Der Vater der Talgemeinschaft
Publiziert in 19 / 2003 - Erschienen am 9. Oktober 2003
[F] Erich Müller gehört zu den herausragendsten Persönlichkeiten des Vinschgaus. Seine wohl größte Pionierleistung war die Gründung der "Talgemeinschaft Vinschgau" 1962, damals als Bürgermeister von Schlanders. Der erste Zusammenschluss dieser Art in Südtirol hatte Signalwirkung für alle übrigen Bezirke im Land. Mit viel Geduld und großem Verhandlungsgeschick war es ihm gelungen die Weichen so zu stellen, dass übergemeindliche Projekte realisiert werden konnten, so in erster Linie der von ihm vorangetriebene Aufbau einer Krankenhaus-Struktur für den Vinschgau. Als Abgeordneter im Südtiroler Landtag und im Regionalrat vertrat er die Vinschger Interessen fünfzehn Jahre lang mit sehr viel politischem Gespür, mit Umsicht, Zähigkeit und Weitblick.
Erich Müller starb am 1. Oktober im Alter von 86 Jahren. Am 4. Oktober gab ihm eine große Trauergemeinde in Schlanders das letzte Geleit.
von Magdalena Dietl Sapelza [/F]
Ein Jahr nach Erich Müllers Geburt endete der 1. Weltkrieg und Südtirol kam zu Italien. Besonders einschneidende Veränderungen brachte die faschistische Machtübernahme. Kein Wort deutsch sollte gesprochen, geschweige denn geschrieben werden. Dieser Gegebenheit musste sich auch der junge Erich beugen. Dass er dann doch in seiner Muttersprache unterrichtet werden konnte, verdankt er seinen Eltern, die ihn 1929 nach Salzburg brachten. Das bedeutete für ihn allerdings, dass er den Vinschgau jahrelang nicht mehr wiedersehen sollte. Wegen seiner schlechten Deutschkenntnisse besuchte er in Salzburg zuerst die Hauptschule und erst ab der vierten Klasse das Realgymnasium, das er 1937 mit der Matura abschloss.
Er kehrte heim und inskribierte sich an der pharmazeutischen Fakultät der Universität Genua Das ersparte ihm vorerst den Militärdienst beim Italienischen Heer. Trotz seiner fast wieder verloren gegangenen italienischkenntnisse biss er sich beim Studium durch und promovierte 1941. Schon kurz darauf rief ihn die deutsche Wehrmacht, weil seine Familie 1939 für Deutschland optiert hatte. Zugeteilt wurde er dem Sanitätsdienst. Gegen Ende des Krieges geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1946 wohlbehalten heimkehrte.
Die Apothekerlaufbahn begann er in Bozen. Doch schon bald erhielt er eine Stelle in der "Würstl Apotheke" in Schlanders. Ein Glück für ihn, denn in der Nachkriegszeit es schwer, im Vinschgau Arbeit zu finden. Vinschgaus Gemeindeverwaltungen lagen am Boden, genauso wie die Wirtschaft, die schulischen und die sozialen Einrichtungen. Neue Rahmenbedingungen mussten geschaffen werden um aufzubauen. Erich Müller fühlte sich schon bald dazu berufen, sich in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen und auf politischer Ebene mitzuarbeiten, um die Situation der Menschen zu verbessern. Ehrenamtlichkeit war gefragt. Das Geld fehlte an allen Ecken und Enden. 1956 kandidierte er für den Schlanderser Gemeinderat und wurde gleich Assessor für das Gesundheitswesen, zuständig für den Krankenhausbau, mit dem 1954 begonnen worden war. Dass er Deutsch und Italienisch in Wort und Schrift beherrschte, war im Umgang mit den verschiedensten Behörden von Vorteil. Zwei Jahre später wurde er mit großem Vertrauensbeweis zum Bürgermeister gewählt. Es begann eine äußerst fruchtbare Zeit für Schlanders mit Investitionen im Bildungsbereich, mit dem Bau des Elektrizitätswerkes und vielem mehr. Regelmäßig musste Müller schwere finanzielle Engpässe meistern. Für einen Kredit zur Umsetzung des Schulbauplanes standen er und seine Familie 1961 selbst als Bürgen ein. Die Errichtung einer guten Krankenhausstruktur für den Vinschgau war für Müller der entscheidender Beweggrund, über die Gemeindegrenzen hinauszuschauen. Das Krankenhaus sollte zu einer effizienten Einrichtung werden und der Bevölkerung die bestmöglichste sanitäre Betreuung bieten. Er holte zum Beispiel den Fachmann für Chirurgie, Urologie und Gynäkologie, Prof. Dr. med Hans von Elzenbaum von der Universitätsklinik Florenz nach Schlanders und betraute ihn mit dem Aufbau des medizinisch-technischen Dienstes. Erstmals nach dem Krieg stand ein Krankenhaus in Südtirol unter deutscher Führung. Es erwarb sich nicht zuletzt deshalb Sympathien im ganzen Land. Mit viel Geschick gelang es Müller, seine sechzehn Bürgermeisterkollegen von Reschen bis Partschins zu überzeugen, nicht nur den Krankenhausbetrieb zu stützen, sondern sämtliche übergemeindlichen Interessen zu bündeln, Projekte gemeinsam anzugehen und die verschiedensten Anliegen mit einer Stimme in Bozen und Trient vorzutragen. 1962/1963 kam es zur Gründung der "Talgemeinschaft Vinschgau", mit Erich Müller als Präsidenten. Kenner der Entwicklung im Vinschgau sprechen von einem Kunststück, das Müller da gelungen ist. Die Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik im Tal erhielt entscheidende Anstöße, was auch zur Schaffung von Arbeitsplätze beitrug. Zwischen 1958 und 1968 konnten zwei Dutzend Industriebetriebe angesiedelt werden, die an die tausend Arbeitsplätzen schufen. Um die Erschließung der Berggebiete voranzutreiben und der Abwanderung entgegenzuwirken, wurde 1968 die Bergbonifizierung ins Leben gerufen, etwas später auch die Talbonifizierung - Grundlage für den heutigen Wohlstand der Obstbauern. Müller verstand es nicht nur, seine Kollegen zu überzeugen, sondern auch die Bevölkerung in den Entwicklungsprozess mit einzubeziehen.
