„Eine reine Bioregion Vinschgau kann ich mir nicht vorstellen“
Publiziert in 39 / 2016 - Erschienen am 3. November 2016
Nun ist die wohl arbeitsintensivste Zeit der Obstbauern vorbei. Die Ernte 2016 ist so gut wie unter Dach und Fach. der Vinschger sprach mit Sepp Wielander, dem Direktor der VI.P (Verband der Vinschgauer Produzenten für Obst und Gemüse), über die heurige Ernte, den Erlös für die Äpfel 2015, den wachsenden Umstieg auf Bio und weitere Themen der Obstwirtschaft.
der Vinschger: Herr Wielander, liegen mittlerweile die endgültigen Angaben über die Erntemenge 2016 vor?
Sepp Wielander: Die Ernte ist nahezu abgeschlossen. Leider hat sich das bewahrheitet, was sich schon während des Jahres abgezeichnet hatte, nämlich die Folgen der kalten Nacht vom 27. auf den 28. April. Diese Nacht führte zu geringeren Mengen und zu verstärkt berosteten
Äpfeln. Wir haben nun 20% weniger an Tafelware in unseren Zellen gelagert. Insgesamt wurden heuer anstelle der üblichen 33.000 Waggon nur 27.000 Waggon geerntet und von diesen müssen wir noch einen beträchtlichen Teil an mäßiger Ware der industriellen Verarbeitung zuführen. Gut ausgeprägt ist hingegen dank der idealen Temperaturschwankungen während der Erntezeit die Ausfärbung der Ware. Auch der Geschmack hat sich durch den wunderbaren Herbst optimal ausgebildet.
Wie hat sich die Erntemenge im vergangenen Jahrzehnt entwickelt?
In den letzten 10 Jahren konnten wir einen Jahresdurchschnitt von 30.840 Waggon an Tafelware von den Bäumen holen. Die geringste Ernte mussten wir neben heuer im Jahr 2012 verzeichnen.
Wie steht es mit der Qualität der neuen Äpfel? Während des Pflückens wurde nicht selten von eher kleinen und auch „rostigen“ Früchten gesprochen.
Wie schon gesagt, ist die rauere Schale vor allem bei der Sorte Golden Delicious festzustellen. Auch die grundsätzlich etwas kleineren Äpfel sind ein klares Merkmal dieser nun zu Ende gehenden Ernte 2016.
Wer in und mit der Natur arbeitet, ist immer bestimmten Risiken ausgesetzt. Sind sich dessen alle Produzenten bewusst?
Der Bauer, so kann man schon mit Bewunderung feststellen, ist sich dessen bewusst und trägt den sicherlich enormen Schaden, den eine Nacht zuzufügen im Stande ist, zwar mit Bedauern und Kopfschütteln, und teils auch mit wirtschaftlichen Bedenken, jedoch mit Fassung. Er ist sich bewusst, dass doch viele Jahre vom klimatischen Standpunkt aus gesehen sehr gut waren und hofft auch mit Zuversicht, dass er in ein paar Monaten wieder eine neue
hoffentlich normalere Ausgangslage vorfinden wird.
Was können Sie uns zur Vermarktung der Ware 2015 sagen? Wie hoch waren die Erlöse?
Zumal wir jetzt die Preise der übrigen Anbaugebiete kennen, dürfen wir sicherlich mit Recht behaupten, dass wir die gege-
benen Rahmenbedingungen sehr gut eingeschätzt und allesamt sehr gute Arbeit geleistet haben. Somit können wir uns über höhere Erlöse und niedrigere Kosten als angenommen freuen. Die Preise sind zwar immer noch nicht berauschend, aber immerhin rund 20% höher als jene des Jahres zuvor.
Welches sind derzeit die größten Schwierigkeiten in der Vermarktung der Äpfel aus dem Vinschgau?
Hier gibt es sehr viele Faktoren, angefangen von der Freude der Konsumenten, Äpfel zu essen, bis hin zur Frage, ob es die Haushaltskasse einer Familie quer durch alle Länder erlaubt, unsere begehrten Äpfel täglich zu kaufen. Die andere Seite der
Medaille ist oft und immer wieder auch die politische Hetzerei, die von Einfuhrboykotts und Kriegsschauplätzen gekennzeichnet ist. Abgesehen davon ist es natürlich extrem wichtig, die richtigen Sorten, die gewünschten Qualitäten und auch alle oft mühseligen Dokumentationen zu erbringen, die eine globa-
lisierte Welt einfordert. Ich denke aber schon, dass wir dank guten Personals, weitsichtiger Verwaltungsräte und umsichtiger Vermarkter, und nicht zuletzt erfahrener Produzenten den Herausforderungen der Zeit gewachsen sind.
Die VI.P bemüht sich schon seit Jahren, die Obstbauern vermehrt zur Anpflanzung von roten Sorten zu animieren. Wie ist der derzeitige Stand der Dinge und wie soll es diesbezüglich weitergehen?
