Hilbertal stinkt zum Himmel
Die Anlage Hilbertal platzt aus allen Nähten.

Der Gestank ist im Gemeinderat angekommen

Publiziert in 11 / 2012 - Erschienen am 21. März 2012
Naturns – Auf die Geruchsbelästigungen aus der Kompostieranlage Hilbertal hin und nach dem Aufmarsch der Bürger im Ratssaal ist der Gemeinderat von Naturns aktiv geworden. von Günther Schöpf Das Volk hat geduldig alle 10 Tagesordnungspunkte durchgestanden und darauf gewartet, dass zur Sprache kommt, was seit 20 Jahren in der Gemeinde zum Himmel stinkt. Das Volk im engen Ratssaal von Naturns setzte sich aus interessierten Bürgern und aus Vertretern jener Familien zusammen, die im Dunstkreis der Kompostieranlage Hilbertal wohnen. Dabei liegt die Betonung auf Dunstkreis, denn die Ausdünstung aus Hilbertal prägt inzwischen sogar den Tagesrhythmus einiger Bürger. So ist Hilbertal bei Evi und Andreas Thuile nicht nur Gesprächsthema. Hilbertal ist bei ihnen im Wohnzimmer. Der Geruch von Küchenabfällen und gärendem Grasschnitt steckt in ihren Kleidern. „Wenn wir Bekannte zum Grillen einladen, dann verziehen die ihr Gesicht“, meinte Andreas Thuile. Er habe längst resigniert und den Glauben an die Politik verloren. Dem Fass den Boden durchgeschlagen habe vor Jahren die Bemerkung eines ranghohen Verwalters aus Naturns: „Wahrscheinlich stinkt es, weil junge Paare nicht gewohnt sind, ausgiebig zu lüften.“ Die Wohnung könne nur gelüftet werden, wenn nicht angeliefert werde, erklärte Evi Thuile. Die Geruchsbelästigung – so die verharmlosende Umschreibung für den grässlich-süßlichen Geruch, dem die Thuiles seit 1985 und die etwas entfernter wohnenden Anrainer seit den letzten 20 Jahren zunehmend ausgesetzt sind – habe inzwischen Dimensionen angenommen, dass es bei herbstlichem Fallwind nicht nur zum Himmel, sondern bis ins Zentrum von Naturns und Plaus stinke. Endlich mit Kopf und Fuß Auf die Problematik waren alle Naturnser Volksvertreter der letzten Verwaltungsperioden einmal mehr, einmal weniger aufmerksam gemacht worden. Der neuerliche Anlauf bei der Gemeinderatssitzung am 12. März 2012 hatte nun – im wahrsten Sinne des Wortes – Kopf und Fuß. Auf Anregung von Umweltreferentin Margot Tschager Svaldi und Gemeinderätin Christa Klotz Gruber waren die Leidtragenden vorstellig geworden. Svaldi blickte in geraffter Form auf den Werdegang eines „Abfallbewirtschaftungskonzeptes“ zurück, das die Gemeinde Naturns – so liest man im Internet – „bereits im fernen Jahr 1985 als Pilotprojekt Grüne Tonne gestartet und damit beispielgebend für viele Gemeinden in Südtirol und im Ausland einen ökologischen Weg für die Verwertung von organischen Abfällen eingeschlagen“ habe. „Man hat auf Kosten weniger dieses Projekt durchgezogen“, stellte die Umweltreferentin fest. Seit 1996 würden Haushaltsabfälle (auch Bioabfälle genannt) und Grünabfälle der Gemeinden Naturns, Plaus, Partschins, Latsch, Kastelbell-Tschars und Schnals ins Hilbertal gekarrt. 7.500 Tonnen seien es im Jahre 2010 gewesen. Bis zu 1.000 Kilogramm Baum- und Strauchschnitt könnten die Bürger kostenlos abgeben. In Zeiten des größten Andranges würden diese Mengen aber kaum registriert, teilte der einzige Angestellte auf der Anlage, Roman Mayr, mit. „Als ich im Jahre 2000 hier angefangen habe, wurden etwa 1.700 Tonnen angeliefert; auf 1.200 Tonnen ist die Anlage ausgerichtet. Inzwischen werden weit über 3.000 Tonnen geliefert.