Was bewegt die Leute?
Umwelt, Klimaschutz, Immigration, Steuerdruck und weitere Themen im Mittelpunkt einer Diskussion mit drei Südtiroler EU-Kandidaten.
Naturns - Rund 375 Millionen Bürgerinnen und Bürger aus den 28 Mitgliedstaaten der EU sind dazu aufgerufen, am 26. Mai ein neues EU-Parlament zu wählen. In Italien werden 73 der insgesamt 751 Vertreter gewählt. Die Region Trentino-Südtirol gehört zum Wahlkreis Nord-Ost. Gemessen an Zahlen zur gesamten EU - rund 500 Millionen Einwohner, 28 Staaten, „Wirtschaftsweltmeister“ usw. - ist Südtirol ein Zwerg. Im weltweiten Kontext wirkt andererseits auch Europa klein, besonders wenn man zum Beispiel an China denkt. Ein kleines Siegelbild von dem, was die Menschen in der EU und somit auch in Südtirol bewegt, vereint oder trennt, wurde am 9. Mai, just am Europatag, im Jugendzentrum in Naturns geboten. Das JuZe hatte mit Unterstützung des JuPa (Jugendparlament) Naturns drei Südtiroler EU-Kandidaten zu einem offenen Diskussionsabend eingeladen.
Drei Spitzenkandidaten
Mit der Bozner Rechtsanwältin Renate Holzeisen, die auf der nationalen Liste „Plus Europa“ für das Team Köllensperger in das Rennen geht, dem Klimahaus-Experten und Bozner Gemeinderat Norbert Lantschner, der für die Südtiroler Grünen auf der Liste „Europa Verde“ kandidiert, und mit dem amtierende EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann von der SVP konnten die Moderatoren Zeno Christanell und Jana Unterholzner gleich drei Südtiroler Spitzenkadidaten willkommen heißen. Die SVP hat ein Wahlbündnis mit Forza Italia abgeschlossen und tritt mit einer eigenen Minderheitenliste an. Dorfmann erinnerte einleitend an die berühmte Rede, mit der Robert Schuman am 9. Mai 1950 die Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vorschlug. Die wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und die Offenheit der EU seien auch heute noch die Grundpfeiler der Union. Es sei laut Dorfmann gelungen, weitere Kriege zu verhindern und Wohlstand zu schaffen.
„Krieg gegen Natur und Umwelt“
„Und heute führen wir Krieg gegen die Natur und die Umwelt. Wenn es nicht gelingt, die Klimakrise rasch zu bewältigen, wird alles andere belanglos“, warf Lantschner ein. Die einzelnen Staaten seien nicht imstande, dieses Problem zu bewältigen, „die EU aber wäre dazu geeignet.“ Man hat das Problem mittlerweile zwar erkannt, aber bisher nur wenig getan. „Wir brauchen eine EU der Menschen und nicht der Industrie und Banken“, sagte Lantschner. Holzeisen nannte das Thema Transparenz als ihr besonderes Steckenpferd: „Auch auf der Ebene der EU ist der Zugang zu wesentlichen Dokumenten nicht selbstverständlich.“ In Sachen Umwelt und Klimaschutz gebe es EU-weit noch viel zu tun. Holzeisen regte u.a. eine EU-Strategie im Bahnverkehr an. Dass die EU in Sachen Klima wenig getan habe, wies Dorfmann zurück. In den Bereichen Industrie, Landwirtschaft sowie Heizen und Kühlen habe man die gesetzten Ziele zu Begrenzung der Erderwärmung erreicht. Im Bereich Transport bzw. Verkehr allerdings nicht.
CO2-Steuer ja oder nein?
