Reinhold Messner: „Skigebiet Sulden mit Martell verbinden“

„Kleinstmöglicher Eingriff mit größtmöglichem Erfolg“

Publiziert in 6 / 2006 - Erschienen am 22. März 2006
Was der Tourismus im Vinschgau und die Wirtschaft insgesamt brauchen, ist laut Reinhold Messner ein wirkliches „Highlight“, das sich mit Skigebieten wie Dolomiti Superski (Sella Ronda, Kronplatz und Cortina d'Ampezzo) messen kann. Ein solches „Highlight“ sieht der Extrembergsteiger, Grenzgänger, Buchautor und Museumsgestalter in einer Anbindung des Skigebietes in Sulden an das hintere Martelltal. „Nur an bestehenden Skigebieten ‚herumflicken’ bringt nichts,“ sagt Messner in einem Interview mit dem „Vinschger“. Ziel müsse es sein, „mit dem kleinstmöglichen Eingriff den größtmöglichen Erfolg zu erzielen.“ „Der Vinschger“: Sie wohnen auf Juval, züchten in Sulden ihre Yaks und haben dort auch mit dem „Messner Mountain Museum Ortles“, kurz MMM Ortles, einen der Bausteine ihres Museumsprojektes umgesetzt. Sind sie ein Vinschger oder fühlen Sie sich als solcher? Reinhold Messner: Ich bin erst mit 40 in den Vinschgau gekommen und hoffe, dass ich inzwischen ein geduldeter Vinschger bin. Ich fühle mich durch und durch als Südtiroler. Im Vinschgau habe ich viel Zeit und Mittel eingesetzt. Ich bin sehr froh, dass ich in diesem Tal lebe und ich bin gerne auf Juval und in Sulden. Außerdem habe ich sowohl in Kastelbell-Tschars als auch in der Gemeinde Stilfs mit Josef Alber und Josef Hofer zwei handfeste Bürgermeister kennen gelernt, mit denen man gut zusammenarbeiten kann. Ich werde sicher meinen Wohnsitz im Vinschgau behalten. „Der Vinschger“: Hat der Vinschgau im Vergleich zu anderen Landesteilen etwas Besonders an sich? Reinhold Messner: Der Vinschgau hat die lebendigsten und kreativsten Leute. Das Tal hat das beste Licht, ist bis jetzt zum Glück noch nicht zu schlimm verbaut und die Landschaft ist nicht „verbraucht“. Die Kulturlandschaft Sonnenberg, aber auch die Nörderseite sind einzigartig. Dazu kommen noch die historische Bausubstanz, die Gletscher, die Obstplantagen, der Wein. „Der Vinschger“: Sie sind auf Juval auch selbst Bauer und kennen sich in der Landwirtschaft aus. Welche Zukunft steht den Bauern im Vinschgau ins Haus? Reinhold Messner: Ich bin nicht Bauer im eigentlichen Sinn, sondern Hofbesitzer. Das gilt für Sulden und auf Juval. Mit den Pächtern meiner Höfe gibt es ein klares Abkommen. Mir geht es vor allem um eine möglichst naturnahe Bewirtschaftung und um hohe Qualität, sei es beim Wein, beim Fleisch oder bei anderen Produkten. Zwischen der Landwirtschaft und dem Tourismus muss es in Zukunft zu einer starken Verzahnung kommen. Ich glaube, dass das für Südtirol der bessere Weg ist als die Monokulturen. In der Landwirtschaft gilt es Standortvorteile zu nutzen. Bei uns den Tourismus. „Der Vinschger“: Landeshauptmann Luis Durnwalder hat schon oft gesagt, dass der Tourismus im Vinschgau im landesweiten Vergleich etwas nachhinkt. Wie schätzen Sie den Tourismus im Tal ein? Reinhold Messner: Was Durnwalder zum Tourismus im Vinschgau sagt, stimmt. Im Vergleich zu den ladinischen Tälern und dem Pustertal liegt der Vinschgau weit zurück. Das hat Nachteile, kann für die Zukunft aber auch von großem Vorteil sein. Was der Vinschgau braucht, ist ein Skigebiet mit Ausstrahlung. Also etwas Einzigartiges, das sich mit den schönsten und besten Skigebieten im Alpenraum messen kann. Ich denke hier an das Gebiet Dolomiti Superski, das mit dem Kronplatz zu den stärksten Destinationen dieser Art der Welt gehört. Nur mit so einem „Highlight“ kann