Im Obervinschgau liegt Potential
Publiziert in 8 / 2009 - Erschienen am 4. März 2009
Jede Krise bringt Veränderungen mit sich, und so dürfte auch die Landwirtschaft im oberen Vinschgau derzeit an einem Wendepunkt stehen. Die katastrophalen Fleischpreise und die bevorstehende Milchkontingentierung nach 2013 treiben die Obervinschger Landwirtschaft in arge Bedrängnis, und viele Betriebe sind auf der Suche nach neuen Erwerbsquellen auf ihren Höfen. Gleichzeitig denken viele Bauern infolge des Baus der Beregnungsanlage auf der Unteren Malser Haide an eine Umstellung auf den viel versprechenden Obstbau.
So kam die Tagung „Landwirtschaft im oberen Vinschgau – wohin?“ am vergangenen Samstag in der Fürstenburg in Burgeis gerade recht, um den zahlreichen interessierten Bäuerinnen und Bauern Alternativen zur maroden Viehwirtschaft aufzuzeigen.
von Ingeborg Rechenmacher
„Wir möchten mit dieser Tagung Möglichkeiten aufzeigen, wie das Einkommen eines landwirtschaftlichen Betriebes erhöht und abgesichert werden kann, aber auch, wie die Freude an der Arbeit auf den Höfen nicht verloren geht und zugleich die Kulturlandschaft erhalten werden kann“, sagte Hans Zagler, Fachlehrer an der Fürstenburg und Initiator der Veranstaltung. „Wir müssen vorbereitet sein auf eine Veränderung in der Agrarpolitik nach 2013 und dürfen nicht tatenlos abwarten, was auf uns zukommt“.
In einem ersten Schritt wollten die Veranstalter die Sonderkulturen Himbeeren, Erdbeeren, Süßkirchen und Marillen vorstellen; eine später folgende Veranstaltung hat den Gemüse- und Kräuteranbau sowie den Obstanbau in Höhenlagen zum Inhalt.
Für Massimo Zago, der seit über 10 Jahren im Fachbereich „Sonderkulturen“ an der Laimburg tätig ist, steckt im oberen Vinschgau ein großes Potential für Sonderkulturen. Das Klima und die Höhenlage sowie die klein strukturierten Betriebe können für Spezialkulturen auch ein Vorteil sein, und die Laimburg habe bereits gute Erfahrungen mit Spezialkulturen in Mittelsgebirgslagen und auch in Höhenlagen gemacht.
Der Referent stellte in anschaulicher Weise Erdbeer-, Himbeer- Süßkirschen- und Marillenanlagen in Südtirol und im Vinschgau vor, beschrieb die erforderlichen Voraussetzungen wie Bodenbeschaffenheit, Standort und Sortenwahl sowie mögliche Anbaumethoden und Kulturführungen. Was bei allen Kulturarten nicht fehlen dürfe, sei das Wasser.
Drei Vinschger Anbauer, Christoph Bernhart aus Schlinig, Gerold Frank aus Mals und Roswitha Tappeiner aus Tschengls berichteten über ihre ersten Erfahrungen mit Spezialkulturen auf ihren Höfen. Gemeinsam mit Vater und Bruder hat der Bankangestellte Christoph Bernhart in seinem Heimatdorf Schlinig auf 1700 m Meereshöhe den Versuch gewagt, Erdbeeren anzubauen. Auf einer Fläche von einem Hektar setzte er 80.000 Erdbeerpflanzen der Sorte El Santa, dazu wurde eine Tropfberegnung mit Fertigationsdüngung gelegt. Aus arbeitstechnischen Gründen würde Christoph Bernhart heute empfehlen, anfangs eine kleinere Fläche anzubauen.
Familie Bernhart gehört zu den freien Lieferanten, die an den Tourismus, an die OVEG und vor allem an die EGMA Vilpian liefern. „Dort stimmt die Beratung, und das ist für die Qualitätsproduktion sehr wichtig“, so Bernhart.
Auch für den Laimburg-Angestellten Gerold Frank aus Mals stellte sich vor einigen Jahren die Frage, wie es mit der Viehwirtschaft weitergehen wird, und wie er aus seinem landwirtschaftlichen Betrieb höhere Erträge erwirtschaften kann. Gerold Frank entschied sich für den Süßkirschenanbau und setzte im Jahre 2004 die ersten 220 Bäume auf 2000 Quadratmeter Kulturgrund. Erst durch die Überdachung im 4. Standjahr gelang es dem Nebenerwerbsbauern, Qualität und Menge zu produzieren, die er an die OVEG nach Eyrs lieferte. „Die Gesamtkosten für die Anpflanzung eines Hektars Fläche belaufen sich auf ca. 70 000 Euro samt Überdachung“, so Gerold Frank, und das sei kein Pappenstiel.
Himbeeranbau
am Türkhof in Tschengls
Als Roswitha Tappeiner (im Bild) im Jahre 1992 ihren Heimathof, den Türkhof oberhalb von Tschengls übernahm, hatte sie wohl nicht gedacht, dass sie 12 Jahre später ihr ganzes Engagement und ihre Leidenschaft in den Himbeeranbau stecken würde.
Zu hohe Investitionen, u.a. der Bau einer Güllegrube, standen bald nach der Sanierung des Bauernhauses im Jahre 1995 beim Wirtschaftsgebäude an, und aus einer wirtschaftlichen Überlegung heraus machte sich die Jungbäuerin auf die Suche nach einer Alternative zur Viehwirtschaft.
