Anja Matscher (links) und Eva Gelinsky bei ihrem Stand beim Samenfest im Kulturhaus in Schluderns.
Der Vortragsabend im Kulturhaus in Schluderns war gut besucht.
Elisabeth Prugger

„So kommt die Vielfalt unter die Räder“

Eva Gelinsky warnt vor einer Aufweichung der EU-Gentechnik-Regeln. Anja Matscher: „Wo bleibt die breite, öffentliche Diskussion?“

Publiziert in 5 / 2024 - Erschienen am 12. März 2024

Schluderns - „Wenn am Ende das kommt, was derzeit auf dem Tisch liegt, ist es mit der gentechnikfreien Landwirtschaft in Europa vorbei.“ Es waren klare Worte, mit denen Eva Gelinsky am 1. März im voll besetzten Saal des Kulturhauses in Schluderns aufwartete. Die politische Koordinatorin der „Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit“, die vor einigen Jahren auch für die schweizerische Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren „ProSpecieRara“ gearbeitet hat, war von der Bürgergenossenschaft Obervinschgau „da“ eingeladen worden, die am Tag danach das Samenfest im Kulturhaus Schluderns veranstaltete (siehe eigenen Bericht). Bei ihrer Einführung zum Vortrag mit Gelinsky hatte Elisabeth Prugger im Namen der Genossenschaft darauf hingewiesen, dass die Kulturpflanzenvielfalt infolge der geplanten Abänderung der EU-Saatgutverordnung arg unter die Räder kommen könnte. Neben der De-Regulierung von Pflanzen, die mittels „Neuer Gentechnik“ hergestellt werden, befasst sich die EU derzeit auch mit der Erneuerung der EU-Saatgutverordnung. Die Verschärfung des EU-Saatgutrechtes könnte sich für Bauern und Konsumenten gleichermaßen negativ auswirken.

„Der Druck ist groß“

Im Gegensatz dazu will die EU Kommission die Regeln für die Zulassung von Pflanzen, die mittels „Neuer Gentechnik“ hergestellt werden, massiv lockern. Den politischen Druck für den Einsatz der „Neue Gentechnik“ in der Landwirtschaft bezeichnete Gelinsky als sehr stark. Vor allem Mitte-rechts-Parteien, Konservative und Liberale möchten die Lockerung noch vor den Europawahlen im Juni auf den Weg bringen. Unter „Neuer Gentechnik“ sind gentechnische Methoden zu verstehen, die dazu dienen, das Erbgut (Genom) einer Pflanze und damit ihre Eigenschaften zu verändern, ohne artfremde DNA einzuschleusen. Anfang Februar stimmte das EU-Parlament im Rahmen der laufenden Entscheidungsprozesse auf EU-Ebene einer Lockerung der Regeln mehrheitlich zu, forderte aber eine Kennzeichnung von Lebensmitteln aus „Neuer Gentechnik“. Bestimmte Behauptungen der Befürworter von NGT (Neue Genomische Techniken) seien laut Gelinsky wissenschaftlich noch nicht belegt.

Tatsächlich „wie eine natürliche Mutation“?

Dies gelte auch für das Argument, wonach NGT „wie eine natürliche Mutation“ sei. Außerdem reiche es nicht, nur die NGT-Endprodukte zu prüfen, sondern auch die Auswirkungen von NGT-Pflanzen auf die unmittelbare Umgebung und andere Organismen. Dass gemäß dem Kommissionsvorschlag bei NGT1-Pflanzen Änderungen an bis zu 20 Stellen im Erbgut erlaubt werden sollen, sei eine willkürlich gesetzte Grenze. Ebenso sei die „postulierte Gleichwertigkeit zwischen NGT-Pflanzen und konventionellen Pflanzen willkürlich konstruiert.“ Ökologische Auswirkungen von NGT-Pflanzen seien bisher kaum erforscht worden. „Und das EU-Vorsorgeprinzip wird von der Politik gekippt,“ so Gelinsky. Um beurteilen zu können, welches Risiko von einer gentechnisch veränderten Pflanze ausgeht, „muss man über die nötigen Daten, Schadensszenarien und deren Eintrittswahrscheinlichkeit verfügen.“

