Im Garten der BASIS wurde informiert und diskutiert.
Claudia Pichler, Julia Ganterer, Rebekka Eller und Tobias Ganterer.

Gewalt an Frauen: Aufstehen!

„Stand up“ in der BASIS in Schlanders. Buchvorstellung, Film und Diskussion.

Publiziert in 16 / 2024 - Erschienen am 10. September 2024

SCHLANDERS - Durchschnittlich wird in Italien alle 72 Stunden eine Frau ermordet. „Dabei ist der Femizid aber nur die
Spitze des Eisbergs“, betonte Julia Ganterer. Sie stellte in der BASIS in Schlanders im Rahmen der Kampagne „Stand up – Frauen und Wege aus der Gewalt“ ihr Buch „Ja, das bin ich und das ist meine Geschichte“ vor. Der Untertitel von Kampagne und Buch, „Frauen und ihre Wege aus der Gewalt“, sollte Programm sein. Ziel des Buches und der Kampagne ist es, den Themen der geschlechterspezifischen Gewalt, häusliche Gewalt und Partnerschaftsgewalt Sichtbarkeit zu verleihen sowie Betroffenen und Angehörigen mögliche Hilfen aufzuzeigen. Ganterer hielt sich aus Studienzwecken und beruflichen Gründen lange Zeit in Österreich und Deutschland auf und beschäftigte sich intensiv mit geschlechterspezifischer Gewalt.  Für eine wissenschaftliche Arbeit führte sie Interviews mit Südtirolerinnen. „Die Frauen haben mir ihre Geschichten anvertraut“, so Ganterer. Damit ein größeres Publikum erreicht werde, habe sie sich für die Veröffentlichung eines Buches entschieden: „Die Betroffenen müssen gehört werden.“

„Situation ist alarmierend“

Dass es nötig sei, immer wieder auf das Thema aufmerksam zu machen, bestätigen die Zahlen der Gewalt an Frauen. „Die Situation ist alarmierend. Es ist ein weltweites Problem, das alle betrifft“, erklärte Ganterer. Insbesondere in Südtirol sei es wichtig, „dass mehr darüber gesprochen wird“. So arbeitet die Wissenschaftlerin an der Universität Innsbruck derzeit auch an einer qualitativen Studie zu sexualisierter Gewalt in Südtirol unter Berücksichtigung der drei Sprachgruppen. Ziel sei es, die Entstehungsbedingungen zu erforschen sowie Kulturen und Praktiken des (Ver-)Schweigens zu untersuchen. Die Ergebnisse sollen auch als Grundlage für die Prävention und Wege der Aufarbeitung dienen. Konkrete Zahlen dazu habe es bisher nicht gegeben, ohnehin sei es in Südtirol schwierig, an Zahlen in Sachen Gewalt an Frauen bzw. häuslicher Gewalt zu kommen. „Es kann nicht sein, dass es hierzu so wenig gibt“, so Ganterer. Sie wies auf den großen Stellenwert der Sensibilisierungsarbeit hin. Insbesondere in ländlichen Räumen sei es schwierig, die Menschen zu erreichen – dabei nennt die Wissenschaftlerin explizit das Gadertal und den Vinschgau.

Sensibilisierungs- und Präventionsarbeit im Vinschgau vorantreiben

Durch solche Veranstaltungen wie jene in der BASIS solle die Sensibilisierungs- und Präventionsarbeit vorangetrieben werden. Dazu las Ganterer beim „Stand-up-Abend“ auch aus ihrem Buch. In mehreren Geschichten wird das Schicksal von Betroffenen erzählt – und es werden Ratschläge mitgegeben. „Geht einfach so schnell ihr könnt. Versucht jemanden zu finden, der euch hilft.“ Ganterer hob auch die wichtige Arbeit der Frauenhausmitarbeiterinnen hervor. In den vergangenen Jahren habe es dort einen beachtlichen Anstieg an Erstgesprächen gegeben, erklärte Claudia Pichler, Mitarbeiterin im Frauenhaus Meran. Waren es vorher immer ca. 100 Erstgespräche und 70 Frauen, die begleitet wurden, waren es im Vorjahr 156 Erstgespräche und 79 begleitete Frauen, nannte Pichler einige Beispiele. Die Expertin denke dabei nicht, dass die Gewalt zugenommen habe, „sondern, dass mehr Frauen Unterstützung suchen“. Das Alter der Hilfesuchenden reichte dabei zuletzt von 16 bis 90 Jahre. Seit 2023 gibt es auch eine Beratungsstelle in Schlanders.

„I love you“

Im Rahmen des Abends wurde auch Riccardo Angelinis Kurzfilm „I love you“ gezeigt. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und Schauspielerin Laura Rauch drehte er den Film, der einzig und allein aus den obigen 3 Wörtern besteht – und zum Nachdenken anregt. Aufgrund von Dreharbeiten der RTL-Serie „Alles was zählt“ konnte das Schauspielerpaar in Schlanders nicht mit dabei sein. An der Lesung und Podiumsdiskussion nahmen stattdessen Rebekka Eller und Tobias Ganterer teil.

Gewaltspirale durchbrechen

Konnte die Gewaltspirale im Film durchbrochen und ein erster Schritt gesetzt werden, sei dies in der Realität nicht immer einfach. Aber: „Es ist möglich. Jede kann die Spirale der Gewalt hinter sich lassen. Leider ist es in Südtirol oft so, dass Sachen lieber unter den Tisch gekehrt werden, anstatt genauer hinzuschauen“, mahnte Pichler. Es gelte insbesondere, gewisse Rollenbilder zu hinterfragen. Die Mär des harten Buben, der nicht weinen dürfe wie ein Mädchen, sei ein solches bedenkliches Bild. Rollenbilder ziehen sich querbeet durch alle Altersklassen, der starke Mann, das schwache Geschlecht. Es brauche Männerberatungsstellen. „Männer müssen darüber reden. Das muss der nächste Schritt sein“, forderte Ganterer.

Michael Andres
Michael Andres
Vinschger Sonderausgabe

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