Der Blick nach vorne
Publiziert in 1 / 2016 - Erschienen am 14. Januar 2016
Kaum ein Vinschger kennt das politische Geschehen im Land wie er. Im
der Vinschger-Interview steht Landesrat Richard Theiner Rede und Antwort.
LATSCH - Richard Theiner hat politische Karriere gemacht. Der Latscher kennt die Politik wie seine Westentasche. Seine politische Arbeit ist für ihn Berufung und Leidenschaft. In der Südtiroler Landesregierung ist er derzeit nicht nur als Landesrat für Raumentwicklung, Energie und Umwelt zuständig, sondern er fungiert auch als Landeshauptmannstellvertreter. SVP-Obmannschaft, Rentenvorschüsse und anderweitige Polemiken: Vieles hat Theiner hinter sich gelassen, richtet jetzt den Blick vor allem nach vorne. Im großen Vinschger-Interview spricht der 57-Jährige nicht nur über heikle politische Themen aus dem Vinschgau, sondern auch über sich selbst: Darüber, wie ihn die Rentenpolemik gekennzeichnet hat, über seine politische Zukunft und vieles mehr.
der Vinschger: In Ihrem Ressort hat sich 2015 einiges getan. Auch was den Vinschgau betrifft. Stichwort Energie: Das ehemalige ENEL-Stromnetz ist nun in Vinschger Hand. Was bedeutet dies für das Tal?
LR Richard Theiner: Die eigenständige Stromversorgung ist seit vielen Jahren ein Hauptanliegen der Vinschger. Es ist erfreulich, dass dieser Übergang nun realisiert worden ist. Die sechs Vinschger Gemeinden Graun, Mals, Schluderns, Glurns, Taufers und Laas sind seit dem 1. Jänner Eigentümer des Stromnetzes. Das VEK wurde von den Gemeinden mit der Führung dieses Stromnetzes betraut, die im Jahre 2016 gemeinsam mit der Selnet erfolgt.
Nach intensiven Verhandlungen hat man für dieses Übergangsjahr eine tragfähige Lösung gefunden, weil alle am gleichen Strang gezogen haben und offen und transparent gearbeitet wurde.
Die Übernahme brachte Probleme mit sich. Qualifizierte Mitarbeiter fehlen noch.
Wie gesagt, wir haben für 2016 eine vernünftige Übergangslösung gefunden. Dieses Jahr wird das Netz noch unter der Leitung der Selnet geführt, in Zusammenarbeit mit dem VEK, und somit kann eine geordnete, schrittweise Übernahme des gesamten Dienstes von Seiten des VEK zum 1.1.2017 erfolgen.
Also doch ein Meilenstein für die Vinschger Energiegeschichte?
Man kann mit Fug und Recht sagen, dass es sich bei der Übernahme des Stromnetzes im Vinschgau durch das VEK um einen Meilenstein in der Vinschger Energiegeschichte handelt. Bis die Netzübernahme möglich wurde, mussten zahlreiche Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Auch für den einzelnen Bürger bringt die Netzübernahme Vorteile mit sich: Als lokale Genossenschaft kümmert sich das VEK um schnelle und ortsnahe Problemlösungen. Seit Anfang Jänner gibt es auch ein eigenes Kundenbüro in Prad.
Vielen Vinschgern dürfte es egal sein, ob Meilenstein oder nicht. Die Frage, die Herr und Frau Vinschger brennend interessiert: Wird der Strom günstiger?
Im ersten Moment nicht. Der Strompreis ist ja nur zum Teil lokal beeinflussbar, weil er aus vier Komponenten besteht (Netzkosten, Förderungen von Grünstrom, Steuern und Abgaben sowie die eigentlichen Stromproduktionskosten), von denen die ersten drei zentral von Rom festgelegt werden und nur die Energiekomponente vom Dienstleister bestimmt werden kann. Die Verteilung durch das VEK wird sich also nicht unmittelbar auf den Strompreis niederschlagen; aber je effizienter Produktion und Verteilung sind, desto günstiger fällt am Ende natürlich auch der Stromtarif aus.
Auch Edison-Anteile wurden kürzlich übernommen. Wie kam dies zustande und welche Auswirkungen hat der Stromdeal auf den Vinschgau?
