Gleiches mit Gleichem vergelten...? Nein, danke! Hatten wir schon mal.

Publiziert in 2 / 2009 - Erschienen am 21. Januar 2009
In unserer letzten Ausgabe des vergangenen Jahres erschien ein anonymer Leserbrief. Darin bemängelt ein Leser, dass er während eines Arbeitsaufenthaltes in Afrika trotz großer Hitze nicht sein Hemd ausziehen und keine kurzen Hosen tragen durfte. Und er fordert deshalb zum Ausgleich, die Politik möge sich dafür einsetzen, muslimischen Frauen das Tragen der Burka zu verbieten. Ich halte es für verantwortungslos, die Anliegen dieses Lesers nicht näher zu beleuchten. Immerhin spiegelt unser Blatt eine bestimmte „Weltanschauung“ und Wertehaltung wider. Und wenn einer unserer Leser in Afrika einer ungerechten Kleiderordnung unterworfen wurde, soll das nicht so ohne weiteres stehen bleiben dürfen. Zum Glück. Wer den genannten Text gelesen hat (ansonsten ist er im Archiv unserer Internetausgabe zu finden), erfährt, dass dieser Leser aufgrund seiner persönlichen Erfahrung in Afrika fordert, Ausländern nur noch die selben Rechte zu gewähren, die wir Südtiroler im Ausland erfahren. Also: „Wie ihr uns, so wir euch“. Wenn auch die Einstellung des Leserbriefschreibers auf den ersten Blick verlockend klingen mag, stellt sich jedoch bei näherer Betrachtung heraus, dass genannte Rechtsphilo­sophie zu absurden Ergebnissen führen würde. Zum Beispiel: Weil irgendwo in Afrika ein gestandener Tiroler nicht seine strammen Waden in seiner „Kurzledernen“ zur Schau stellen darf, würde zum Ausgleich irgendeine Muslime in Südtirol gezwungen werden müssen, gegen ihren Willen im Minirock und bauchfrei zur Schule zu gehen. Wer würde davon profitieren? Eigentlich niemand. Totalitäre Staaten fänden deshalb noch lange keinen Anlass, ihre absurden Gesetze zu ändern. Unser Tiroler könnte deshalb seine „Kurzlederne“ weiterhin gleich zu Hause lassen. Die Einwanderer und Ausländer hingegen müssten für Ungerechtigkeiten büßen, die sie weder verursacht haben noch beeinflussen konnten. Indem gerade wir selbst Unschuldige ungerecht behandeln, brächten wir uns entgegen besseren Wissens auf das Niveau totalitärer Regime. Das wäre dann gleich dreifach verwerflich: Erstens wegen der ungerechten Behandlung, zweitens wegen der zweifelhaften Motivation, die sinnlose Vergeltung, und drittens wegen der stellvertretenden Bestrafung eines unschuldigen Dritten. Wir Südtiroler, oder allgemein wir Europäer, würden so jenen Schatz wieder verlieren, der es uns erlaubt hat, uns heute mehr oder minder „zivilisiert“ zu nennen, und zwar die Be­kennung zu den Menschenrechten.Ich will nicht nur kritisieren, sondern auch konstruktive Lösungsansätze besserer Denker wiedergeben. Prinzipiell sollte eine Kultur die andere so behandeln, wie sie glaubt, unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen selbst behandelt werden zu müssen. Da wir davon überzeugt sind, unsere Identität gehöre in anderen Kulturen respektiert, ist es nur gerecht und schlüssig, die Identität der Einwanderer und Ausländer in unserem Land zu akzeptieren und zu schützen. Diesem Leitsatz ist unabhängig davon zu folgen, ob er in den anderen Staaten angewandt wird. Dies aus dem einfachen Grund, weil er gut und gerecht ist. Wer will, kann behaupten, dass dieses Gerechtigkeitsbewusstsein aus den so genannten christlichen Wurzeln Europas erwächst. Gerade wir Südtiroler tun gut daran, nicht unseren Glauben an die Philosophie der Menschenrechte bzw. des Völkerrechtes aufzugeben. Wir sind als Minderheit geschützt und dürfen unsere Sprache ­sprechen, unsere Tradition pflegen und unsere Meinung frei aussprechen. Ein bisschen mehr Demut vor den gültigen Menschenrechten täte uns allen gut. Werner Wallnöfer

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