„Bärig“ hoch zwei
Erstmals Lauben-Kino in Glurns mit dem Film „Gefährlich nah - Wenn Bären töten“.
Glurns - Viele haben am 30. August erlebt, dass es „bärig“ ist, abends in der Laubengasse in Glurns bei Popcorn und Getränken unter freiem Himmel Kino zu genießen. „Bärig“ im wahrsten Sinne des Wortes war auch der Inhalt des Films, der auf Einladung der Bürgergenossenschaft Obervinschgau gezeigt wurde. Zu sehen war der Dokumentarfilm „Gefährlich nah – Wenn Bären töten“ des 1967 geborenen Regisseurs und Autors Andreas Pichler aus Bozen. Bevor die Laubengasse aber für 90 Minuten den Bären und den vielen spannungsgeladenen Themen rund um die Wiederansiedelung der Bären im Trentino gehörte, stellten die Fachagrarwirtin Martina Schäfer, Mitarbeiterin der Genossenschaft „da - die Bürger*Genossenschaft Obervinschgau“, und der Geschäftsführer Michael Hofer die Genossenschaft und deren Tätigkeiten kurz vor. Die BGO, ein Kind des „Malser Weges“, zählt derzeit über 170 Mitglieder, vorwiegend im Raum Obervinschgau, beschäftigt zwischen 15 und 20 Mitarbeiter und ist vor allem in den Bereichen Landwirtschaft, Kultur und Soziales tätig. „Unser Ziel ist es, dass die Menschen im Obervinschgau gesund und gut leben können und sich in ihrem Lebensraum wohlfühlen“, sagte Martina Schäfer. Die BGO wolle alle Menschen mitnehmen und setze auf kleine, lokale Kreisläufe. Michael Hofer stellte u.a. die Bio-Dorfsennerei in Prad und das Kulturcafé Salina in Glurns vor, die beide von der BGO geführt werden.
Filmvorführung mit dem Regisseur
Es war dann auch das Salina-Team, welches das zahlreiche Publikum beim ersten Lauben-Kino mit Popcorn, Getränken und lokalen Köstlichkeiten versorgte. Besonders erfreut zeigte sich die Moderatorin Petra Windegger darüber, dass der Regisseur Andreas Pichler persönlich nach Glurns gekommen war und sich im Anschluss an die Filmvorführung für eine Gesprächsrunde bereit erklärt hatte. Pichler, der Film- und Kulturwissenschaften an der „Università degli Studi di Bologna“ und Philosophie an der Freien Universität Berlin studiert hat, ist vor allem als Dokumentarfilmer bekannt. Er arbeitet seit Ende 2000 hauptberuflich in diesem Bereich. Wie schon bei Filmen wie „Das Venedig Prinzip“, „Das System Milch“ oder „Alkohol – Der globale Rausch“ befasst er sich auch in seinem neuesten Dokumentarfilm „Gefährlich nah – Wenn Bären töten“, der am vergangenen 24. August im Filmclub Bozen gezeigt wurde und derzeit in den Kinos in Italien läuft, mit einem spannungsgeladenen, kontrovers diskutierten und aktuellen Thema, das weite Teile der Gesellschaft unmittelbar berührt.