1968 wurde Erich Müller in den Südtiroler Landtag gewählt, als zweiter Vinschger neben Alfons Benedikter. Müller kämpfte für das "Paket", von dem er sich eine unmittelbare Ankurbelung der Wirtschaft und Zugangsmöglichkeiten der Südtiroler zu den Staatsstellen erhoffte. Dabei hatte er immer auch die Lage im Vinschgau vor Augen. Als Regionalassessor für Fremdenverkehr setzte er sich für die Verbesserung der Infrastrukturen ein. Erstmals erschien eine Werbebroschüre für das gesamte Tal. Müller half dem Vinschger Tourismus aus den Kinderschuhen. Davon profitierten Handel und Handwerk.
1983 schied Erich Müller nach insgesamt 27 Jahren Einsatz für Land und Leute aus der Politik aus und zog sich ins Privatleben zurück.
Ein Detail am Rande: Als bescheidener und sparsamer Mensch hatte er für Wahlwerbung nie viel ausgegeben. Sein Kommentar dazu lautete: "Wenn si mi nit welln, solln si es lai lossn."
[F] Politische Stationen: [/F]
• Vollblut-Politiker der Südtiroler Volkspartei
• Ehrenring-Träger der Bezirksgemeinschaft Vinschgau
• Ehrenbürger der
Gemeinde Schlanders
• Träger des Verdienst- kreuzes des Landes Tirol
• Familienmensch, der seine Freizeit sehr ger- ne mit seiner Frau
Emmy und den fünf Kindern verbrachte
- 1956: Eintritt in die Gemeindepolitik von Schlanders, Übernahme des Asses- sorats für Gesundheitswesen und ver- antwortlich für den Krankenhausbau.
- 1958 bis 1968: Bürgermeister von Schlanders
- 1962/1963 Gründung der "Talgemein- schaft Vinschgau" und deren Präsident bis 1983
- 1963-1970 Mitglied des Exekutivaus- schusses des Landesfremdenverkehrs-
amtes
- 1965 – 1969 Aufsichtsratspräsident des Südtiroler Gemeindenverbandes
- 1968 – 1983: Landtagsabgeordneter und
- ab 1970 Regionalassessor
- 1973: Gründungsmitglied der Raiffei- sen-Zentralkasse Südtirol
- 1983 -1998 Präsident beziehungsweise Vizepräsident der Investitionsbank Trentino Südtirol
- 1983 – 1990 Vizepräsident der Sanitäts- einheit West
Kristian Klotz,
Nachfolger Müllers als Talschaftspräsident und Bürgermeister von Schluderns
Erich Müllers politisches Handeln gab dem einstigen "Armenhaus Südtirols", dem Vinschgau, entscheidende Impulse auf allen Ebenen. Er hatte erkannt, dass die Schaffung wichtiger Strukturen im Tale nur gelingen konnte, wenn alle politisch Verantwortlichen gemeinsam "die Ärmel hochkrempeln" und ihre Interessen mit einer Stimme vertreten. Mit der Gründung der Talgemeinschaft Vinschgau hat Müller Großes geleistet und einen wichtigen Grundstein für den Fortschritt im Tal gelegt.
Josef Noggler,
derzeitiger Präsident der Bezirksgemeinschaft Vinschgau und Bürgermeister von Mals
Erich Müller hat mit der Gründung der Talgemeinschaft vor 40 Jahren mit politischem Weitblickes eine neue Epoche der Zusammenarbeit im Tal eingeleitet. Seine Erfolge haben eindrucksvoll unterstrichen, dass gemeinsam begangene Wege zielführend sind. Er hat den Grundstein dafür gelegt, dass heute im politischen, sanitären und sozialen Bereich die Kräfte gebündelt sind.
Karl Pobitzer,
ehemaliger Assessor der Gemeinde Schlanders und Gründungsvater der Vinschger Arbeitnehmer
Ein ausgezeichnetes Verhältnis menschlichen Verstehens hatte Müller gegenüber den Angestellten der Gemeinde. Auch bei der Steuerbemessung für die Arbeiter hatte er ein gutes Gespür und verteilte die Lasten der Familiensteuer, die bis 1972 von der Gemeinde bestimmt wurden, gerecht.
Robert Kaserer,
Ex-Landtagsabgeordneter, ehemaliger Vizepräsident des Südtiroler Landtages
Bereits 1964 hatte ich Erich Müller für den Landtag vorgeschlagen. Er stellte sich erst vier Jahre später der Wahl. Als Bezirksobmann der SVP, als Kollege im Landtag und in der Region war meine Zusammenarbeit mit ihm angenehm. Er war niemals aufdringlich, sondern argumentierte überzeugend. Er war ein Idealist mit Realismus und Zielstrebigkeit. Wir warben gemeinsam für das „Paket“. Er setzte sich vehement für den Übergang der regionalen Zuständigkeiten auf das Land ein. Versammlungen mit ihm in den Dörfern waren interessant, weil er stets auf die aktuellen lokalen Probleme einging.
Ich behalte ihn in guter Erinnerung.
Magdalena Dietl Sapelza