Es geht eigentlich sehr mutig mit den Umstellungen altgedienter oder eben nicht mehr aktuellen Sorten voran. Auch das ist eine Charaktereigenschaft der Vinschger Unternehmer und Produzenten. Unsere Bemühungen richten sich vordergründig auf die Suche nach neuen aktuellen Sorten, die in allen Anbaulagen des Vinschgaus gut gedeihen können, denn wir wissen: sofern das Ausgangsmaterial vorhanden ist, ist der Bauer bereit, sein letztes Geld für zukunftsorientierte Projekte auszugeben.
Immer mehr Apfelbauern, speziell auch im Mittel- und Untervinschgau, stellen auf eine biologische Anbauweise um. Gibt es konkrete Angaben zu dieser Wende und wie lange wird sie noch andauern?
Ja, das ist richtig, auch heuer konnten wir rund 3%, also 145 von unseren 5.200 Hektar, an Biofläche neu dazugewinnen, sodass mittlerweile auf den gesamten Vinschgau ausgelegt rund 15% als Bioflächen bewirtschaftet werden. Die Vorhersage, wie lange sich diese Spirale nach oben dreht, ist extrem schwierig und wohl ohne Zauberstab in dieser schnelllebigen Zeit nicht möglich. Im Moment halten sich Angebot und Nachfrage die Waage und somit sind die Erlöse für Bioäpfel erfreulicherweise sehr gut.
Ein Biobauer sagte mir unlängst, dass man nur dann auf Bio um-
stellen sollte, wenn man davon auch voll überzeugt ist. Nur der höhere Erlös dürfe nicht ausschlaggebend sein. Teilen auch Sie diese Ansicht?
Das ist korrekt und vernünftig, denn genau das ist die Devise. Man muss vom eigenen Handeln überzeugt sein. Dann führt das unvermeidbar zum Erfolg. Nur des Geldes wegen oder des
„a dabei Seins“ auf Bio umstellen ist sicher längerfristig zu wenig, denn ohne diese zitierte Einstellung kann eine sich auftuende Durststrecke schwer verkraftet werden, und nur bergauf geht es wohl in keiner Branche, oder?
Wie ist es derzeit im Vinschgau um die Sprühtechnik bestellt, um die Abdrift zu vermindern? Wie hoch ist der Anteil der Bauern, die neue Geräte gekauft bzw. bisherige umgerüstet haben?
Wir können mit Stolz vermelden, dass schon im ersten Jahr der Empfehlung 2015 bereits 75% auf abtriftarme Technik umgerüstet haben, Innerhalb der nächsten zwei Jahre werden sicher 100% der Sprühgeräte mit dem letzten Stand der Technik versehen sein.
Wie fiel heuer die Gemüse- und Beerenernte aus?
Bei der Gemüseernte haben wir ein deutliches Plus zu verzeichnen, bei den Beeren fiel die Ernte leicht unter jener des Vorjahres aus.
Gibt es schon erste Anzeichen darüber, wie gut oder schlecht sich die Vermarktung der neuen Äpfel entwickeln wird?
Das ist unmöglich zu sagen, da wir jedes Jahr mit anderen unerwarteten oder nicht kalkulierbaren Gegebenheiten konfrontiert werden. Für ordentliche Ware müsste laut meinem persön-
lichen Dafürhalten mehr Platz in den Regalen sein, für qualitativ unterdurchschnittlicher Ware brauchen wir schon noch einen Schutzengel dazu.
Könnten Sie sich vorstellen, dass der ganze Vinschgau in Zukunft zu einer Bioregion wird, zu einem pestizidfreien Tal?
Ich sehe neben der bereits vorhandenen biologischen Produktion eher ein Tal mit gezieltem Einsatz auch von chemischen Wirkstoffen, sofern die Schadschwelle, aus welchem Grund auch immer, unumgänglich überschritten wird, sowie ein Tal, das mit Hilfe der Technik den Einsatz von chemischen Sub-
stanzen soweit wie nur möglich als Alternative verhindert. Und ich sehe ein Tal mit bewussten Produzenten, die stets bereit sind, die natürlichen Ressourcen mit keiner Handlung, egal zu welchem Preis, aufs Spiel zu
setzen. Wir haben das große Glück, dass die wertvolle Pionierarbeit unserer biologischen Produzenten sowie die jahrzehntelange Erfahrung der integrierten Produktion uns helfen, ein zeitgemäßes, nachhaltiges und Ressourcen schonendes Produktionsprogramm zu entwickeln und auch umzusetzen. Denn eines ist für mich persönlich klar: Die Existenz von 1.800 Bauern und 700 Arbeitsplätzen muss langfristig genauso gesichert bleiben wie eine gesunde Umwelt, selbst dann oder gerade dann, wenn etwas Unvorhergesehenes durch irgendeinen heute noch vielleicht unbekannten Schädling zu Tage tritt.
Josef Laner