Hans Dietl - Vordenker und Rebell aus Göflan
Publiziert in 43 / 2007 - Erschienen am 5. Dezember 2007
Nach dem Buch über Silvius Magnago nun eine Biografie über Hans Dietl. In ein paar Tagen stellt der frühere FF-Journalist Hans Karl Peterlini in der Bibliothek Schlandersburg das Buch „Hans Dietl. Biografie eines Südtiroler Vordenkers und Rebellen“ vor. Dem Macher der Südtirol-Autonomie, Silvius Magnago, wird damit sein hartnäckigster Widersacher gegenüber gestellt. Wie es sich für eine korrekte Berichterstattung gehört, ließ Peterlini beide Seiten zu Wort kommen - eben in bester Journalistenmanier. Ohne zu wissen, wie die Biografie angelegt ist und in Anbetracht der Tatsache, dass der Autor dem „Vinschger“ schon Hinter- und Beweggründe seines Buchprojektes und das eigentlich Rebellische an Hans Dietl enthüllt hat, bleibt nur mehr der subjektive Versuch, Bedeutungsvolles hervorzuheben und ein Stimmungsbild zu zeichnen.
Von Günther Schöpf
Dazu waren die Gespräche mit den „Göflaner Ureinwohnern“, dem ehemaligen Lehrer Karl Alber (70), dem ehemaligen Bezirksobmann des Bauernbundes und SVP-Ausschussmitglied Josef Pircher (Stabner, 70) und dessen Frau Monika geborene Dietl, ein wahrer Glücksfall.
Zwar lehnte Karl Alber (im Bild) es strikt ab, „Dorfchronist“ genannt zu werden und weigerte sich, über Hans Dietl etwas zu sagen, erstens weil er „damals nicht im Einklang mit der SVP war, aber auch nicht mit der Sozialdemokratischen Partei Dietls, der SPS“, zweitens, weil es sehr viele Göflaner gäbe, die viel mehr über den berühmten Landsmann wüssten. Der Sammler und Bewahrer Alber tat aber für einen Zeitungsschreiber etwas sehr viel Wertvolleres; er griff zielsicher in seine schön geordneten Archivbestände und hatte im Nu fünf Zeitungsberichte, eine Originalausgabe der „Südtiroler Nachrichten“ aus dem Jahre 1972 und sämtliche Gedenkbildchen der Familie Dietl auf seinem Tisch ausgebreitet. Aus der handschriftlich angelegten „Dorfstatistik Stand 31.12.1978“ las er Geburts- und Sterbe-Daten der Familie vor. Demnach war der erste Vorfahr Dietls in Göflan der 1838 in Kortsch geborene Martin Dietl, der neben dem Lehrerberuf mit seiner Frau Maria Gruber, ebenfalls einer Kortscherin, das Gasthaus „Lagein“ führte und 28 Jahre lang Kirchenprobst in Göflan war. Alber machte auf die mögliche Vererbung bestimmter Anlagen aufmerksam. Auf dem Gedenkbildchen des Dietl-Großvaters aus dem Jahre 1907 wurde nicht nur der vorbildhafte Erzieher, gewissenhafte Verwalter, treue Gatte und besorgte Vater genannt, sondern auch der „echte Katholik und warme Patriot“. Dessen 1878 geborener Sohn Josef übernahm mit Gattin Philomena Fliri aus Naturns das Gasthaus und betrieb einen Obsthandel. Hans war nach Josefa, Josef und Martin ihr jüngstes Kind. Die Schwester starb in Mädchenjahren, Josef junior blieb in Russland vermisst, Martin übernahm den Hof. Vater Josef starb 1943; kurz zuvor war Hans in Russland schwer verwundet worden. Mutter Philomena durfte miterleben, wie ihr Jüngster am 16. November 1952 zum Landtagsabgeordneten und Regionalassessor für Landwirtschaft gewählt wurde; sie starb 1953.
