So schläft Südtirol: Die Schlafstudie 2024
Wie schläft Südtirol? Die erste Südtiroler Schlafstudie beantwortet diese und weitere Fragen zum Thema Schlaf. Von April bis Juni 2024 wurde die Erhebung des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen in Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Statistik ASTAT durchgeführt. Mit dieser Untersuchung liegen nun erstmals aussagekräftige Daten zur Schlafqualität in der erwachsenenBevölkerung Südtirols vor.„Die meisten Menschen in S&
- Schlaf als zentraler Bestandteil der Gesundheit
Die Schlafstudie des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen ist Teil einer 2024 durchgeführten Erhebung zur Gesundheitskompetenz der Südtiroler Bevölkerung. „Die Daten zum Schlaf der Südtirolerinnen und Südtiroler gehören zu den ersten Daten, die wir ausgewertet haben. Die Qualität des Schlafes hat einen großen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden. Aus diesem Grund können lokale Daten dazu beitragen, die Öffentlichkeit für das Thema ,Schlaf’ zu sensibilisieren und individuelle Lösungsstrategien anzustoßen“, sagt Dr. Adolf Engl, Präsident des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health. „Schlaf ist für unsere Gesundheit genauso entscheidend wie etwa unser Bewegungs- oder Ernährungsverhalten. Erst kürzlich hat die American Heart Association die Schlafdauer und -qualität als eine von acht lebenswichtigen Voraussetzungen für die Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bezeichnet“, unterstreicht Dr. Dietmar Ausserhofer, Leiter der Südtiroler Schlafstudie 2024 und Wissenschaftler am Institut. „Kurzfristig führt schlechter Schlaf zu Tagesmüdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten. Langfristig erhöht er das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und psychische Erkrankungen“, so Prof. Dr. Christian Wiedermann, Forschungskoordinator des Instituts und Ex-Primar für Innere Medizin am Krankenhaus Bozen.
Schlafqualität in Südtirol: Erstmals repräsentative Daten
„Mit unserer Studie liegen zum ersten Mal aussagekräftige Daten zur Schlafqualität in Südtirols erwachsener Allgemeinbevölkerung vor“, betont Dr. Dietmar Ausserhofer. Die Befragung der Bevölkerung erfolgte im Zeitfenster April–Juni 2024 in Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Statistik ASTAT. Aus den Melderegistern der Gemeinden wurde eine Stichprobe von 4.000 Personen über 18 Jahren gezogen. 2.090 Personen haben den Fragebogen ausgefüllt. Um die Schlafqualität der Bürger:innen zu erheben, wurde eine Kurzversion des Pittsburgh Sleep Quality Index verwendet.
Die wichtigsten Ergebnisse der Schlafstudie 2024 in der Übersicht
- Die Schlafqualität wird subjektiv von 82% der Studienteilnehmer:innen als ziemlich gut oder sehr gut beschrieben. Eine:r von sechs Teilnehmer:innen (18%) bewertet die Schlafqualität hingegen als ziemlichschlecht oder sehr schlecht. Die Menschen in Südtirol schlafen im Durchschnitt genauso gut oder sogar etwas besser als Menschen in anderen Teilen Italiens und der Welt. „Eine italienische Studie zeigte, dass etwa 14% der Bevölkerung ab 15 Jahren von schlechtem Schlaf betroffen waren. Vergleichbare Untersuchungen in anderen Ländern vor der COVID-19-Krise ergaben ähnliche Werte: Zwischen 13% und 36% der Erwachsenen berichteten von schlechter Schlafqualität“, ordnet Dr. Ausserhofer die lokalen Daten in den internationalen Kontext ein. Mit Beginn der Corona-Pandemie hat sich das Risiko für Schlafprobleme allerdings weltweit um 40% erhöht. Dies bedeutet, dass in dieser Zeit deutlich mehr Menschen von Schlafstörungen betroffen waren. Bei allen Herausforderungen und Problemen, die uns auch in Südtirol tagtäglich beschäftigen, kann dennoch festgehalten werden: Herr und Frau Südtiroler:in schlafen (noch immer) gut“, bekräftigt Dr. Ausserhofer.
- Die Schlafqualität hängt mit dem Alter, dem Geschlecht und chronischen Erkrankungen (z.B.Bluthochdruck) zusammen. „Chronische Erkrankungen und vor allem psychische Leiden wie Depressionen und Angststörungen wirken sich negativ auf die Schlafqualität aus. Schlafstörungen sind auch bei Menschen mit Bluthochdruck, Stoffwechsel- und Nierenleiden ausgeprägter. Wer eine chronische Erkrankung hat, berichtet häufiger von Ein- und Durch- schlafproblemen“, erklärt Prof. Christian Wiedermann.