der Vinschgau künftig im Alpenbogen und auch weit darüber hinaus konkurrenzfähig bleiben. „Der Vinschger“: Wo könnte dieses „Highlight“ entstehen? Reinhold Messner: Es gibt hier wohl nur eine Möglichkeit: die Konzentration auf das Ortlergebiet. Ich sehe sie in einer Verbindung von Sulden mit Hintermartell. Nur damit lässt sich der Maxime „kleinmöglichster Eingriff mit größtmöglichem Erfolg“ am nächsten kommen. Auch wenn es in Sulden zur Erschließung des Hintergratkopfes kommt, bleibt das Skigebiet immer in einem „Sack“ stecken, und das mit allen Folgen wie etwa dem Zulaufverkehr in Gomagoi und im Suldental. „Der Vinschger“: Was meinen Sie mit „kleinstmöglich“ und mit „größtmöglich“? Reinhold Messner: „Kleinstmöglich“ heißt, dass der Eingriff in die Landschaft minimal wäre. Es bräuchte eigentlich nur einen einzigen Lift in Hintermartell, der bis auf das Madritschjoch führt. Es müsste dabei kein Baum geschlägert werden und der Angriff auf die Gletscher wäre für immer vom Tisch. Ist das nicht eine ökologisch saubere Lösung? Ich kann nicht sagen, wo genau und welche Art von Aufstiegsanlage gebaut werden könnte, denn das ist Sache der Fachleute. In Sulden befinden wir uns mit den bestehenden Anlagen bereits oberhalb des Madritschjoches. Mit „größtmöglich“ meine ich, dass die Qualität des Skigebietes in Sulden von heute auf morgen mindestens verdoppelt würde. Die Qualität, nicht die Infrastruktur. Wir hätten auf Marteller Seite eine rund acht Kilometer lange Piste und somit eines der schönsten Skigebiete im Alpenbogen. Zur Ortler Skiarena kämen die Morgenhänge dazu. Für den gesamten mittleren Vinschgau und Martell ein starker Magnet im Wintertourismus. Der wirtschaftliche Vorteil für den Vinschgau und Martell wäre enorm. Auch das ehemalige Hotel Paradiso könnte wieder saniert und belebt werden. Für ein „Highlight“ dieser Größenordnung braucht es natürlich den Einsatz und Willen des gesamten Einzugsgebietes, und zwar von Meran über Naturns, Latsch und Schlanders bis hinauf in den Obervinschgau. „Der Vinschger“: Und was sagen Sie zu den Plänen im Skigebiet auf der Tarscher Alm in Latsch? Reinhold Messner: Ich habe grundsätzlich nichts gegen kleine Skigebiete für die Einheimischen. Wenn es in Latsch aber keinen privaten Investor gibt, der die Verantwortung übernimmt, bleibt das Ganze Flickwerk. Wenn es so weiter geht wie bisher, wird die Allgemeinheit immer wieder dreinzahlen müssen und trotzdem fehlt der Magnet nach außen. „Der Vinschger“: Alle Aufstiegsanlagen in Sulden und in Trafoi gehören einem einzigen Mann, nämlich Walter Klaus. Er ist, wie Sie ja auch, Ehrenbürger der Gemeinde Stilfs. Haben Sie mit Walter Klaus, der das Skigebiet in Sulden in Richtung Suldenspitze erweitern möchte, über eine Anbindung mit Martell gesprochen? Reinhold Messner: Ja, das habe ich. Auch für Walter Klaus, den ich als mutigen Unternehmer mit Hausverstand schätze und der mit seinen Investitionen in Trafoi ein Bergdorf unterstützt, wäre eine solche Verbindung die beste Lösung. Vielleicht wäre er bereit, auf das Ansinnen einer Erschließung in Richtung Suldenspitze zu verzichten. Die Möglichkeit, Madritsch zu beschneien, muss ihm in jedem Fall zugestanden werden, damit die Saison reibungslos im November beginnen kann. Walter Klaus wäre auch, denke ich, bereit, zu investieren. Die einschlägigen Landesförderungen müssten natürlich gewährt werden und auch die Rahmenbedingungen müssten stimmen. Dazu zählen unter anderem Hotels, vor allem im Großraum Naturns, Latsch und Schlanders, die im Winter geöffnet sind. Zusätzlich zur