Meist einen Schritt voraus
Der erste Dietl’sche Paukenschlag erfolgte am 6. Mai 1955, als Hans aus Protest gegen die „Ver-Trient-isierung“ der eigentlich Südtirol zu gedachten Autonomie von seinem Amt als Regionalassessor für Landwirtschaft zurücktrat. Dies führte zum berühmten „Los von Trient“, später zur Kundgebung in Sigmundskron und zur Besonderheit, dass die Südtiroler Volkspartei von diesem Zeitpunkt an zwei Jahrzehnte lang meist außer Atem dem kompromisslosen Volkstumspolitiker aus Göflan hinterher hecheln musste. Wie Biograph Peterlini vermerkt: „Hans Dietl war seiner Partei meist einen Schritt voraus“. Dies änderte sich auch nicht, als die Paket-Befürworter um Silvius Magnago am 23. November 1969 in Meran einen knappen Sieg errangen. Der härteste Kritiker Magnagos warf der SVP immer wieder vor, von der Sammelpartei zur Einheitspartei mutiert zu sein. Die „Vordenkerrolle“ und die Politiker-Karriere musste Dietl am 14. Jänner 1975 aus gesundheitlichen Gründen ablegen.
Wie fortschrittlich Hans Dietl dachte und wie sehr ihm daran gelegen war, die Italiener an der „Südtiroler Wirklichkeit“ teilnehmen zu lassen, beweist die Gründung der Zeitung „Realtá Sudtirolese“ am 10. September 1960. Dass ihm Meinungspluralismus ein Herzensanliegen war, wurde durch die Herausgabe der „Südtiroler Nachrichten“ ab dem 25. April 1963 zusätzlich unterstrichen.
Was wusste der „Hias“?
Ein zweiter Paukenschlag war die freiwillige Aufgabe der parlamentarischen Immunität, um sich im Mailänder Prozess „medienwirksam“ dem Vorwurf der Mitwisserschaft an den Sprengungen in der Feuernacht zu stellen. Den Freispruch mit Hilfe seines sozialistischen Parlamentskollegen und Anwaltes Loris Fortuna nutzte er 1966, um internationale Medien auf den Prozess aufmerksam zu machen. Genau so, wie ihm dies gelungen war, als er im Landtag Briefe der gefolterten Häftlinge verlas. Später wird man feststellen, dass hinter dem Decknamen „Hias“ Hans Dietl als „wichtigster politischer Bezugspunkt für den Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) steckte.
Der dritte Paukenschlag erfolgte am 22. Jänner 1971 im Parlament, als Dietl gegen das Verfassungsgesetz zur Autonomie stimmte und dafür vom Partei-Schiedsgericht aus der SVP ausgeschlossen wurde.
Südtirol braucht
eine Alternative
Nicht nur ein Paukenschlag, sondern die wohl gefährlichste Bedrohung der herrschenden Partei war schließlich die Gründung der Sozialdemokratischen Partei (SPS) in Schlanders am 4. Oktober 1972. Zu diesem Schritt hatten vor allem die 28.000 Südtiroler bewogen, die im Mai desselben Jahres über einen unabhängigen Wahlverband den „Tiroler Adler“ des Hans Dietl angekreuzt hatten. Tatsächlich zog die SPS mit zwei Mandaten in den Südtiroler Landtag ein. Nach seinem Rückzug aus Gesundheitsgründen lebte Dietl zwei weitere Jahre geächtet und ausgegrenzt und starb in Göflan 62jährig am 16. August 1977. Im Zuge der neuen Hausnummernvergabe für Göflan scheint man im Rathaus von Schlanders nachzudenken, dem „Rebell und Vordenker“ einen Straßennamen in seinem Heimatdorf zu widmen.
Der Stabner-Bauer Josef Pircher (im Bild) hat Hans Dietl als äußerst anregenden Gesprächspartner erlebt. Es habe stundenlanges „Politisieren“ gegeben, wobei der „Sozialdemokrat“ den jungen „SVPler“ sehr wohl versucht habe umzustimmen. Für ihn sei die größte und überragendste Leistung Dietls die Gründung der italienischen Zeitung „Realtá Sudtirolese“ gewesen. Der „Stabner“ glaubt, dass die Aufbruchstimmung um Willy Brandt (deutscher Bundeskanzler 1969–1974) Hans Dietl zum Begriff „sozialdemokratisch“ angeregt habe. Als Schwäche würde er die Gutgläubigkeit Dietls bezeichnen. Monika Pircher, eine Tochter Martin Dietls, hat den Patenonkel Hans als umgänglichen, netten Menschen in Erinnerung.
Günther Schöpf