Wiederansiedlungsprojekt im Fokus
In „Gefährlich nah – Wenn Bären töten“ widmet sich der Regisseur in erster Linie dem Projekt der Wiederansiedelung der Bären im Trentino. 1999 hatten sich der Naturpark Adamello-Brenta und die Autonome Provinz Trient in Zusammenarbeit mit dem Wildtierinstitut INFS (Instituto Nazionale per la Fauna Selvatica) im Zuge eines von der EU mitfinanzierten Projektes entschieden, 10 Bären aus Slowenien einzuführen und in dem einst von Bären genutzten Gebiet im Naturpark Adamello-Brenta auszuwildern. Mit dem Projekt „Life Ursus“ sollte der Grundstein für das Entstehen einer kleinen Bärenpopulation in der Brentagruppe geschaffen werden. 1997 hatten dort nur noch 3 Individuen gelebt. Mittlerweile ist die Population aber auf rund 100 Tiere angewachsen. Im Zeitraum von 2005 bis 2023 sollen über 50 männliche Bären das Ursprungsgebiet verlassen haben. Auch Bären, die im Oberallgäu in Deutschland gesichtet wurden, sollen aus dem Trentino stammen. In seinem Film beleuchtet Andras Pichler eine Vielzahl von Aspekten und Sichtweisen rund um das Wiederansiedlungsprojekt. Er ist sozusagen ein „neutraler Beobachter“ und bietet allen, die mit dem komplexen Thema konfrontiert sind, die Möglichkeit, sich in Wort, Bild und Mimik zu äußern. Erzürnte Viehhalter kommen ebenso zu Wort, wie Tourismustreibende, Tierschützer, Politiker, Förster oder Leute, die in Dörfern leben, durch welche immer wieder Bären ziehen. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Positionen. Die Palette reicht von „Alle Bären abschießen“ bis hin zum Gegenteil: „Es ist der Mensch, der sich ein Stück weit zurückziehen soll.“
Rund 4 Jahre lang gearbeitet
An „Gefährlich nah – Wenn Bären töten“ hat Pichler rund 4 Jahre lang in unregelmäßigen Abständen gearbeitet. Außergewöhnliche Naturaufnahmen von Bären hat ihm der Naturfotograf Horst Eberhöfer, Autor des Buchs „Der Wilderer im Nationapark“ zur Verfügung gestellt. Eberhöfer spürt den Bären im Trentino schon seit mehreren Jahren nach. Andreas Pichlers ursprüngliche Absicht war es, einen Film über den berühmten Braunbären „Papillon“ zu machen, der vermehrt aus einem Gehege im Trentino ausgebrochen ist. Auf den Kopf gestellt wurden seine Pläne im April 2023, als der 26-jährige Jogger Andrea Papi durch einen Bärenangriff getötet wurde, und zwar von der Problembärin „Gaia“ (JJ4). Diese Bärin soll nun vom Trentiner Gehege in Casteller nach Deutschland gebracht werden, und zwar in den „Alternativen Wolf- und Bärenpark Schwarzwald“, wo sich seit 2010 auch die Bärin „Jurka“, das Muttertier von JJ4 befindet. „Jurka“ ist auch die Mutter des Braunbären „Bruno“, der am 26.06.2006 in Bayern erschossen wurde.
„Die Realität so wiedergeben, wie sie ist“
Bei seiner Arbeit konnte Andreas Pichler auf die Unterstützung der Spezialeinheit der Forstwache bauen, die sich im Trentino um die Bärenpopulation kümmert. Die Stimmung und Sichtweisen der Förster hat der Grimme-Preisträger ebenfalls eingefangen, wie jene der Eltern von Andrea Papi, der Bevölkerung, der Politik, der Bauern, der Demonstranten für und gegen den Abschuss von Problembären sowie vieler weiterer Personen, die mit den vielschichtigen Problemen rund um das Zusammenleben von Mensch und Bär befasst bzw. betroffen sind. Auch Gerichtsurteile, Rekurse gegen Abschussermächtigungen, Schutzmaßnahmen, Selbstjustiz und weitere Facetten der komplexen Problematik werden im Film thematisiert. Wie Andreas Pichler dem
der Vinschger bestätigte, habe er versucht, das Thema möglichst real „einzufangen“ und so aufzuzeigen, wie es sich in der Wirklichkeit darstellt. Es bleibe dann den Zuschauern überlassen, sich ein Bild und eine Meinung vom Thema zu bilden.
Mediationsverfahren als Ausweg?
Auf die Frage, wie er persönlich zum Projekt „Ursus Life“ und zum Thema insgesamt stehe, meinte der Filmemacher, dass es vielleicht eine Art Mediationsverfahren brauche, wobei von externer Seite alle Betroffenen und Beteiligten an einen Tisch geholt werden sollten. Eine ausreichende Information rund um das Projekt habe es zum Teil nicht gegeben bzw. sei zu spät erfolgt. Grundsätzlich geht es laut Andreas Pichler aber auch darum, dass der Mensch seine Einstellung zur Natur und Bergwelt überdenkt. Es sei bedenklich, wenn der Mensch seinen Umgang und seine Einstellung Haustieren gegenüber, wie etwa Hund und Katze, auf die freie Natur und die darin lebenden Wildtiere überträgt. Festzustellen sei leider auch, dass das Thema von den jeweiligen Seiten zusehends politisch ausgeschlachtet werde. Eine der Botschaften, die der Film zum Abschluss vermittelt, ist klar und deutlich: Wenn man Bären in einem Gehege einsperrt, tut man ihnen nichts Gutes, denn sie lieben die Freiheit: „Im Gehege breche ich das Tier“, sagt ein Wildtierbetreuer aus Deutschland, der im Film zu Wort kommt.