Konzentration des Saatgutmarktes

Besonders bedenklich sei zudem die bereits bestehende große Konzentration des Saatgutmarktes: „Die 6 größten Unternehmen kontrollieren 58 Prozent des weltweiten Saatgutmarktes.“ Der derzeitige Vorschlag der EU-Saatgutrechts-Reform bedrohe nicht nur den Erhalt der Kulturpflanzenvielfalt, sondern missachte auch das bäuerliche Recht, das eigene Saatgut zu ernten, zu verwenden, zu tauschen und zu verkaufen. Zudem würde die Vielfalt am Markt durch aufwendige und unrealistische Vorschriften für Kleinstbetriebe, die Pflanzen züchten und vermehren, gefährdet.

„Wer Gentechnik sät, wird Patente ernten“

Tatsache ist laut Gelinsky, dass mit dem Einsatz der „Neuen Gentechnik“ auch die Einführung von Patenten einhergeht: „Wer Gentechnik sät, wird Patente ernten.“ Zur Aussage des EU-Parlamentariers Herbert Dorfmann – er ist ein Befürworter der „De-Regulierung“ –, dass er gegen Patente auf Pflanzen sei, meinte Gelinsky, dass die EU-Institutionen das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) nicht ändern können, denn das EPÜ sei die Grundlage für die nationalen Patentgesetze von 39 Ländern, auch von Nicht-EU-Staaten wie der Schweiz. Dorfmann geriet auch im Zuge der Diskussion mehrfach ins Kreuzfeuer der Kritik. Ein Diskussionsteilnehmer erinnerte an das Jahr 2009, als sich der damalige Landesrat Hans Berger darüber freute, „dass unsere Milchwirtschaft der erste, zur Gänze gentechnikfreie Bereich ist.“ Die Frage aus dem Publikum lautete: „Wo ist das gentechnikfreie Südtirol heute?

Für eine breit aufgestellte Diskussion

Die Bäuerin und BOKU-Absolventin Anja Matscher Theiner vom Lechtlhof in Muntetschinig, die sich seit einem Dreivierteljahr intensiv mit der „Neuen Gentechnik“ und den geplanten Lockerungsvorschlägen befasst, bedauerte, dass in Südtirol bislang keine wirkliche Diskussion auf breiter Ebene zu diesem brandaktuellen Thema stattgefunden habe. Mit Ausnahme von Bioland, der Verbraucherzentrale und dem Dachverband für Natur- und Umweltschutz sei die „Neue Gentechnik“ bei großen Verbänden, Lebensmittelverarbeitungsbetrieben und Organisationen, Bauernbund inklusive, auf wenig Echo gestoßen, „obwohl es höchst an der Zeit ist, dass sich Befürworter und Kritiker einer offenen und breit angelegten Diskussion stellen.“ Anja Matscher rief das Publikum dazu auf, „die Politiker und Lebensmittelverarbeiter direkt und persönlich auf das Thema anzusprechen.“

Online-Petition läuft

Im Zusammenhang mit der geplanten Abänderung der EU-Saatgutverordnung läuft eine Online-Petition (mitmachen.arche-noah.at/de/hoch-die-gabeln). Die EU-Entscheidungsgremien werden aufgefordert, „dem Druck der Agrar-Industrie nicht nachzugeben, sondern die Kulturpflanzen-Vielfalt zu schützen und zu fördern.“ Mit ins Leben gerufen wurde die Petition u.a. vom österreichischen Züchterbetrieb „Arche Noah“ (www.arche-noah.at/ueber-uns). Das EU-Parlament soll Mitte März über das neue Saatgutrecht abstimmen.

Josef Laner
Josef Laner

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