Mit der Vertragsunterzeichnung Ende Dezember hat die SEL die Edison-Anteile der Seledison- und der Hydros-Kraftwerke und damit von neun Großkraftwerken in Südtirol übernommen. Darunter sind mit Glurns und Kastelbell (Seledison) sowie Graun und Laas-Martell (Hydros) vier Kraftwerke im Vinschgau. Damit wurde das seit Jahrzehnten verfolgte energiepolitische Ziel, Südtirols Energie zur Gänze in heimischer Hand zu halten, erreicht. Für den Vinschgau, dort wo ortsfremde und ausschließlich gewinnorientierte Energiekonzerne über Jahrzehnte Land und Leute ausgebeutet haben, ist dies ein historischer Moment und der Schlusspunkt unter ein leidvolles Kapitel. Die Übernahme der Kraftwerksanteile spiegelt zudem unser Bemühen um eine ökologische Energiepolitik wider. Wir setzen damit auf erneuerbare Energien und bewegen uns in Richtung KlimaLand Südtirol.
Weg von der Energie, hin zur Umwelt. Auch dort hat sich in den vergangenen Wochen einiges getan. Südtirol wird seinen Teil vom Stilfserjoch Nationalpark künftig eigenständig verwalten.
Auch dies war ein lang gehegter Wunsch der Gemeinden und der Landesregierung. Nach langen und zähen Verhandlungen ist nun die autonome Verwaltung des eigenen Flächenanteils durch die Länder Südtirol und Trentino und die Region Lombardei Wirklichkeit geworden. Damit bleibt der Stilfserjoch Nationalpark ein Nationalpark, die Verwaltung wird jedoch dezentralisiert. Das eröffnet uns neue Möglichkeiten, beginnend mit einer Vereinfachung der Verwaltung. Bisher hat sich das Land an den Führungskosten beteiligt, aber selbst kaum über die Geschicke des Parks entscheiden können. Nun liegt die große Chance darin, dass wir eine eigene Strategie für die Organisation, Führung und Bewerbung des Nationalparks ausarbeiten. Gemeinsam mit den Gemeinden, Sozialpartnern und Umweltorganisationen vor Ort können wir eine eigene Vision vom Park entwickeln.
Ein anderes Thema, das die Vinschger bewegt, ist die Sanitätsreform. Oft wird Kritik an Ihrer Nachfolgerin im Gesundheitsressort, Martha Stocker, laut. Vor allem im Vinschgau, wo das Bezirkskrankenhaus mit all seinen Abteilungen vielen Bürgern ans Herz gewachsen ist. Sind Sie froh, dass Sie als Vinschger nicht mehr in der Schusslinie stehen?
Zehn Jahre lang habe ich mit Freude und viel Einsatz als Landesrat für Gesundheit und Soziales gearbeitet. In der ersten Zeit stiegen noch die Haushaltsmittel, doch in den letzten Jahren mussten wir mit geringer werdenden Finanzen eine hohe Qualität in den Gesundheits- und Sozialdiensten gewährleisten. Der ländliche Raum war mir dabei immer ein besonderes Anliegen. Nach zwei Legislaturperioden, die von vielen Reformen und Veränderungen geprägt waren, war es Zeit für neue Herausforderungen. Nun widme ich mich voll und ganz meinen neuen Aufgaben. Was im Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren erschwerend hinzukam, sind die neuen europaweiten Arbeitszeitregelungen. Medizinisches Personal kann weniger Stunden machen, es gibt einen Fachärztemangel, die hohen Standards sind immer schwerer zu erfüllen. Dies bekommt dann natürlich die Peripherie in erster Linie zu spüren. Ich bin aber davon überzeugt, dass es gelingen wird, das Krankenhaus Schlanders mit all seinen Diensten zu erhalten.
Auch die Geburtenstation?
Ja, auch die Geburtenstation. Die Landesregierung hat die erforderlichen finanziellen Mittel für die Erfüllung der staatlichen Standards bereitgestellt. Der Sanitätsbetrieb muss nun zusätzliches Personal einstellen.
Was steht 2016 auf der politischen Agenda?
