Guido Beirens deklamiert und Jan Beirens mimt das Markusevangelium.  
Raimund Rechenmacher und Anja Mertin
Platonische Körper 

Szenische Lesung des Markusevangeliums

Publiziert in 18 / 2024 - Erschienen am 8. Oktober 2024

Laas - Ein besonderes Schauspiel bot kürzlich in Laas die vierstündige Abendveranstaltung „Wo der das her hat? - Szenische Lesung des Markusevangeliums“, die im Rahmen der Vinschger Literaturtage 2024 stattgefunden hat. Die Idee dazu war von Regisseur Thomas G. Meier gekommen. Guido Beirens (Sprache), Jan Beirens (Bewegung) und Anja Mertin (Gesang) hatten mit ihm eine Vorführung erarbeitet, in der das gesamte Markusevangelium nach der Übersetzung von Fridolin Stier vorgetragen wurde. Professor Stier hatte einen Lehrstuhl für Altes Testament an der Universität Tübingen inne. Er war ein Mitarbeiter der deutschen Einheitsübersetzung der Bibel, der sich streng an den griechischen Urtext hielt. Er bemühte sich darum, die Frohbotschaft so zu übermitteln, wie es die Absicht der hellenistisch geprägten Verfasser der Evangelien war. „Der Sprachrhythmus und die Sprachmelodie seiner Übersetzung sind einzigartig“, lobte Guido Beirens. Stier, der 1981 starb, hat seine Übertragung als Buchveröffentlichung nicht mehr erlebt. Sie wurde posthum 1989 im Kösel Verlag herausgebracht. Das Werk ist längst vergriffen. Um so wertvoller war die Entscheidung des Regisseurs Thomas G. Meier, eine Lizenzausgabe für die Theaterbesucher zu drucken und das Werk mit ausgewählten Federzeichnungen von Rembrandt zu bebildern. Den Künstlern, die - nach zweijähriger Probenarbeit in Winterthur - im Frühling auch auf dem Rimpfhof geprobt hatten, wurde von Raimund Rechenmacher vorgeschlagen, doch in der einzigen Kirche Südtirols, die dem Heiligen Markus geweiht ist, eine Aufführung zu wagen. Nach einer positiven Akustik-Probe vor Ort und einer finanziellen Zusage zweier Schweizer Stiftungen (Oling-Punkt und Sampo) konnte das Projekt anlaufen. Aufgrund eines Kälteeinbruchs vor der Aufführung musste dann leider umdisponiert werden, da die Markus-Kirche nicht beheizbar ist. Dank der raschen, unbürokratischen Zusage der Gemeindeverwaltung Laas und der logistischen Hilfe von Meinrad Angerer wurde alles kurzfristig in das nahegelegene Josefshaus verlegt.
Besonders zur Geltung kamen die platonischen Körper aus Holz, die für die Elemente Erde, Wasser, Luft, Feuer und schöpferische Lebenskraft stehen. In der Komposition ihrer Aufstellung im Raum stellen sie ein besonderes Kraftfeld her und verweisen darauf, wie Christus als Herr der Elemente heilt und den Elementen ihre angemessene Ordnung verleiht. Geplant war ursprünglich, in der Kirche die fünf lebensgroßen, begehbaren platonischen Körper aufzustellen, im Josefshaus hatte jedoch nur der Riesen-Pentagondodekaeder auf der Bühne Platz. Bei der Inszenierung war es dem Regisseur ein Anliegen, die Kräfte der platonischen Körper so einzubeziehen, dass zwischen den zwei Personen (Guido Beirens/Sprache, Jan Beirens/Bewegung) auf der Bühne ein energetisches Kraftfeld entsteht. Die Regie-Assistentin Nathalie Kux achtete auf die Diktion und die situative Klarheit des Textes. Bei der Wahl des Markusevangeliums für eine Theateraufführung waren die Tierzeichen von Bedeutung. Markus hat ja den Löwen als Symbol, der Löwe ist auch ein Sternzeichen. Von der Sopranistin Anja Mertin aus Berlin wurde der Abend mit choralähnlichen Liedern, die Hildegard von Bingen zugeschrieben werden, begleitet. Das eigens für diesen Abend von ihr komponierte „Vater unser“ in aramäischer Sprache verlieh der Veranstaltung einen würdevollen Rahmen. Für so manchen der 35 Zuschauer/innen klang das Ganze wie ein Gebet. Der Bildungsausschuss Laas bewirtete das Publikum während der drei Pausen.

Redaktion

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