und faszinierte Menschen, „die den Weg weitergehen.“
„Es war wie eine Welle“
Es sei erstaunlich, wie viel Energie in der Dorfgemeinschaft gebündelt werden konnte: „Es war wie eine Welle.“ Und auch mit einem Zitat wartete sie auf: „Wege entstehen dadurch, dass sie begangen werden.“ Die Landesbäuerin Antonia Egger verwies in ihrem Eingangsstatement darauf, „dass die Landwirtschaft schon jetzt im Wandel ist.“ Es gebe vermehrt Bemühungen für mehr Nachhaltigkeit im Anbau. „Viel Neues in der Landwirtschaft kommt von den Bäuerinnen“, so Egger. Sie sei keinesfalls gegen eine biologische Landwirtschaft: „Die Gesellschaft kritisiert uns sehr, dabei sind wir aber durchaus bereit für Veränderungen. Nicht aber von oben herab, denn wir wollen uns nichts aufdrängen lassen, nicht von der Politik und auch nicht von der Gesellschaft.“ Die Landesbäuerin verwies auch auf die bestehende Vielfalt in der Landwirtschaft. Anzusetzen gelte es u.a. bei einer besseren und preisgerechten Vermarktung regionaler Qualitätsprodukte. Für den Imker und Biobauer Daniele Piscopiello, der Grundflächen von St. Valentin a.d.H. bis Algund bewirtschaftet, liegt der Erfolg in der Vielfalt. Der Landtagsabgeordnete Hanspeter Staffler plädierte für eine neue Diskussions- und Dialogkultur. Der Kern des Widerstandes gegen den „Malser Weg“ ortet er in der Entwicklung Südtirols: „Auf eine stark bäuerlich geprägte Gesellschaft folgte eine Dienstleistungsgesellschaft.“
„Gesellschaft will mitreden“
Die Gesellschaft sei über Jahrzehnte hinweg bereit gewesen, „die Landwirtschaft zu unterstützen und die Steuerzahler taten dies mit Begeisterung.“ Der „Malser Weg“ zeige jetzt, „dass die Gesellschaft mit dieser Landwirtschaft nicht mehr zufrieden ist und mitreden will“, sagte Staffler. Es sei gegenseitiges Verständnis gefragt. Der Landesrat für Landwirtschaft und Tourismus, Arnold Schuler, bestätigte, dass es zu einer Distanz zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft gekommen sei. Man verlange von der Landwirtschaft Dinge, die kaum umsetzbar seien: „Viele habe keine Ahnung, wie Landwirtschaft konkret funktioniert.“ Unbestritten ist für Schuler, „dass es eine weitere Ökologisierung der Landwirtschaft geben soll und muss.“ Die Südtiroler Landwirtschaft habe bereits bisher vieles geleistet und europaweit eine Vorreiterrolle eingenommen, speziell was den integrierten Obstanbau betreffe. Als zentrales Thema der laufenden Legislaturperiode nannte der Landesrat die Artenvielfalt. Eine Weiterentwicklung in Richtung mehr Nachhaltigkeit sei aber nur „gemeinsam möglich.“ Schuler rief dazu auf, „die Seele der Bauern zu verstehen. Die Nachhaltigkeit ist in unseren Genen, wir sind kleine Familienbetriebe und keine Agrarindustrie, wie es oft dargestellt wird.“
„Nachhaltigkeit in den Genen“
Selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe Südtirol in mehreren Bereichen als Vorzeigemodell hervorgehoben. Nicht regeln lasse sich die Thematik mit Abstimmungen, denn die direkt betroffenen Landwirte seien nun eine kleine Minderheit. Künast warf ein, dass man nicht so tun sollte, „als gehe es gegen die kleinen Bauern.“ Das wirkliche Problem seien die großen internationalen Chemie- und Saatgutkonzerne, „die sich altes Bauernwissen angeeignet haben.“ Sie habe nichts gegen landwirtschaftliche Kleinbetriebe, „aber man darf nicht stehen bleiben, sondern man muss gemeinsam neue Ideen und Konzepte entwickeln. Nur wollen ist zu wenig, wir müssen.“ Es seien radikale Schritte zu tun. Die rund 40 Milliarden Euro, die von der EU jährlich für den Agrarbereich zur Verfügung gestellt werden, seien „in Richtung ökologische Landwirtschaft umzustellen.“ Die Menschen wollen gesund leben und sind nicht bereit, „freiwillig Pestizide zu sich nehmen.“ Künast nannte eine Reihe von Städten, die auf biologische Lebensmittel setzen.