“ Die größte Katastrophe sei der Rasenschnitt von Grünanlagen und Fußballplätzen. Von letzteren sei das Gras dermaßen mit Stickstoff angereichert, dass es innert kürzester Zeit anfange zu gären, erzählte Mayr. Zusammen mit den Küchenabfällen ergäbe es dann jenen Gestank, den man in der Talsohle in den Monaten August bis November viel penetranter wahrnehme als auf der Anlage selbst. Mayr schilderte auch die fatale Mischung von Küchenabfällen und Strauchschnitt und das Dilemma, mit seinem veralteten Maschinenpark, darunter einem kaputten Hächsler – „seit 10 Jahren wurde hier nichts mehr ersetzt“ – die angelieferten Mengen bewältigen zu müssen. 2011 wurden in der 2. Juliwoche fast 100 Tonnen angeliefert. Innerhalb von einer Woche können aber höchstens 50 Tonnen verarbeitet werden. Kosten würden explodieren Margot Svaldi informierte kurz und bündig: Wenn die Betriebsgenehmigung entzogen würde, müsste das gesamte Material abtransportiert werden. Die Folge wäre eine Kostenexplosion. Der Gestank höre erst auf, wenn die Mengen reduziert würden. „Wir müssen sofort etwas gegen die Überlastung der Anlage in Hilbertal unternehmen“, erklärte Margot Svaldi entschlossen. Manch einem Gemeinderatsmitglied konnte es plötzlich nicht mehr schnell genug gehen. „Wir dürfen jetzt keine Halbherzigkeiten vorsehen, hieß es. Svaldis Lösungsvorschläge sahen die Trennung von Küchenabfällen und Strauchschnitt, die Sensibilisierung der Bevölkerung, das Gras in den Gärten trocknen zu lassen, den Abtransport von Material zu Stoßzeiten mit Verteilung der Mehrkosten auf alle Partnergemeinden vor. Begleitend dazu sollen Treffen der Umweltreferenten stattfinden und das Thema in den Bezirksgemeinschaften zur Sprache gebracht werden. Franz Gritsch (BürgerUnion) warf dazwischen, dass man die Selbstkompostierung verhindert und die Vinschger Gemeinden dazu genommen habe, um die Anlage kostengünstiger führen zu können. Christa Gruber (SVP) erzählte von einer ersten Unterschriftenaktion der Anrainer im Jahre 1995, die ohne Reaktionen blieb, und von Situationen, in denen Erntehelfer sich weigerten, in der Nähe der Anlage zu arbeiten, Grundbesitzern beim Baumschneiden übel wurde, und dass Jungbauern, die an die Kompostieranlage angrenzend ihre Felder haben, sich als Bürger zweiter Klasse fühlten. „Wenn man Skrupel hat, das Trinkwasser durch Pumpen laufen zu lassen, und auch sonst immer von der hohen Lebensqualität in Naturns spricht, muss man dasselbe Maß auch hier anwenden“, meinte sinngemäß die Gemeinderätin. Referentin Svaldi ließ den Gemeinderatsbeschluss vom 21. März 2005 an die Wand projizieren, aus dem hervorging, dass „nach der Inbetriebnahme der Vergärungsanlage in Lana die Kompostieranlage von Naturns aus folgenden Gründen geschlossen werden soll: Geruchsbelästigung, Ersetzung teurer Maschinen, Investitionskosten in die Zufahrtsstraße…“ Schon damals wollte man die „feuchten, organischen Abfälle… in die Vergärungsanlage bei den Tisner Auen“ bringen. Mehr als Willensbekundung? Umweltreferentin Margot Svaldi verlas einen Textvorschlag, der gemeinsam korrigiert, von Bürgermeister Andreas Heidegger eine „Willensbekundung“ genannt und einstimmig genehmigt wurde: „Festgestellt, dass die Bioabfälle in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen haben, dass die Bioabfälle die erlaubte Menge im Jahre 2011 deutlich überschritten haben, dass dies eine fachgerechte Kompostierung nicht mehr erlaubt und damit die Anlage zu einer immer größer