Im Vordergrund steht 2016 die Ausarbeitung des neuen Landesgesetzes für Raum und Landschaft. Die Leitlinien und Zielsetzungen, die dafür die Grundlage bilden, wurden bereits 2015 von der Landesregierung genehmigt. Derzeit ist ein Expertenteam dabei, Aufbau und Struktur des neuen Gesetzes zu konzipieren, im Anschluss erfolgt dann die schrittweise Formulierung des Gesetzestextes, die bis Herbst abgeschlossen sein soll. Dann geht es in die Genehmigungsphase. Das derzeit gültige Landesraumordnungsgesetz geht auf die 1970er Jahre zurück und wurde im Laufe der Zeit oft abgeändert. Oberstes Ziel ist nun die Erarbeitung eines klaren und verständlichen, nachhaltigen sowie auf den Schutz von Grund und Boden ausgerichteten Gesetzestextes. Der Zersiedlung soll Einhalt geboten und die Zusammenarbeit von Gemeinden gefördert werden. Insbesondere im Vinschgau gibt es viel ungenutztes Bauvolumen in den Dorfkernen, während an den Ortsrändern Grünland in neuen Wohnraum umgewandelt wird.
Bei den Palabirn-Bäumen in Lichtenberg haben Sie sich bereits auf die Seite der Umweltschützer geschlagen.
Wir müssen uns bewusst sein, dass wir im Vinschgau eine einmalige Kulturlandschaft haben. Das ist unser großes Kapital. Wir müssen alles daran setzen, diese zu erhalten. Das muss im Kleinen beginnen.
Wie denkt der Umwelt-Landesrat über die Malser Pestizid-Debatte?
Die hohe Wahlbeteiligung und das eindeutige Ergebnis des Referendums in Mals können von niemandem ignoriert werden. Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Volksabstimmung machen aber auch deutlich, dass man eine ökologische Produktionsweise nicht erzwingen kann. Eine Bio-Landwirtschaft kann sich nur entwickeln, wenn die innere Überzeugung bei den Produzenten vorhanden ist. Der Trend geht aus vielerlei Gründen hin zu einer biologischen Landwirtschaft. Ich bin überzeugt, das ist auch eine große Chance für den Vinschgau. Aber auch der integrierte Obstbau, der viel besser als sein Ruf ist, wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen, wenn Agrios-Richtlinien weiterentwickelt und konsequent eingehalten werden.
Ein weiteres brennendes Thema im Vinschgau sind Zusammenschlüsse der Skigebiete.
Die Anzahl der Skifahrer wird nicht größer und wir werden immer öfter schneearme Winter haben. Zugleich werden die Skifahrer anspruchsvoller und kleine Skigebiete werden es in Zukunft noch schwerer haben. Die Landesregierung hat beschlossen, dass keine neuen Skigebiete entstehen können. Sehr wohl aber sollen bestehende Skigebiete Entwicklungsmöglichkeiten haben. Wo wirtschaftlich sinnvoll und ökologisch vertretbar können auch Zusammenschlüsse verwirklicht werden. Ich unterstütze u.a. die Bemühungen der Gemeinde Graun, die Skigebiete von Haideralm und Schöneben zusammenzuschließen. Mittelfristig sollte auch ein Zusammenschluss von Schöneben und dem Skigebiet Nauders angestrebt werden.
2014 haben Sie die SVP-Obmannschaft abgegeben. Vermissen Sie etwas?
Obmann der SVP zu sein, ist eine große Ehre und eine ebenso große Bürde, gerade in Zeiten, wo die Bindung zu den Parteien stark schwindet. Seit ich nicht mehr Obmann bin, hat sich meine Lebensqualität deutlich verbessert.
Wie sehr hat Sie die Rentenpolemik mitgenommen?
Die Politiker aller Parteien hat das schwer getroffen. Bei der Rentenregelung wurden große Fehler gemacht, von allen, Politikern der Mehrheit und der Opposition. Insbesondere die Auszahlung der Vorschüsse vor dem Pensionsalter war falsch. Egal, welcher politischen Richtung angehörig, ich glaube, wir haben alle unsere Lehren daraus und die nötigen Konsequenzen gezogen. Deshalb habe ich die erhaltenen Vorschüsse schon vor der gesetzlichen Verpflichtung dazu zurückgezahlt.
Die politische Zukunft des Richard Theiner?
Wir befinden uns knapp vor der Mitte der Legislaturperiode und ich werde mich dafür einsetzen, dass wir unser Wahlprogramm weiterhin tatkräftig umsetzen, insbesondere in den mir anvertrauten Aufgabenbereichen Raumentwicklung, Umwelt und Energie.
Michael Andres
Michael Andres