Beistehen im Vergessen
Benedikta Fischnaller: „Das Leben ist trotz Demenz schön.“
Schlanders - Mit dem KVW Vinschgau, der Südtiroler Alzheimer-Gesellschaft ASAA, der Bezirksgemeinschaft Vinschgau und dem Gesundheitsbezirk Meran haben die 5 Vinschger Seniorenwohnheime von Latsch, Laas, Schluderns, Schlanders und Mals im Jahr 2018 das Netzwerk „Demenzfreundlicher Vinschgau“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, Menschen mit Demenz nicht nur achtsam und in Würde zu begleiten und zu pflegen, sondern sie auch verstärkt am öffentlichen Leben teilhaben zu lassen.
„Das Leben ist trotzdem schön!“
Ein Baustein der Netzwerkarbeit war kürzlich der Vortrag „Bedürfnisse von Personen, die von Demenz betroffen sind“ im Bürgerheim von Schlanders, zu dem Präsidentin Monika Wellenzohn die Referentin Benedikta Fischnaller herzlich begrüßte. Benedikta Fischnaller, Bereichsleiterin für Demenzpatienten mit langjähriger Erfahrung im Bürgerheim Brixen, warf einen positiven Blick auf die Fähigkeiten der Menschen mit Demenz. „Das Leben ist trotz Demenz schön“, war ihre Botschaft, „und jeden Tag geht trotz Demenz ein klein wenig die Sonne auf!“ Und sie mahnte die anwesenden Zuhörer: „Begegnen Sie diesen Menschen mit Respekt, Achtsamkeit und Wohlwollen!“ Dass das Leben mit Demenzpatienten nicht einfach ist und die große Herausforderung der nächsten Jahrzehnte wird, brauchte die Referentin nicht zu erwähnen, dafür sprechen die von ihr aufgezeigten Zahlen: 35,6 Millionen Menschen sind weltweit von Demenz betroffen, in Italien leiden 1 Million Menschen darunter und in Südtirol 10.000 bis 12.000, Tendenz steigend. Demenz, eine degenerative Veränderung des Gehirns, ist bis dato nicht heilbar, die Symptome kann man etwas lindern. Die typischen Symptome einer Demenz sind Gedächtnisstörung, Verwirrtheit, Gefühlsstörung, Denkstörung, Wahrnehmungsstörung, Unruhe, Persönlichkeitsstörung, Antriebsstörung.
Die drei Phasen der Demenz
Benedikta Fischnaller unterteilte in ihrem Referat die Demenz in drei Phasen: in der leichten Phase sei zwar die selbständige Lebensführung eingeschränkt, ein unabhängiges Leben jedoch noch möglich. Die Menschen brauchen in dieser Phase eine Aufgabe, bei der sie sich gebraucht fühlen; sie benötigen nur geringe Unterstützung und Anleitung, um ihren Alltag unabhängig zu gestalten. Die erste Phase ist geprägt von Rückzug in die Einsamkeit, von Antriebsmangel, Reizbarkeit und Stimmungsschwankungen, denn die Betroffenen spüren, dass etwas in ihnen sich verändert hat. In der mittleren Phase ist eine selbständige Lebensführung nicht mehr möglich; nur mehr einfache Tätigkeiten werden beibehalten. Für Angehörige und Betroffene ist dies die schwierigste Phase, da sich Unruhe, Wutausbrüche und eine aggressive Verhaltensweise zunehmend manifestieren. Orientierungshilfen sind in den ersten beiden Phasen oft sehr hilfreich: große Kalender, pünktliche Uhren, Hinweisschilder, Adresse am Schlüsselbund, Spickzettel, Rituale, Feste feiern, gewohnte Umgebung, soziale Bindung usw. „Orientierung und Normalität geben Halt und Sicherheit“, so die Referentin.
Das Herz wird nicht dement
Die an einer Demenz erkrankten Menschen leben nur mehr in der Vergangenheit und im Gefühl. Sie fühlen sehr intensiv, denn das Herz wird nicht dement. „Menschen vergessen oft, was du gesagt oder getan hast, jedoch nie, wie sie sich dabei gefühlt haben“, zitierte Benedikta Fischnaller. Es sei wichtig, ins Gespräch mit den Menschen zu kommen, allerdings mahnt sie, selbst nicht zu viel zu reden, denn die Betroffenen können nicht mehr folgen. „Einfache, klare Sätze sagen, wenn möglich nicht widersprechen oder korrigieren“, so die Referentin, „und ansonsten einfach da sein, die Hand halten und den Menschen so sein lassen, wer er ist“. In der letzten Phase sind Demenzpatienten völlig auf Hilfe angewiesen, sie haben ein starkes Bedürfnis nach Nähe, sind oft unruhig, haben ein gestörtes Tag/Nachtverhältnis und verstärkt Schluckbeschwerden.
Hilfe suchen und Hilfsangebote annehmen
Abschließend forderte Benedikta Fischnaller das zahlreiche Publikum, darunter vorwiegend Frauen, auf, die an Demenz erkrankten Menschen bzw. Angehörigen so zu akzeptieren wie sie sind, Hilfsangebote anzunehmen oder Hilfe zu holen, wenn die eigene Kraft schwindet und sich nicht zu schämen dafür. „Demenz ist für die Gesellschaft zwar eine riesengroße Herausforderung, aber auch eine Chance, diese betroffenen Menschen in Toleranz, Wertschätzung und Achtsamkeit zu begegnen. Dann ist es auch möglich, Glücksmomente mit den dementen Menschen zu erleben,“ schloss Benedikta Fischnaller ihr interessantes Referat.