werdenden Belastung für die Anrainer zwischen Naturns und Plaus wird, deren Lebensqualität immer mehr eingeschränkt und auch ein gesundheitliches Problem darstellt, dass die Maschinen in absehbarer Zeit zu ersetzen sind und die Zufahrtsstraße verbessert werden muss, was hohe Investitionskosten bedeutet, für die die Gemeinde nicht aufkommen kann, dass selbst bei Übernahme dieser Investitionskosten weder die Größe noch die Kapazität hat, diese Mengen zu verarbeiten, dass bereits 2005 der Gemeinderat beschlossen hat, nach Inbetriebnahme der Vergärungsanlage die Kompostieranlage im Hilbertal für den Biomüll zu schließen, dass dies dann auf nach der Beendigung der Erweiterung der Vergärungsanlage verschoben wurde, dass das Datum der Erweiterung immer wieder hinausgeschoben wurde, beschließt der Gemeinderat, dass die Verringerung der Mengen ab sofort angestrebt wird und so eine fachgerechte Kompostierung und eine Reduzierung der Geruchsemissionen möglich werden, dass die Kompostieranlage Hilbertal aus den obgenannten Mängeln innerhalb kürzester Zeit für die Anlieferung von Biomüll geschlossen werden muss und dieser auch bei eventuell höheren Kosten in die Vergärungsanlage nach Lana (Tisner Auen) gebracht wird, dass diese Forderungen Gegenstand bei allen Verhandlungen mit Land, Bezirk und Partnergemeinden sein müssen.“ Albert Gögele, BM Partschins, Bezirksumweltreferent Burggrafenamt „Vor 2016 wird die Vergärungsanlage in den Tisner Auen nicht fertig sein. Vorher müssen wir auf kurzfristige Lösungen hinarbeiten und die Menge des angelieferten Materials in Naturns verringern.“ Martin Stifter, Bezirksgemeinschaft Burggrafenamt „Organische, feuchte Abfälle werden bei uns in eigenen Behältern getrennt vom Strauchschnitt angeliefert. Die Trennung muss zuerst in die Köpfe“. Hansjörg Dietrich, Bezirksgemeinschaft Vinschgau „Laut Abfallwirtschaftsplan des Landes ist die Situation klar. Entscheiden werden nicht wir im Vinschgau, sondern das Land. Entweder wir sind für eine Lösung im Tal oder wir müssen nach Lana transportieren.“ Heinrich Kainz, Umweltreferent in Plaus „Im Herbst ist es besonders krass. Aus dem kühleren Hilbertal sinkt die Luft ins Tal und der Gestank erreicht das Dorf. Alle haben die Abfall-Menge total unterschätzt.“ Roland Riedl, Umweltreferent in Latsch „Wir haben 10 Hektar Grünflächen und wissen mit unserem Rasenschnitt nicht wohin. Nach Talair können wir nicht und Naturns hat uns bereits mitgeteilt, dass die Grenzen erreicht sind. Erleichterung schaffen könnten die Biobauern in der Gemeinde. 36.900 Euro hat die Gemeinde für Miete, Führung und Transport an Hilbertal gezahlt.“ Hubert Variola, Umweltreferent in Schnals „Es wird nicht mehr möglich sein, dass eine Gemeinde alles aufnimmt. Alle werden in den sauren Apfel beißen müssen. Zumindest den Grünschnitt wird jede Gemeinde für sich lagern müssen.“ Franz Tappeiner, Umweltreferent in ­Kastelbell-Tschars „Was wir produzieren, werden wir auch entsorgen müssen, sonst müssen wir unsere Lebensweise ändern. Es müssen die Bezirksgemeinschaften aktiv werden.“ Angelieferte Haushaltsabfälle 2011 im Hilbertal Naturns 1.260,45 t, Partschins 769,33 t, Latsch 660,83 t, Schnals 174,54 t, Kastelbell-Tschars 152,85 t, Plaus 131,5 t. Der Betrieb der Kompostieranlage Hilbertal ohne Investitionen kostete an die 172.000 Euro.
Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

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