- Frauen schlafen bedeutend häufiger schlecht als Männer. „Dieser Unterschied wird zwar zumeist anhand hormoneller Umstellungen (z.B. Menstruation, Schwangerschaft oder Menopause) erklärt, zeigt jedoch, dass noch großer Forschungsbedarf hinsichtlich der Gender- Medizin zum Thema Schlaf besteht“, so Dr. Dietmar Ausserhofer.
- Die/der durchschnittliche Südtiroler:in pflegt ein „klassisches“ Schlafmuster: „Sie/er geht zwischen 22.00 und 23.00 Uhr ins Bett (60% der Befragten) und wacht morgens zwischen 6.00 und 7.00 Uhr (61% der Befragten) auf. Das sind pro Nacht durchschnittlich sieben Stunden Schlaf. „Diese Dauer entspricht den Empfehlungen der wissenschaftlichen Literatur, die für Erwachsene eine nächtliche Schlafdauer von 7 bis 8 Stunden als ideal angibt“, betont Dr. Ausserhofer. Trotz dieser Empfehlung schlafen viele jedoch weniger: Rund 28% der Befragten gaben an, in den vier Wochen vor der Erhebung lediglich 6 Stunden oder weniger pro Nacht geschlafen zu haben. „Ein solcher Schlafmangel hat oft Folgen: Viele Menschen fühlen sich tagsüber erschöpft und haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder geistig fit zu sein. Auf lange Sicht kann ein dauerhaftes Schlafdefizit sogar ernste gesundheitliche Auswirkungen haben“, hebt Dr. Ausserhofer hervor. So zeigen Forschungen, dass zu wenig Schlaf das Risiko für diverse Krankheiten erhöhen kann, z.B. für Herz-Kreislauf-Probleme, Übergewicht und Diabetes (Typ 2), aber auch für Depressionen und Angststörungen.
- Etwa 13% der Südtiroler Bevölkerung berichten von Durchschlafproblemen: Das heißt, dass sie im vergangenen Monat mindestens dreimal pro Woche nachts aufgewacht sind und nicht wieder einschlafen konnten. Einschlafstörungen – also die Situation, in der das Einschlafen mehr als eine halbe Stunde dauert – betreffen ca. 9% der Bevölkerung.
- Schlafprobleme sind auch altersabhängig: Personen zwischen 18 und 34 Jahren berichten häufiger überEinschlafprobleme. Menschen ab 55 Jahren haben hingegen öfter Probleme beim „Durchschlafen“: Sie schlafen oft weniger als 6 Stunden pro Nacht.
- Die italienischsprachige Bevölkerung Südtirols berichtet häufiger (25%) über eine schlechte Schlafqualität als die deutschsprachige (16%). Zudem ist eine verkürzte Schlafdauer von weniger als sechs Stunden bei den italienischsprachigen Bürger:innen häufiger der Fall (40%) als bei den deutschsprachigen (25%). „Auf ausreichenden Schlaf achten 26% der deutsch-, aber nur 18% der italienischsprachigen Bürger:innen häufig“, erklärt Dr. Ausserhofer. Kein Unterschied zwischen den Sprachgruppen bestand hinsichtlich der Dauer bis zum Einschlafen und der Einnahme von Schlafmedikamenten. „Das lässt sich mit sozialen und kulturellen Faktoren erklären, die sich auch auf das Schlafverhalten auswirken. Genannt seien die späteren Abendessenszeiten der italienischsprachigen Bevölkerung und die damit einhergehenden späteren Bettgehzeiten und die kürzere Schlafdauer“, sagt Dr. Ausserhofer.
- Wer auf ausreichend Schlaf achtet (80%), schläft besser. „Von den Befragten gaben 17% an, dass sie im letzten Monat vor der Befragung mindestens 1 mal oder häufiger frei verkäufliche oder vom Arzt verschriebene Medikamente eingenommen haben, um besser schlafen zu können. Trotz der Einnahme von Schlafmitteln ist die Wahrscheinlichkeit von schlechter Schlafqualität im Vergleich zu Personen, welche keine Schlafmittel einnehmen, fast doppelt so hoch“, erläutert Studienleiter Dr. Dietmar Ausserhofer.
Acht Stunden Schlaf: Mythos und Wissenschaft
Wie die internationale Schlafforschung belegen konnte, liegt die optimale Schlafdauer zwischen sieben und acht Stunden pro Nacht. „Dass acht Stunden Schlaf gesund sind, ist folglich kein Mythos, sondern wissenschaftlich belegt“, erklärt Prof. Christian Wiedermann. „Zu wenig Schlaf kann zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, während exzessiver Schlaf – also mehr als neun Stunden
– ebenfalls mit erhöhten Gesundheitsrisiken zusammenhängt. Wichtige Elemente gesunder Schlafhygiene sind regelmäßige Schlafzeiten und die Vermeidung von Bildschirmlicht kurz vor dem Schlafengehen“, so Prof. Wiedermann, Koordinator der Forschungsprojektes des Instituts.
