"Vielleicht hoobm si inzwischn di Mäus gfressn"
Publiziert in 17 / 2003 - Erschienen am 11. September 2003
Drei Köpfe aus Pappmaschee hinter den Fenstern des alten Hotels Hochfinstermünz erinnerten Vorbeifahrende noch bis vor kurzem an die Filme „Der Rebell“ und „Der Feuerteufel“, die Luis Trenker als Regisseur und Hauptdarsteller 1932 und 1939 mit den Filmpartnerinnen Leni Riefenstahl beziehungsweise Judith Holzmeister dort gedreht hatte. Die Köpfe gehörten zu den Puppen, die als „Komparsen“ für halsbrecherische Abstürze an der Felswand hinter dem Haus dienten. Als Neunjährige konnte Emi einst die legendären Filmstars hautnah erleben. In Vergangenheit waren es vor allem Busunternehmer aus dem Vinschgau, die über diese Geschichte Bescheid wussten. „Di Vinschger sain ollm mitn Omnibus stean bliebm unt hoobm di Grint oungschaug“, schildert Emi, "ober koaner isch inni kemman eppas trinken". Vor Jahren stießen spielende Katzen die Köpfe zu Boden. Emi hob sie nicht mehr auf, weil sie sich immer so geärgert hatte. „Vielleicht hoobm si inzwischn di Mäus gfressen“, bemerkt sie mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Ansonsten mag sie die Vinschger. Das bekräftigt sie. Einige kehren seit Jahren bei ihr ein. Nach wie vor bewirtet sie Reisende, verkauft Ansichtskarten und stempelt Briefmarken. Hochfinstermünz hat immer noch den Status einer Poststelle, die Emi nunmehr auf freiwilliger Basis führt. Das einstige Nobelhotel mit sechzig Betten verfügte bereits zur Jahrhundertwende über Etagenbäder und ein Frei- schwimmbad, damals ein besonderer Komfort. Bis zu fünfzehn Angestellte umsorgten während der Sommermonate die durchwegs wohlhabenden Gäste, die meist aus England kamen, oder arbeiteten im hoteleigenen landwirtschaftlichen Betrieb. Die dreieinhalb Hektar Grünland auf dem Schuttkegel am Fuße von Hochfinstermünz mit dem klingenden Flurnamen "Österreich", ernährten sieben Kühe, mehrere Schafe und Schweine. Oft hieß es: „Emi, Marende af Österreich trogn“. Sie musste überall zupacken. Doch sie sollte auch eine umfassende Ausbildung genießen, so wollte es ihr Vater. Vieles kam anders als geplant. „Pa miar hotts a poor mool aus geebm“, sagt sie. Der Handelschulbesuch fiel den Bomben in Landeck zum Opfer. In Genf, wo sie Französisch lernen sollte, erkrankte sie und musste heimkehren. Einen bereits geplanten Sprachunterricht in England untersagte ihr der Arzt.
Italienisch eignete sie sich schon in der Pflichtschulzeit an. Die Freundschaft zwischen Hitler und Duce hatte Italienischstunden möglich gemacht. Um seine Tochter zu fördern, lud Emis Vater einmal sogar ihre Italienischlehrerin zu einem Gratis-Urlaub nach Hochfinstermünz ein, mit der einzigen Auflage, seiner Tochter Nachhilfeunterricht zu erteilen. „I honn norr aa an südländischen Spezi kopp“, schwärmt Emi. An ihn erinnern noch Fotos, versehen mit den Worten „Ti amo“. Eine engere Beziehung mit ihm wagte sie aber nicht einzugehen. „I honn Schiss vorn Voter kopp“, erzählt sie und ergänzt, die Nauderer hätten immer geglaubt, sie sei zu stolz und lasse keinen Mann an sich heran, dabei sei sie nur sehr schüchtern gewesen. Der plötzliche Tod ihres Vaters 1959 durch einen Schlaganfall stellte Emi von einem Tag auf den anderen vor fast unlösbar erscheinende Aufgaben. Sie musste das Hotel übernehmen, das im Zuge von Renovierungsarbeiten zu diesem Zeitpunkt ohne Dach dastand. Gleichzeitig fiel ihr die Verantwortung für ihre Mutter und ihre behinderte Schwester zu. Verbissen kämpfte sich Emi durch. In dieser Zeit lernte sie Othmar kennen, der ihr Lebensgefährte wurde und schon bald auch die Hotelküche übernahm. Sie war mit den vielen Schreibarbeiten, dem Personal und dem Service beschäftigt. Bis zu dreihundert Restaurantgäste waren an guten Tagen zu versorgen. Eine Hochzeit stand nie an, weil keine Kinder kamen. So ist Emi ledig geblieben. Die Jahre zogen ins Land. Immer mehr Autos fuhren immer schneller an Altfinstermünz vorbei, der einstige Glanz bröckelte langsam ab. Für Emi begann auch das Abschiednehmen von ihren Weggefährten. Zuerst starben Mutter und Schwester, dann auch Othmar, alle drei in ihren Armen.
Sie kam mit der Vergänglichkeit in Berührung, wie kaum jemand anders. Und dennoch, sie strahlt Gelassenheit aus und hat auch ihren kernigen Humor bewahrt. Besonders gerne kehren Freunde und Bekannte aus vergangenen Zeiten bei ihr ein, so auch Ferdinand Trenker, der als Kind mit ihr gespielt hatte. Obwohl sie täglich den Kampf mit ihren schmerzenden Beinen austragen muss, gibt Emi nicht auf.
Magdalena Dietl Sapelza
Magdalena Dietl Sapelza