Die molekular markierten Vinschger
Publiziert in 27 / 2006 - Erschienen am 15. November 2006
Martell – Das erste „Mikroisolat“, das die Ehre hatte, die vorläufigen Forschungserkenntnisse des Programms MICROS innerhalb des Projektes GenNova vorgestellt zu bekommen, war das Hochtal Martell. Über 70 Probanden, also Teilnehmer an diesem international viel beachteten Projekt medizinisch-genetischer Forschung, fanden sich im Bürgerhaus von Martell ein, wurden von der Arbeitsgruppe informiert und durften den ersten Forschungsband „Gene und Geschichte“ erwerben. Nach der Eröffnung durch Bürgermeister Peter Gamper stellte sich Amtsarzt Toni Pizzecco als einer der „Schuldigen“ vor, dass die Untersuchungen in Martell durchgeführt wurden. Amerikanische Universitäten beneiden uns um Martell, verkündete stolz der Latscher Gemeindearzt. Der Vorsitzende des EURAC-Instituts für Genetische Medizin, der Neurologe Peter Paul Pramstaller, bezeichnete das Buch als einen „ersten bevölkerungs- und medizingeschichtlichen Zwischenbericht“ einer Grundlagenforschung, die vor drei Jahren von Null an in Südtirol, von Südtirolern begonnen worden sei und die zum Ziel habe, „wissenschaftliche Erkenntnisse über bestimmte Krankheiten zu verbessern“.
Mit Hilfe von Stammbäumen würden immer wiederkehrende Krankheiten in den Familien untersucht, um herauszufinden, welche Gene für bestimmte Eigenschaften zuständig seien, hierzu würden „molekulare Marker“ eingesetzt, deren Position man im Genom (im Erbgut) genau kenne. Die Molekular-Biologin Irene Pichler konnte erste konkrete Untersuchungsergebnisse mitteilen. Es sei u.a. gelungen, den Verursacher des „Syndroms der unruhigen Beine“ (RLS-Syndrom) zu isolieren; die genaue Identifikation stehe bevor. Da der aus Stilfs stammende Koordinator der Abteilung Medizingeschichte und Genealogie in der Europäischen Akademie (EURAC), Gerd Klaus Pinggera, aus Krankheitsgründen abwesend war, ging als Mitautorin die Historikerin Alice Riegler auf Taufbücher und Standesamtseintragungen als Quellen des „MICROS“-Programms ein und begründete, warum gerade die Gemeinden Martell, Stilfs und Graun mit Langtaufers zu Mikroisolaten und damit zu Forschungslaboren erklärt wurden. Wenig Gründerfamilien, eine hohe Abwanderungs- und geringe Zuwanderungsrate, enge Heiratskreise und ein langsames Bevölkerungswachstum seien die Kriterien, von „Bevölkerungsinseln“ (Isolated populations) zu sprechen.
Auch in Pedroß in Langtaufers und in Stilfs ist das Buch vorgestellt worden.
Dokumentierte Gen-Forschung
Die Historiker Gerd Klaus Pinggera aus Stilfs, Alice Riegler aus Bozen, Martin Gögele aus Dorf Tirol und die Bozner Psychologin Umberta Dal Cero haben mit „Gene und Geschichte“ den ersten Band der Reihe „Medizinisch genetische Forschung in Südtirol“ erstellt. Auf Pinggera, den Koordinator des Unternehmens, geht eine einführende Überlegung, die Definition des Grundbegriffs Mikroisolat, deren Entstehung im Laufe der Besiedelungsgeschichte und die allgemeine Vorstellung der Stammbaumforschung sowie des spezifischen, Stilfs betreffenden Beitrages zurück. Martin Gögele hat sich mit der Grauner Fraktion Langtaufers befasst. Alice Riegler und Umberta Dal Cero sind auf die Hochtalgemeinde Martell eingegangen. Bei gleichen Voraussetzungen zeichneten sich in den drei Regionen unterschiedliche Schwerpunkte ab: in Stilfs die Heiratskreise, in Martell die Geburtenentwicklung und in Langtaufers die Todesursachen und die Medizingeschichte.
Pinggera, Riegler, Dal Cero, Gögele, Gene und Geschichte in Stilfs, Langtaufers, Martell, Institut für Genetische Medizin, Abt. Medizingeschichte & Genealogie, EURAC, in Zusammenarbeit mit den Gemeinden Stilfs, Graun, Martell (Hrsg.), ohne Erscheinungsjahr, Druck Kofel KG Schlanders, 181 Seiten.
Günther Schöpf