„Zum Händereichen fest entschlossen“
Publiziert in 38 / 2009 - Erschienen am 28. Oktober 2009
Schlanders - Hans Hinrich Reimer, emeritierter Pfarrer der Evangelischen Gemeinde Meran, war zusammen mit seiner Frau Margaretha zur Vorstellung eines Buches nach Schlanders gekommen, das auf 656 Seiten eine Gesamtschau des Süd- und Welschtiroler Protestantismus bietet. Trotzdem staunte er über die neuen Erkenntnisse, die Mittelpunktsbibliothekar Raimund Rechenmacher bei der Eröffnung der Buchvorstellung beitrug. So habe er, meinte Pfarrer Reimer, nicht gewusst, dass „23 Weltgeister und Pfarrer“ mit über 5.000 Personen im Dekanat Schlanders am 14. Oktober 1861 einen Bitt- und Kreuzgang nach Kortsch abgehalten hätten, um von Gott eine Abänderung des kaiserlichen „protestantischen Gesetzes“ wenigstens für Vorarlberg und Tirol zu erflehen. Rechenmacher hatte aus einer handschriftlichen Kortscher Chronik zitiert und war mit seiner Einführung mitten in der Thematik der Buchvorstellung gelandet.
Es war nur eine Handvoll Interessierter, die sich von Pfarrer Reimer in die kurze, aber für Südtirol erstaunlich beziehungsreiche Geschichte der „Lutherischen“ in Meran einführen ließ. „Gerade mal 0,25 Prozent der Südtiroler gehören zur ‚Evangelischen Gemeinde Meran Augsburgischen Bekenntnisses‘ und daher ist es schon unglaublich, dass eine so umfangreiche Dokumentation entstanden ist“, begann Reimer seinen Vortrag. Er nannte den Historiker und Universitätsdozenten Hans Heiss und den Präsidenten des Südtiroler Kulturinstituts, Marjan Cescutti, für entscheidend, dass das Buch erscheinen konnte. Sie hätten vor acht Jahren eine Ausstellung im Eingangsbereich der evangelischen Kirche in Meran und ihr Echo darauf zum Anlass genommen, nicht nur auf die Darstellung eines Stückes Meraner Stadtgeschichte, sondern auf die Verarbeitung einer Epoche Südtiroler Landesgeschichte aus dem Blickwinkel eines „Andersgläubigen“ anzuregen. Pfarrer Hans H. Reimer deckte in seinem Werk auf, dass ein Vinschger, der Schnalser Anton Santer, der in Schlanders aufgewachsen war, als Dekan von Meran um 1845 in „flammenden Predigten (…) vor der Infiltration fremdländischen Wesens durch die ausländischen Kurgäste warnte.“ (S. 18). „Der Andersgläubige“ in der Bibliothek Schlandersburg gönnte den Zuhörern eine bezeichnende Geschichte aus den Anfängen des Tourismus in Sulden. Sie war im Juni 1904, also sieben Jahre vor dem Bau der evangelischen Kapelle, als Satire in der Münchner Zeitschrift „Jugend“ erschienen. Ein jodelnder Tourist war drauf und dran von Jesuiten und Grenzwächtern auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden, weil er in Sulden eine protestantische Kirche haben wollte. Ein Hotelier und sein Personal befreien ihn, weil er ja auch ins Gasthaus gehen und weil er Geld bringen würde. Das Ergebnis des vierjährigen Recherchierens in über 70 Kirchenarchiven, Museen und Bibliotheken zwischen Arco und Estland, gut drei Kilogramm schwer, mit 418 Abbildungen, 300 Exkursen, mit Register und Literaturverzeichnis, fasste Pfarrer Reimer lebendig und als ausgebildeter Theologe und Hochschulprofessor auch rhetorisch glänzend in weniger als einer Stunde zusammen. Dabei betonte der aus Schleswig-Holstein stammende Pfarrer seine durch und durch ökumenische Einstellung, die seit dem 11. September 2001 für alle Christen immer wichtiger werde. In seiner Meraner Zeit von 1994 bis 2004 wurde er dafür vom „Katholischen Sonntagsblatt“ vom 18. Januar 2004 mit dem Satz zitiert: „Wir sind zum Händereichen fest entschlossen.“

Günther Schöpf