Als Südtiroler in Nordtirol
Wann öffnen die Grenzen wieder? Ein persönlicher Erfahrungsbericht des der Vinschger-Mitarbeiters Wolfgang Thöni
Matrei/Langtaufers - Am 22. Februar sind in der Erlebnisschule die letzten zwei Klassen vor den Faschingsferien nach Hause gefahren und niemand hat damals gedacht, dass es bis auf unbestimmte Zeit die letzten sein werden! Damals haben wir noch Witze über China gemacht. Anfang März bin ich mit meinem 9-jährigen Sohn zur Singprobe der Wiltener Sängerknaben nach Innsbruck gefahren und während der Probe habe ich das nahe Gasthaus Bierstindl besucht um einen „kleinen Braunen“, den österreichischen „macchiato“, zu trinken. Es waren auffallend wenige Gäste im Lokal.
Kellnerin gerät in Panik
Auf meine Frage hin hat die Kellnerin erklärt, dass die Südtiroler wegen Corona nicht mehr nach Innsbruck fahren dürfen und als ich mich als Südtiroler ausgab, ist sie in Panik in den Gang dahinter gelaufen und hat mich beschimpft und mich gefragt, was ich als Italiener noch in Innsbruck zu suchen hätte. Ich habe ihr dann erklärt, dass ich schon seit zwei Wochen in Matrei bei meiner Familie sei und weder die Pest noch das Coronavirus in mir verspüre. Am selben Tag wurde ich noch zweimal von der österreichischen Polizei in meinem Auto mit italienischem Kennzeichen aufgehalten und bis Anfangs Mai bin ich nicht mehr damit gefahren.
Seit 6. März in Wiesengrund
Seit 6. März bin ich nun bei meiner Familie in Wiesengrund bei Matrei im Wipptal nördlich von Innsbruck und mache Homeoffice, wie so viele. Das geht soweit auch gut, denn solange keine Schüler in der Erlebnisschule sind, muss ich nicht vor Ort sein. Aus eigener Erfahrung weiß ich nicht, wie es den Lehrpersonen mit Homeschooling ergeht. Ich kann jedoch ein Lied davon singen, wie es ist, am Freitag zu erfahren, dass die Kinder am Montag nicht mehr in die Schule dürfen und die ersten Wochen der Pandemie über E-Mail mit Aufgaben und Links zu Internetseiten und Fernsehsendungen überhäuft werden. Bis heute (14. Mai) habe ich 73 E-Mails von der Klassenlehrerin erhalten!
Keine Dauerferien
Im Gegensatz zu vielen Eltern glaubte ich in der glücklichen Lage zu sein, denn ich kann auf 14 Jahre Erfahrung als Mittelschullehrer zählen, die mir nun zugutekommen werden. Ich habe jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn mein Sohn Julian – und ich weiß aus vielen Telefonaten, dass es anderen Eltern genauso erging – wollte nicht von den Eltern unterrichtet werden. Er glaubte, in Dauerferien zu sein. Zudem fand er es als ungerecht, dass die 5-jährige Schwester Johanna vom Kindergarten keine „Aufgaben“ erhielt und dauernd spielen durfte. Sehr gebessert hat sich seine Arbeitsmoral, seitdem die Lehrerinnen zweimal wöchentlich ein Meeting organisierten und er die Lehrerinnen und die Mitschüler am Bildschirm sah und mit ihnen reden konnte. Auch wurde der Austausch der Materialien besser organisiert und die Kinder erhielten die vergangenen drei Wochen ein Lernpaket mit genauer Tageseinteilung.
Schulbeginn am 18. Mai
Inzwischen freuen sich die Kinder, die Eltern und auch die Lehrpersonen (auch für sie war es eine Mehrarbeit), dass am 18. Mai wieder die Schule beginnt und die Kinder jeden zweiten Tag Unterricht in der Schule haben (die Klassen werden geteilt). Den Kindern fehlten vor allem die sozialen Kontakte mit den Freunden und Gleichaltrigen. Dreimal die Woche hat Julian je eine halbe Stunde Stimmbildung und Singprobe über Internet. Leider haben wir hier in Matrei nicht einen Glasfaseranschluss mit Highspeed- Internet wie im Oberland. Somit wird die Verbindung des Öfteren unterbrochen oder die Bildqualität ist sehr schlecht.
Zum Glück hat meine Frau ihre Arbeit nicht verloren und somit bin ich drei Tage in der Woche mit den Kindern alleine. Der Tag ist ausgefüllt mit Hausarbeit, Unterricht, langen Telefonaten (zum Glück gibt es WhatsApp!) mit den Liebsten in der Heimat und mit den Opas und Omas, welchen der Umstand, dass sie ihre Enkelkinder über Monate nicht sehen dürfen, ziemlich zu schaffen macht. Auch muss jeden Tag gekocht werden, denn schnell mal eine Pizza holen geht auch nicht. Am Abend, wenn endlich alle schlafen, mache ich Homeoffice, meistens bis spät nach Mitternacht. Nebenbei „höre“ ich Fernsehen: Nachrichten auf diversen Sendern, Markus Lanz, Maybrit Illner… und immer wird nur von Corona bzw. Covid-19 gesprochen. Ich habe Bedenken, dass Fernsehen süchtig macht.
Jeden Tag Balkonkonzert
Aber es gab auch Lichtblicke. Von Ende März bis zum Sonntag 26. April gab es bei uns im Wiesengrund jeden Tag pünktlich um 18 Uhr ein Balkonkonzert. Ein junger Mann hat seine Lautsprecheranlage auf den Balkon gestellt und drei Musikwünsche aus Schlagern, Rock, Pop und Volksmusik laut in die Abendluft erklingen lassen. Alle Bewohner waren im Freien, haben mitgesungen oder getanzt, wir haben unseren Nachbarn über den Zaun zugeprostet und die Kinder haben sich Bälle zugeworfen. Das letzte Konzert am 26. April dauerte zwei Stunden lang und wir sind mit einigen Nachbarn bis 22 Uhr im Freien gestanden und haben uns unterhalten. Die Kinder haben das erste Mal wieder miteinander gespielt und als ich Johanna fragte, was sie mit ihrer Freundin spiele, sagte sie „Wir halten Abstand!“
Wir sind alle gesund, konnten auch immer Wanderungen machen, nicht so streng bewacht wie südlich des Brenners. Hoffentlich öffnen die Grenzen bald wieder, denn ich möchte gerne ins Toul zu Mama und den Geschwistern fahren. Aber die Strichliste, die sie führen, wird noch länger werden. Ich hoffe, dass im Sommer wieder Kinder in die Erlebnisschule kommen dürfen und dass auch wieder Gäste in den Vinschgau kommen und dass sich das Leben wieder halbwegs normalisiert und wir alle gesund bleiben.