Die Sorgen der Hausärzte
Steigende Bürokratie, fehlende Wertschätzung. Viele Hausärzte sehnen die Pension herbei. Wenige rücken nach. Im der Vinschger-Interview spricht Hausarzt Dr. Toni Pizzecco Klartext.
Latsch - Dr. Antonio Pizzeco ist seit den 1980er Jahren in Latsch als Hausarzt tätig. Der heute 64-jährige Bozner ist mittlerweile ein Teil der Latscher Dorfbevölkerung. Sein Beruf ist für ihn Berufung und Leidenschaft. Auch deshalb will er, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, erst später in Pension gehen. Sechs Jahre plane er noch, in Latsch tätig zu sein. Hausärzte können zwar mit Erreichen des 65. Lebensjahrs in Pension gehen (was heuer in Südtirol auf 59 der rund 270 Ärzte zutrifft), müssen aber nicht. Ein Pensions-Muss besteht erst ab Erreichen des 70. Lebensjahres. Doch viele wollen nicht mehr länger arbeiten als nötig. Zu groß sei der Druck, zu groß die Bürokratie-Last. Zu wenig die Wertschätzung, zu gering das Verständnis seitens der Politik. Seit Jahren laufen Verhandlungen zwischen Hausärztegewerkschaften und dem Land. Neue vertragliche Regelungen vor gut zwei Jahren brachten für viele heimische Ärzte das Fass zum überlaufen.
Dr. Toni Pizzecco kennt die Sorgen und Probleme seines Berufsstandes zur Genüge. der Vinschger hat mit dem Latscher Hausarzt gesprochen.
der Vinschger: Innerhalb der nächsten Jahre gehen einige Vinschger Hausärzte in Pension. Wie es aussieht, rücken nur wenige Jungärzte nach. Woran liegt’s?
Dr. Toni Pizzecco: Einerseits liegt das sicherlich daran, dass wir allgemein weniger Ärzte haben. Andererseits ist es für viele junge Menschen wohl auch nicht mehr attraktiv, in eine Gemeinde in der Peripherie zu gehen. Ich kann nicht beurteilen, was die genauen Gründe für die jungen Kollegen sind. Vielleicht suchen sie mehr die Sicherheit, einen strukturierten Stundenplan. Es ist nicht jedermanns Sache. Ein Hausarzt ist oft alleine und hat allerlei Entscheidungen zu treffen. Zudem sind die Gegebenheiten in ländlichen Gebieten nochmals anders als in der Stadt.
Was ist das besondere an der Arbeit als Hausarzt?
Als Gemeindearzt arbeitet man rund um die Uhr. Es gibt Wochenend-Dienste, Nacht-Dienste. Es ist immer noch eine Mission, eine Berufung. Es muss einem Spaß machen. Man wird zu einem Teil der Dorfbevölkerung. Man kennt die Familien in mehreren Generationen. Meiner Meinung nach, ist das eine wunderbare Arbeit. Ich kam vor fast 40 Jahren als Stadtler nach Latsch und habe mich auf Anhieb hier wohl gefühlt.
Wie kann man junge Ärzte dafür begeistern?
Es ist kompliziert. Es ist denke ich auch nicht das Gehalt, welches das Problem ist. Es muss ein generelles Umdenken in Verwaltung und Politik stattfinden, um den Beruf wieder attraktiver zu machen, auch für junge Menschen. Im Gegensatz zu früher fehlt es leider auch mittlerweile an Wertschätzung. Die Situation derzeit ist alles andere als einfach.
Seit Jahren laufen Streitigkeiten zwischen Hausärzte-Gewerkschaft und dem Land.
Verschlimmert hat sich die Situation vor etwa zwei Jahren. Damals wurde ein neuer Vertrag aufgesetzt. Das Unglückliche dabei ist, dass die Politik nicht zwischen Stadt- und Landarzt unterscheidet. Dinge, die der Landarzt seit jeher gemacht hat, seien es Nacht-Dienste, Feiertagsdienste sowie der Notarztdienst und die Betreuung der Altenheime und dergleichen fielen weg bzw. wurden weggekürzt. In der Stadt gab es das schon lange nicht mehr. Und seit dem neuen Vertrag werden wir Landärzte gleich wie Stadtärzte behandelt. Ohne Rücksicht darauf, dass es in ländlichen Gebieten andere Gegebenheiten gibt. Und das Hausarzt-System hat im Vinschgau jahrzehntelang hervorragend funktioniert.
