Es braucht den Willen und es braucht das Geld
Publiziert in 30 / 2007 - Erschienen am 5. September 2007
Die Einheimischen und auch viele Gäste, vornehmlich aus der Schweiz, haben die neue Vinschgerbahn in ihr Herz geschlossen. Die Wiederinbetriebnahme hat zwar 116 Millionen Euro gekostet und auch für den Betrieb muss der Steuerzahler jährlich mehrere Millionen Euro auslegen, aber die Bahn wird stark genutzt und ist rundum ein Erfolg. Sie wird von den Politikern als Vorzeigemodell für ganz Südtirol und darüber hinaus bezeichnet. Einziger Haken: Die Bahn endet in Mals. Ginge des nach dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung, sollte die Vinschgerbahn an die Rhätische Bahn in der Schweiz bzw. an das Bahnnetz in Österreich angeschlossen werden. Diesen Wunsch haben die Vinschger im Zuge der Befragung zum Verkehrskonzept klar geäußert. In der Schweiz ist der Druck auf eine Bahnverbindung Unterengandin-Obervinschgau noch größer.
Die hohen Landespolitiker in Südtirol sagen zwar immer wieder, dass dieses Großprojekt nicht aus den Augen verloren werden sollte, doch dass es derzeit kaum möglich sei, das Vorhaben konkret anzugehen bzw. ernsthafte Planungen in die Wege zu leiten. Der Grundtenor ist: Zuerst müssen wir das Bahnnetz in Südtirol verbessern, und dann sehen wir weiter.
Der Verein „Freunde der Eisenbahn“ und viele andere befürchten, dass die im Auftrag des Kantons Graunbünden und des Landes Südtirol erstellte Interreg-III-A-Studie über die Bahnverbindung Unterengadin-Obervinschgau versandet. „Wenn jetzt keiner mehr von dieser Verbindung spricht, schläft das Vorhaben ganz ein“, sagt etwa Helmuth Gunsch, Vorstandsmitglied des Vereins „Freunde der Eisenbahn“. Natürlich lasse sich so ein Großprojekt nicht von heute auf morgen umsetzen, „aber die Planung muss weitergehen. Das Land Südtirol und auch die Schweizer Seite müssen Jahr für Jahr Schritte setzen. Die jetzt vorliegende Studie ist nur ein erster Ausgangspunkt. Es wäre angebracht, eine Arbeitsgruppe oder ein Komitee einzusetzen.“ Die Studie ist im Vinschgau übrigens noch nie offiziell der Bevölkerung vorgestellt worden. Das sollte laut Paul Stopper vom Bau-, Verkehrs- und Forstdepartement Graubünden (Fachstelle öffentlicher Verkehr) unbedingt erfolgen (siehe auch Interview). Stopper, der Leiter des Interreg-III-A-Projekts „Öffentlicher Verkehr im Dreiländereck (Rätisches Dreieck)“,
stellte die Studie den Teilnehmern der Bahnfahrt vor, welche die „Freunde der Eisenbahn“ im Juni organisiert hatten. Die Reise führte zu den Rheinfällen und nach Schaffhausen.
Die mit der Erstellung der Studie beauftragte Arbeitsgruppe hatte unter der Leitung von Paul Stopper die Aufgabe, die Machbarkeit und Zweckmäßigkeit einer Verbindung der Bahnsysteme von Graubünden und Südtirol zu überprüfen und die Vor- und Nachteile von möglichen Trassen abzuklären. Aus einer Vielzahl möglicher Varianten wurden 5 ausgewählt, planerisch genauer definiert und untersucht. Von Vorneherein klar war, dass es sich um eine Personenbahn handeln sollte.
Zusätzlich zu den möglichen Varianten werden in der Studie auch die geologischen Aspekte beleuchtet, die Kosten, der Betriebsaufwand, die Nachfrage sowie die Aspekte der Regionalwirtschaft und der Umwelt.
Bezüglich der Abschätzung der Nachfrage wird unter anderem festgehalten, dass in der Tourismusbranche des Engadins ein dringender Wunsch und offenbar auch die Bereitschaft besteht, ein analoges Tourismusprodukt wie den Glacier Express für die Relation Engadin-Meran-Venedig aufzubauen. Auch auf regionale Synergien wird in der Studie verwiesen: „Im direkten Einflussgebiet des Netzschlusses wohnen zur Zeit ca. 18.000 Personen mit festem Wohnsitz. Falls eine künftige Politik der Regionalentwicklung zu einer konsequenten Zusammenarbeit im Bereich von Ausbildung, Gesundheit, Arbeitswelt und Kultur (zusätzlich zum Tourismus) führt, wird erwartet, dass es täglich für ein Prozent der Bevölkerung einen Grund gibt, über die Grenze zu fahren. Das würde zu täglich 300 Fahrten führen.“ Klar im Vordergrund der Bahnverbindung Unterengadin-Obervinschgau steht laut Studie die regionalwirtschaftliche Aufwertung der Talschaften im Rätischen Dreieck: Was mit der Vereinalinie und der Vinschgaubahn als Sticherschließung mit gutem Erfolg auf jeweils nationaler Ebene begonnen wurde, kann durch den Netzschluss auf eine höhere Ebene gebracht werden und dem inneralpinen Raum im Rätischen Dreiecks wirtschaftliche Perspektiven geben, die weit über den Tourismus hinausreichen und bezüglich des Tourismus den Erholungswert und die umweltschonende Moblität zum Markenzeichen machen.“ Das Projekt sei im Rahmen eines drei Länder übergreifenden regionalen Entwicklungskonzeptes bezüglich Wirtschaftsentwicklung, Ausbildungswesen, Gesundheitspolitik, Kultur, Landschaft und Tourismus zu verstehen. Insbesondere die Verbindung zwischen Graubünden und Südtirol mit großen Vorteilen für den öffentlichen Verkehr schaffe neue Wege für eine umweltbewusste Entwicklung in diesem Teil des Alpenraumes, der fernab von großen Durchgangsrouten liegt.
Josef Laner