Die Verschuldungs-Spirale der Gemeinden muss gestoppt werden
Publiziert in 7 / 2008 - Erschienen am 27. Februar 2008
Südtirols Gemeinden bürden ihren Bürgern durchschnittlich 2.355 Euro Schulden auf (2006); im Trentino beläuft sich die Verschuldung auf rund 1.200 Euro. In manchen Gemeinden nähert sich die Pro-Kopf-Verschuldung der 7000er Grenze; es gibt aber auch eine Gemeinde, deren Bürger fast schuldenfrei sind. Zwischen 6.700 und 5 Euro reicht die Spannweite im „Land an Etsch, Eisack und Rienz“. Im Vinschgau liegt derzeit Naturns mit 4.147 Euro Schulden pro Bürger an der Spitze; die Gemeinde mit der geringsten Verschuldung im Tal – 118 Euro pro Bürgerin und Bürger - ist Prad am Stilfser Joch. Wie Gemeindenverbandspräsident Arnold Schuler mitteilte, nimmt der Schuldenberg der Gemeinden jährlich um rund 100 Millionen Euro zu und entsprechend steigen die Tilgungsraten. „Wir müssen die Spirale stoppen. Die nächsten Generationen werden uns auch daran messen“, so Schuler. „Der gemeinsame Topf wird aus dem Steueraufkommen des Landes gespeist; wir möchten aber, dass uns die Mittel direkt zugewiesen werden und nicht über den Umweg Land eintreffen. Wir bekommen in dem Moment ein Problem, in dem der Landeshaushalt nicht mehr steigt“, gab Schuler zu bedenken. „Weiter steigen werden aber die Tilgungsspesen, während die freien Mittel immer weniger werden.“ Um den drohenden Kollaps zu vermeiden, hat der Gemeindenverbandspräsident die Einrichtung eines Fonds, in den Gemeinden und Land einzahlen, als Übergangsregelung vorgeschlagen.
von Günther Schöpf
Die Gemeindenfinanzierung ist nicht so leicht zu durchschauen und wird von einem gesetzlich vorgeschriebenen Koordinierungskomitee des Gemeindenverbandes und dem Landeshauptmann im Sinne eines Landesgesetzes aus dem Jahr 1992 vereinbart. Der Präsident des Verbandes, ein Bürgermeister mit ladinischer, zwei mit italienischer und drei mit deutscher Muttersprache haben mit Landeshauptmann Luis Durnwalder am 7. Jänner 2008 vereinbart: „Für das Jahr 2008 stellt das Land Südtirol für die Gemeindenfinanzierung den Gesamtbetrag von 483.500.106,00 Euro zur Verfügung“. Obwohl gesetzlich genau geregelt, klingt der Satz nach „Entgegenkommen“ durch das Land. Genau genommen stehen den Gemeinden 13,5 Prozent des Landeshaushaltes zur Verfügung. 247,8 Millionen von den genannten 483,5 Mio. werden als Pro-Kopf-Quoten zugeteilt. Dabei kommt eine Besonderheit zutage: ein Vinschger oder eine Vinschgerin (Gemeinden unter 10.000 Einwohner) ist mit 455 Euro um 40 Euro weniger wert als ein Brunecker oder Brixner (Gemeinden von 10.000 bis 30.000 Einwohner) und er oder sie ist um 150 Euro weniger wert als ein Meraner oder ein Bozner. Die Ungleichzuteilung, d.h. die geringeren Finanzmittel pro Kopf fallen in kleinen Gemeinden besonders ins Gewicht, weil sie ja mit minimalem Personalstand dieselben Dienste anbieten müssen wie die großen und zudem ein ausgedehntes Netz an Wegen und Bergstraßen oder an Trink- und Abwasserleitungen zu bewirtschaften haben.
Ebenfalls aus dem „Gemeindetopf“ der 13,5 Prozent, vermindert um die Pro-Kopf-Quote, vermindert um Sonderzuweisungen für Gemeinden bis 1.200 Einwohner (im Vinschgau Martell und Taufers im Münstertal), vermindert um den Betrag an die Bezirksgemeinschaften, vermindert um Zuweisungen für gemeinsam geführte Dienste (Schulen, Gemeindepersonal, Bauhof usw.), vermindert um Beiträge zur Instandhaltung des übergemeindlichen Radwegnetzes kommen die 75,5 Mio. Euro „für die volle Übernahme oder Bezuschussung von Darlehen, die für öffentliche Bauten aufgenommen wurden bzw. im Jahre 2008 aufgenommen werden“ (aus der Vereinbarung, S.8). Der Betrag ergibt sich aufgrund des Schuldenberges von 1,2 Milliarden Euro, den die Gemeinden inzwischen angehäuft haben. „Wie kann man derart günstige Darlehen, wie sie zu 2,5 Prozent für Trink- und Abwasserprojekte gewährt wurden, nicht aufnehmen?“ war vor einigen Jahren die am meisten gestellte, rhetorische Frage vieler Bürgermeister und Referenten (siehe Grafik). Inzwischen stehen verschiedene Gemeinden mit dem Rücken zur Wand; 40 Prozent ihrer Verschuldung rühren von Kanalisierung und Wasserver- und Wasserentsorgung her. Mit einem Wirtschaftsüberschuss gegen Null ist „der Zug“ für Investitionen in einigen Gemeinden abgefahren. Es bleibt nur mehr der schon seit einiger Zeit beschworene, „eiserne Sparbesen“. Manche Gemeinden müssen um die 3. und 4. Rate der Pro-Kopf-Quote zittern, wenn sie nicht durch Personaleinsparungen und durch den Einsatz von Eigenmitteln wenigstens die Kriterien des „Stabilitäts- und Wachstumspaktes“ einhalten.