Hausärzte dürfen unter anderem nicht mehr als Notarzt tätig sein?
Das ist eines der Probleme. Wenn jetzt zum Beispiel jemand in einem abgelegenen Dorf einen Notarzt braucht, heißt es warten, bis Hilfe aus Schlanders oder mit dem Rettungshubschrauber naht. Früher konnte in solchen Situationen der Hausarzt als Notarzt agieren und Leben retten. Heute ist dem nicht mehr so. Hausärzte sind für solche Situationen auch nicht mehr versichert. Dies ist für mich unverständlich und für viele Kollegen auch frustrierend. Schlussendlich leidet die Bevölkerung darunter.
Ein weiteres Beispiel sind die Wochenend-Dienste.
Viele Hausärzte können keine Wochenend-Dienste mehr machen. Wir dürfen nicht, wir sollten nicht. Dafür werden an Wochenenden nun häufig Ärzte aus Bozen oder Meran in die Peripherie geholt. Diese kennen die ländlichen Strukturen jedoch zu wenig.
Die Betreuung im Vinschgau wird also immer schlechter?
Die Betreuung wurde in letzter Zeit schlechter. Der bürokratische Aufwand dagegen größer. Wir haben hier mittlerweile sechs Angestellte, damit wir die Praxis in Latsch immer offen halten können. Es ist in Ordnung, dass eine Arztpraxis als ‚Erste Hilfe-Station‘ für die Anliegen der Bürger da ist. Nur, das politische Feingefühl fehlt.
Wie könnte man daran etwas ändern?
Die Bevölkerung wird nicht mit einbezogen. Italienweit wird in Südtirol am meisten Geld pro Patient ausgegeben. Wie überall, muss auch im Sanitätssystem gespart werden. Das ist zugegebenermaßen eine schwierige Aufgabe für die Politik. Doch man vergisst hier, die Bevölkerung mitreden zu lassen. Die Leute wissen, wie gut es in den vergangenen Jahren funktioniert hat. Leute kommen aus dem Ausland und staunen. Ich denke, die Südtiroler wären durchaus bereit, auch mal ein Ticket mehr zu bezahlen. Es hat schon Gründe, weshalb immer mehr Bürger auf private Ärzte setzen und dies auch immer mehr im Kommen ist. Nur fragt die Menschen niemand. Es soll keine Zweiklassenmedizin werden. Wenn das Geld nicht da ist, um weiterhin für den gewohnt guten Gesundheitsservice zu sorgen, muss man schauen, dieses Geld irgendwie zu beschaffen. Und ich bin mir sicher, viele Bürger wären dazu bereit etwas mehr zu bezahlen, wenn dafür auch alles bestens funktioniert.
Die Politik will von derartigen Vorschlägen nichts hören?
Nichts hören ist zu hart gesagt. Sie informieren sich durchaus. Landesrat Richard Theiner war oft bei uns Hausärzten, als er noch für die Sanität zuständig war. Genauso Martha Stocker erkundigt sich häufig. Gespräche finden regelmäßig statt. Nur das Umsetzen ist für die Politik immer schwierig. Es gibt einfach zu viele verschiedene Interessen.
Blicken wir kurz auf Dr. Toni Pizzecco privat. Sie engagieren sich für die Südtiroler Ärzte für die Welt und sind begeisterter Musiker mit der Gruppe Westbound. Wie kam es dazu?
Ich war schon als Kind von der Musik begeistert. Sie wurde zu meinem größten Hobby, meiner Leidenschaft. Ich hatte das Glück, die Musik und das Engagement bei Südtiroler Ärzte für die Welt miteinander verbinden zu können. I m Sommer stehen regelmäßig Benefiz-Tourneen durch Südtirol auf dem Programm. Mittlerweile sind auch meine Töchter bei der Gruppe Westbound aktiv. Die Musik ist ein wunderbarer Ausgleich und eine große Motivation. Musik ist eine Möglichkeit, Optimismus zu verbreiten.