Die Rolle der Hausärztinnen und Hausärzte
Südtirols Allgemeinmediziner:innen spielen eine wichtige Rolle bei der Diagnose und Behandlung von Schlaflosigkeit, da sie die erste Anlaufstelle für Patient:innen mit Schlafproblemen darstellen. „Obwohl fast 20% der Bevölkerung in irgendeiner Form an Schlafstörungen leiden, nehmen nur 5 bis 10% der Betroffenen ärztliche Hilfe in Anspruch“, erklärt Dr. Giuliano Piccoliori, Hausarzt in St. Christina in Gröden und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen. Häufig werden die Symptome nicht benannt und insbesondere von älteren Menschen unterschätzt.
„Wenn man bedenkt, dass ein Hausarzt für 1.000 bis 1.500 Patienten verantwortlich ist, konsultieren über 100 Patient:innen mit Schlafstörungen zuerst ihn, um eine Diagnose oder ein Rezept zu erhalten“, sagt Dr. Piccoliori. Der Hausarzt prüft Schlaflosigkeitssymptome, die nachts wie auch tagsüber vorkommen können – etwa Einschlafprobleme, Müdigkeit oder Konzentrationsschwierigkeiten. „Durch gezielte Befragung kann der Arzt feststellen, ob die Schlaflosigkeit vorübergehend oder dauerhaft ist und ob Stress oder gesundheitliche Gründe vorliegen. Falls erforderlich, bietet er eine zeitlich begrenzte medikamentöse Behandlung an oder verschreibt bei psychisch bedingter Schlaflosigkeit beruhigende Antidepressiva“, erläutert Dr. Piccoliori.
Was tun bei schlechtem Schlaf?
„Auf eine gute Schlafhygiene zu achten, z.B. auf ausreichend und regelmäßigen Schlaf von sieben bis acht Stunden, ist die beste Medizin für einen guten Schlaf“, sagt Dr. Dietmar Ausserhofer, Leiter der Südtiroler Schlafstudie 2024. Die Behandlung von schlechter Schlafqualität sollte in erster Linie ohne Medikamente erfolgen. Dr. Giuliano Piccoliori betont, dass „das Vermeiden von Koffein oder Alkohol vor dem Schlafengehen, das Einhalten einer festen Routine und das Schaffen einer ruhigen Schlafumgebung wertvolle, nicht-medikamentöse Möglichkeiten für Menschen mit leichter oder gelegentlicher Schlaflosigkeit darstellen“. Hauptsächlich bei chronischer Schlaflosigkeit sind solche Ansätze oft effektiver und risikoärmer als Medikamente. Ein zentraler Ansatz ist die kognitive Verhaltenstherapie bei Schlaflosigkeit (CBT-I), die darauf abzielt, das Bett ausschließlich mit Schlaf zu verknüpfen, indem man sich nur dann hinlegt, wenn man wirklich müde ist. Piccoliori empfiehlt zudem Entspannungstechniken wie Tiefenatmung, progressive Muskelentspannung und Achtsamkeits- meditation, die etwa durch Yoga und autogenes Training ergänzt werden können und den Weg zu einem erholsameren Schlaf unterstützen.
Schlaf und Schlafstörungen: Kongress am 9. November 2024 in Bozen
Die heurigen Institutsgespräche finden am Samstag, 9. November von 8.00 bis 13.00 Uhr an der Claudiana in Bozen statt. Sie widmen sich dem Schlaf und den Schlafstörungen. Der Kongress richtet sich sowohl an Expert:innen aus dem Gesundheitswesen als auch an interessierte Bürger:innen. Prof. Luigi Ferini-Strambi, Leiter des Schlafmedizinzentrums am IRCCS „San Raffaele“ in Mailand, wird über die sozialen und ökonomischen Auswirkungen von Schlafstörungen auf Gesundheit und Lebensqualität sprechen. Die Neuropsychiater Dr. Elisa Menna und Dr. Marco Angriman (Südtiroler Sanitätsbetrieb) informieren über den Einfluss elektronischer Geräte auf die Schlafqualität von Kindern und Jugendlichen. Dr. Simon Kostner, Arzt für Allgemeinmedizin aus Gröden, führt in Diagnose und Therapie von Schlafstörungen ein. Dr. Viola Gschliesser, Leiterin des Südtiroler Zentrums für Schlaf- medizin, gewährt Einblicke in die Entwicklungen der regionalen Schlafmedizin. Die Gesundheits- psychologin Dr. Andrea Hoflehner von der Innsbrucker Universitätsklinik für Neurologie untersucht die Rolle von Apps in der Behandlung von Schlafstörungen. Dr. Milena Camaioni von der Universität „La Sapienza“ Rom spricht aus medizinischer Sicht über Träume.
Die Teilnahme am Kongress ist ohne Anmeldung möglich.
Institut für Allgemeinmedizin