Ein weiteres Thema war die EU-weite Einführung einer sogenannten Kohlenstoffsteuer bzw. CO2-Abgabe. Lantschner und Holzeisen stellten sich klar hinter eine „Carbon tax“. „Die Grünen setzen sich seit Jahren für eine solche Steuer ein“, sagte Lantschner. Klimaschutz gebe es nicht zum Nulltarif. Die bisherigen Weltklimagipfel und Konferenzen hätten nur „heiße Luft“ gebracht. In Sachen Klimaschutz sei sofort zu handeln, wobei auch „Systemfehler“ zu beheben seien. Als Beispiel für einen dieser Fehler nannte er das billige Fliegen: „So lange die Flugpreise so niedrig bleiben, wird sich nichts ändern.“ Dorfmann räumte zwar ein, dass auch bei der Besteuerung Hand anzulegen sei, sprach sich aber dafür aus, „dass in Bezug auf eine CO2-Abgabe weltweite Übereinkünfte abzuschließen sind.“
Zu hoher Steuerdruck
Thematisiert wurde auch der hohe Steuerdruck in vielen EU-Mitgliedstaaten und die Befürchtung, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich noch größer werden. Holzeisen plädierte dafür, dass die EU-Bestimmungen im Bereich Geldwäsche in allen Staaten umgesetzt werden sollten. Es gelte, jene auszuforschen, die Steuern hinterziehen. Lantschner sagte, dass Großkonzerne einen zu großen Einfluss hätten. Was auf der Strecke bleibe, sei das Gemeinwohl. Da brauche man sich nicht zu wundern, dass „Verlierer“ zu den Populisten wandern. Eine einheitliche Steuerregelung sei laut Dorfmann zwar erstrebenswert, doch er verwies auch auf teils große Unterschiede zwischen den Staaten. Nicht alle Staaten könnten sich z.B. hohe soziale Standards leisten.
Thema Migration
Unterschiedlich fielen die Ansichten der drei EU-Kandidaten auch zum Thema Einwanderung aus. Laut Lantschner wurden die Rechte der Menschen mit Füßen getreten: „Die EU muss solidarischer werden.“ Eine viel größere Migrationswelle stehe der EU aufgrund der Folgen der Klimakrise noch bevor. Das Thema sei sachlich und menschengerecht anzugehen. Laut Dorfmann geht es darum, die EU-Außengrenzen zu schützen. Geschehe das nicht, „werden wir die EU-Binnen-Grenzen nicht weiterhin offenhalten können.“ Die EU brauche zwar Menschen, die einwandern, aber die Einwanderung dürfte nicht unkontrolliert erfolgen. Speziell zu Afrika meine er, „dass es dort viele korrupte Diktatoren gibt.“ Er sei der Auffassung, „dass sich dieser Kontinent selbst auf den Weg machen muss.“ Holzeisen hält es für wichtig, die Ursachen und Gründe zu erheben, warum welche Menschen von wo wegziehen wollen.
Von China bis Forza Italia
Zu Sprache gebracht wurden u.a. auch die Themen Wirtschaftsmacht China, die Initiative „Neue Seidenstraße“, der Stellenwert der Regionen innerhalb der EU, die politischen Zusammenschlüsse im EU-Parlament, die Situation in Katalionien sowie auch das Wahlbündnis der SVP mit Forza Italia. Holzeisen und Lantschner kritisierten dieses Bündnis, während Dorfmann meinte: „Ich kandidiere nicht auch der Liste von Forza Italia, sondern die SVP tritt mit einer eigenen Minderheitenliste an.“ Die SVP und Forza Italia gehören beide der Europäischen Volkspartei (EVP) an, „deren Werte ich vertrete.“ Dass einige Leute, die für Forza Italia kandidieren, nicht seine Freunde seien, sei ein anderes Kapitel. Was das Bündnis betrifft, so werde es Forza Italia sein, „die uns Listenstimmen geben muss und nicht umgekehrt.“
Die Visionen
Geht es nach Norbert Lantschner, soll die EU in 20 Jahren ein „Europa der Menschlichkeit sein, ohne Ausgrenzung und emanzipiert gegenüber den USA.“ Laut Dorfmann werden sich die EU und die USA darauf einstellen müssen, in Zukunft nicht mehr der Nabel der Welt zu sein: „Ich wünsche mir, dass Europa im neuen Spiel der Mächte stark bleibt.“ Die Vision von Holzeisen ist die Schaffung der „Vereingten Staaten Europas.“ Eine besondere Note verliehen dem Abend im JuZe die „Zwischenrufe“ des Journalisten Ulrich Ladurner, den Zeno Christanell eingeladen hatte, seine Ansichten und Meinungen aus der Sicht eines neutralen Beobachters darzulegen. Wovor sich laut Ladurner alle hüten sollten, sind Vereinfachungen. Die Situationen und Themen seien in der Regel viel komplexer und vielschichtiger als sie oft dargestellt werden. Was der EU derzeit fehle, seien „befreiende Botschaften. Es gibt weniger Freiheiten und das macht die Populisten stark.“