Wintersaison würde das „Highlight“ auch den Tourismus im Sommer aufwerten. Während der Sommermonate müsste nur je eine Aufstiegsanlage auf jeder Talseite in Betrieb genommen werden. „Der Vinschger“: Sulden und Martell liegen aber im Nationalpark. Reinhold Messner: Weiß ich, aber wir können nicht höher hinauf als bisher. Natürlich muss so ein Vorschlag von der Politik, der Bevölkerung und den zuständigen Gremien gewollt und mitgetragen werden. Ich für meinen Teil sage nur, dass die Vinschger die Möglichkeit haben, eine große, weit reichende Entscheidung zu treffen. Es geht nicht nur um die künftige Konkurrenzfähigkeit im Alpenraum, sondern um den weltweiten Wettbewerb. Die Globalisierung schreitet voran, in Kanada, in China und auch im Kaukasus sind neue, schöne Skigebiete im Entstehen. Weitere werden folgen. Wir dürfen unser einmaliges Landschaftskapital nutzen, wenn wir es nicht kaputt bauen. Also mit Fingerspitzengefühl und für den Vinschgau in die Zukunft gedacht. „Der Vinschger“: Ist der Vinschgau verkehrsmäßig ausreichend erschlossen? Reinhold Messner: Ja. Ein großes Problem ist der Schwerverkehr, der immer weiter wächst. Ich bin überzeugt, dass sich der reine Transit-Schwerverkehr mit EU-Bestimmungen hinauszwingen lässt. Den sogenannten „Briefkasten“-Transporteuren muss das Handwerk gelegt werden. Auf der Brennerachse wird man dem Schwerverkehr erst beikommen können, wenn der Basistunnel einmal gebaut ist. „Der Vinschger“: Die neue Vinschger Bahn kommt gut an. Braucht es einen Anschluss an die Schweiz? Reinhold Messner: Ich hatte die Bahn früher als zu teuer und als Fass ohne Boden eingeschätzt. Seit der Eröffnung am 5. Mai 2005, bei der ich zugegen war, bin ich ein Befürworter der Bahn. Wir müssen allerdings dafür sorgen, dass sie genutzt wird, denn nur so wird sie weiter erfolgreich bleiben. Eine Anbindung an das Bahnnetz in der Schweiz wäre ideal. „Der Vinschger“: Sie waren auch EU-Parlamentarier. Haben Sie nicht manchmal Sehnsucht nach der aktiven Politik? Reinhold Messner: Nein, im Gegenteil, ich habe keine Sehnsucht. Was in Rom geschieht, interessiert mich relativ wenig. Wichtig ist, was sich in Bozen und auf EU-Ebene tut. Eine klassische Demokratie haben wir in Südtirol allerdings nicht. Die SVP regiert seit sechs Jahrzehnten de facto allein. Solange die Arbeitnehmer sich nicht abspalten, wird das so bleiben. Auch die Verquickungen zwischen Politik und Medienmacht sind unübersehbar. Die „christlichen Brüder“ vom Weinbergweg leisten nach wie vor ganze Arbeit. „Der Vinschger“: Sie werden im September 62 Jahre alt. Macht ihnen das Älterwerden Sorgen? Reinhold Messner: Es ist ein schwieriger Prozess, älter zu werden. Ich habe mich zu diesem Thema im Buch „Gobi – Die Wüste in mir“ auseinandergesetzt. Es ist ein Buch über das Altern. Sorgen bereitet es mir nicht, ich habe mit Sigmundskron eine große Aufgabe. „Der Vinschger“: Am 11. Juni eröffnen Sie als viertes und zentrales Element ihres Museumsprojektes das „Messner Mountain Museum“ Schloss Sigmundskron. Für das fünfte und letzte suchen Sie noch einen Standort. Was kommt nach dem Museumsprojekt? Reinhold Messner: Für einige Jahre werde ich noch Museumsgestalter bleiben. Die Museen müssen sich eines Tages selbst tragen. Wenn das erreicht ist, werde ich mehr ein Beobachter sein und weniger der Arbeiter. Für die fernere Zukunft habe ich nochmals neue Pläne. Interview: Sepp Laner Fotos: Nadege de Oliveira
Josef Laner
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Vinschger Sonderausgabe

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