Der „Pakt“ soll im Zeitraum zwischen Abschlussrechnung 2006 und Abschlussrechnung 2010 die Gemeinden zu einer ausgeglichenen Bilanz zwischen laufenden Einnahmen und laufenden Ausgaben zwingen und die wirtschaftliche Situation stabilisieren.
Arnold zieht die Notbremse
„Der Vinschger“ hat sich bei Arnold Schuler über die Gemeindenfinanzierung erkundigt. Der Bürgermeister der kleinsten Gemeinde zwischen Töllgraben und Reschenpass ist seit Dezember 2005 Präsident des 1954 gegründeten Südtiroler Gemeindenverbandes, dem inzwischen alle 116 Gemeinden, die Bezirksgemeinschaften und das Konsortium Wassereinzugsgebiet Etsch angehören.
„Der Vinschger“: Herr Bürgermeister oder Herr Gemeindenverbandspräsident, das Provokante vorweg: eigentlich sind jene Gemeinden, die sich hoch verschuldet, aber inzwischen viele Infrastrukturen geschaffen haben, die tüchtigeren oder die schlaueren gewesen?
Arnold Schuler: Tüchtiger oder schlauer möchte ich nicht sagen, aber auf jeden Fall haben sie das bisherige Finanzierungssystem entsprechend genutzt. Zwar wurden damit auch deren Haushalte belastet, doch haben die anderen Gemeinden geholfen, die Schulden zurück zu zahlen.
Jetzt haben Sie dem Verwaltungsrat des Gemeindenverbandes klar gemacht, dass ein Kollaps des bisherigen Systems bevorsteht. Die Vergabe von Darlehen wird drastisch eingeschränkt. Schauen die sparsamen Gemeinden jetzt dumm durch die Finger oder gibt es einen Trost für sie?
Arnold Schuler: Ich habe anhand von Rechenmodellen aufgezeigt, wohin uns das bisherige Finanzierungsmodell führt und welche Hypothek jetzt schon auf den zukünftigen Haushalten lastet. Sollte darüber hinaus der Landeshaushalt nicht mehr steigen, bricht das gegenwärtige System in kürzester Zeit zusammen. Wir können das Bisherige aber nicht mehr rückgängig machen oder ausgleichen, doch wird das neue Finanzierungsmodell dafür sorgen, dass die sparsamen Gemeinden nicht mehr benachteiligt werden.
Der Vorschlag, den man Ihnen zuschreibt, alle Geldmittel in einen einzigen Topf zusammen fließen zu lassen und nach Bedarfskriterien an die Gemeinden zu verteilen, wird bei den Geldverteilern im Land, darunter auch beim Landeshauptmann, kaum auf Gegenliebe stoßen. Das heißt, Sie werden einen Kompromiss eingehen oder eine Übergangsregelung vorschlagen müssen. Wie sieht sie aus?
Arnold Schuler: Wir haben mit einer Arbeitsgruppe, in der auch Prof. Gottfried Tappeiner, Dr. Oswald Lechner und Dr. Georg Lun vom WIFO sowie Dr. Siegfried Rainer von der Landesverwaltung vertreten sind, versucht ein neues Finanzierungsmodell für die Gemeinden zu erarbeiten. Ein Finanzierungsmodell, das bei den laufenden Zuweisungen den Finanzbedarf berücksichtigt und bei den Investitionen eine unabhängigere und langfristigere Planung zulässt mit den Möglichkeiten für die Gemeinde, die Prioritäten selbst festlegen zu können. Dadurch würde nicht nur an die Gemeinden mehr Autonomie übertragen, sondern auch mehr Verantwortung im Umgang mit den Finanzmitteln. Zudem würde aber auch der Gemeinderat entscheidend aufgewertet. Eine Übergangsregelung braucht es aber auf jeden Fall.
Günther Schöpf