Ein Zeitungsbericht über die Marteller Erzeugergenossenschaft MEG und über den Beerenanbau im Martelltal im November 2003 weckte das Interesse von Roswitha Tappeiner. Nachdem sie sich bei Peter Gamper, dem Geschäftsführer der MEG überzeugt hatte, dass ihr Hof auf 1200 Meter Meereshöhe die besten Voraussetzungen für den Himbeeranbau besitzt, besuchte sie im Winter einen Kurs über Beerenanbau an der Fürstenburg in Burgeis.
Dort fand die Jungbäuerin in Hans Zagler, einem Fachlehrer der Fürstenburg, einen zweiten Ansprechpartner, der sich bereit erklärte, ihr mit seinen Schülern bei der Bepflanzung einer Anlage zu helfen.
Bereits im Jänner 2004 wurde das Pflanzmaterial für eine Anbaufläche von 1000 m² bestellt. Roswitha Tappeiner startete mit den sommertragenden Sorten Elida, Glen Ample und Tulameen, die zweite Anlage mit ebenfalls 1000 m² Anbaufläche wurde zwei Jahre später nur mehr mit beiden letzteren Sorten bepflanzt.
Der Himbeeranbau hat auch seine Arbeitsspitzen: das Anbinden der jungen Triebe erfolgt Ende April; die Ernte erstreckt sich von Anfang Juli bis Mitte August. Erstmals musste Roswitha Tappeiner im Sommer 2008 drei Fremdarbeiterinnen anstellen; ansonsten ist die ganze Familie bei der Erne involviert. Roswithas Vater, der 79jährige Türkhof-Bauer, der anfangs große Zweifel am ganzen Unternehmen hegte, hat inzwischen die Kontrolle der Tropfberegnung und das Abwägen der Früchte mit großer Gewissenhaftigkeit übernommen.
Die Vermarktung der Früchte erfolgt über die MEG Martell, bei der Roswitha Tappeiner „Mitglied auf Ehre“ ist.
Unmittelbar nach Abschluss der Ernte müssen die Tragruten zurück geschnitten werden, um den Jungruten Licht und Platz zu spenden. Ende Oktober werden alle Jungruten auf den Boden gebunden, damit sie in der Schneedecke von dem Austrocknen durch den Wind geschützt sind. Gerade aufgrund des Schnees, der an der Nörderseite des Tales länger liegen bleibt, ist der Standort am Türkhof für die Himbeeren optimal.
Trotz einiger Anlaufschwierigkeiten in den Anfangsjahren und einiger Wildschäden weiß die Bäuerin heute, dass sie den richtigen Weg gegangen ist. Der Himbeeranbau ist für sie zur Berufung geworden, vor allem wohl auch deshalb, weil sie es gewagt hat, etwas Innovatives und wirtschaftlich Interessantes auf ihrem Heimathof zu schaffen.
Einzelgänger haben
keine Zukunft
Einige interessante Eckdaten zur Marteller Erzeugergenossenschaft MEG lieferte der Geschäftsführer Peter Gamper. 65 Mitglieder bearbeiteten im Jahre 2007 78 ha Anbaufläche, wobei der Erdbeeranbau mit 51 ha Anbaufläche und einer Produktion von 900 Tonnen dominierte, so Gamper. „Die MEG hatte im Jahre 2007 einen Gesamtumsatz von 5 Millionen Euro; unser Absatzmarkt liegt zu 97 % Prozent im oberitalienische Raum, wobei
50 % unserer Produkte an die Großmärkte und 30 % an den Lebensmitteleinzelhandel geliefert werden. Die Discounter haben einen schwindenden Anteil von 0,5 %“.
„Es ist einiges Potential im Obervinschgau möglich, jedoch müssen wir es professionell angehen!“, so der Geschäftsführer. Er betonte, dass die Beratung der Bauern zu den Sonderkulturen zwar über die MEG laufen könne, dass es jedoch unerlässlich sei, dass die Produzenten ihre Produkte an die nächstgelegene Genossenschaft liefern könnten. „Es kann nicht sein, dass ein Matscher Bauer täglich nach Martell fahren muss“, so Gamper unmissverständlich. „Und wenn wir von Vermarktung reden, dann kann nur die VIP euer Ansprechpartner sein, den dort funktioniert die Kundenbetreuung!“ Alle Produkte der Spezialkulturen seien für den Obervinschgau interessant, aber nur gemeinsam könne man erfolgreich arbeiten; „Einzelgänger haben heute keine Zukunft mehr“, so Peter Gamper.
Er wartete mit einigen interessanten Zahlen zu den Produktionskosten und Auszahlungspreisen auf und abschließend nannte er nochmals die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Sonderkulturenanbau: der geeignete Standort, die vorhandene Arbeitskraft, den Maschinenpark (Maschinenring), das notwenige Wissen, Weiterbildung und Beratung sowie die Mitgliedschaft bei einer Genossenschaft.
Aufgrund der Landesversammlung des Südtiroler Bauernbundes in Bozen, die ebenfalls am Samstag stattfand, fehlten einige Bauernbundfunktionäre, darunter Bezirksobmann Andreas Tappeiner. Auf die Veranstaltung angesprochen, sagte Tappeiner gegenüber dem „Vinschger“: „Ich begrüße die Initiative der landwirtschaftlichen Fachschule Fürstenburg, die Entwicklungen, die sich im Oberen Vinschgau abzeichnen, nicht nur zu verfolgen, sondern aktiv zu begleiten und sich positiv einzubringen. Es ist gerade in der Umstellungsphase besonders wichtig, dass praktische Erfahrungen von Anbauern und Vermarktern als Hilfestellung angeboten werden, und dass den Bauern die Angst vor dem Neuen, das auf sie zukommt, genommen wird“.
Ingeborg Rainalter Rechenmacher