Regionale und gesunde Produkte
Dass auch im „Genussland Südtirol“ immer mehr Gäste regionale, gesunde und vielfältige Produkte suchen, belegte Friedrich Steiner vom Biohotel „Panorama“ in Mals mit Zahlen aus dem eigenen Betrieb. Ein besonderes Augenmerk lege das Hotel auf den Kauf regionaler Produkte zu fairen und gerechten Preisen. Würde der Einkauf an Fleisch aus der Region, wie ihn sein Betrieb jährlich tätigt, auf Südtirol hochgerechnet, käme ein Betrag von geschätzten 90 Millionen Euro für die Viehbauern zusammen. „Wo es derzeit arg hapert, ist auch die Vielfalt“, so Steiner. Er selbst behelfe sich mit betriebseigenen Anbauflächen. Es gelte, „regional und lokal einzukaufen und darauf zu achten, dass die Zwei- und Drei-Sterne-Betriebe nicht kaputt gemacht werden.“ Evi Keifl, die landesweit Initiativen im sozialen, feministischen und ökologischen Bereich angestoßen hat, kann die Behauptung, wonach die Verbraucher das Heft in der Hand haben, nicht mehr hören: „Wir müssen den Spieß umdrehen und endlich zu einer Kostenwahrheit kommen.“
Vom Reden zum Tun
Seit Jahrzehnten werde über dieselben Themen diskutiert: „Es ist höchste Zeit, vom Reden zum Tun zu kommen. Das ist das Gebot der Stunde.“ Auch die Aufschreie und Appelle, wie sie von der weltweiten Bewegung „Fridays for Future“ ausgehen, seien nicht neu. Es gebe sehr wohl positive Beispiele und Ansätze. Zum Thema Landwirtschaft meinte Keifl: „Wir sollten nicht aufeinander losgehen. Das ermüdet alle. Wir brauchen euch Bauern und ihr braucht uns. Wir haben ein enormes Interesse an dem, was ihr tut.“ Als etwas, was man nicht tun sollte, bezeichnete Staffler - in Richtung Landesrat Schuler und SVP - die Versenkung des Gesetzentwurfes „Bestimmungen auf dem Gebiet des Pflanzenschutzes“. Die „Grüne Ökowende 2030“ wurde unlängst vom II. Gesetzgebungsausschuss des Landtages mehrheitlich abgelehnt. Dass in der Gemeinde Mals nicht nur geredet, sondern auch gehandelt wird, zeigte sich bei der Diskussion. „Die Sozialgenossenschaft Vinterra baut mittlerweile auf über 3 Hektar Bio-Gemüse an“, informierte Martina Hellrigl, auch wenn Schwierigkeiten und Herausforderungen zu bewältigen seien, wie etwa die Vermarktung: „Solche Initiativen haben Zukunft, wenngleich wir sehen, wie immer wieder neue Apfelplantagen aus dem Boden schießen, biologische oder nicht.“
Beispiel Matsch
Auf über 40 Prozent angewachsen ist in Matsch indessen laut Anja Matscher der Anteil der biologisch bewirtschafteten Flächen. 13 Betriebe im Matscher Tal haben sich bisher im Rahmen des Projektes „Bio Tal Matsch“ beraten lassen. Besonders wichtig sei die persönliche Beratung. Die Realität vor Ort sei oft beinhart. Über die Ansätze im Matscher Tal hatte sich Künast am 12. Juni bei Besichtigungen und Aussprachen informiert. In seinem Schlusswort meinte Schuler, dass es einen Obstbau ohne Pflanzenschutz nicht geben werde. Allerdings solle versucht werden, den Anbau so ökologisch wie möglich zu gestalten. Schuler kündigte ein Treffen internationaler Wissenschaftler an. Im Rahmen eines „Gesellschaftsvertrages“ solle sich zeigen, „wie sich die Realität darstellt und nicht eine ‚heile Welt’“. Es solle eine offene Diskussion zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft geben. Schulers Meinung, wonach die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs der wachsenden Weltbevölkerung eine Herausforderung für die Landwirtschaft sei, teilte Künast nicht: „Wenn die nördliche Hälfte der Welt weiterhin derart intensiv Landwirtschaft betreibt, wird es zu einem Kollaps kommen.“ Zu einem „Gesellschaftsvertrag“ gehöre auch die Jugend: „Was hinterlassen wir?“ Der Faktor Ernährung wird laut Künast auch im Tourismus eine immer größere Rolle spielen. Künasts Schlusssatz: „Erhalten durch Aufessen.“