Europäische Woche der psychischen Gesundheit 2024

Vom 13. bis zum 19. Mai 2024 findet die Europäische Woche der psychischen Gesundheit statt. Das Motto dieser fünften Ausgabe ist „Gemeinsam gelingt psychische Gesundheit besser“. Roger Pycha, Primar des Psychiatrischen Dienstes im Gesundheitsbezirk Brixen, gibt dazu einen Überblick.

- Die vom Netzwerk European Mental Health - MHE (https://www.mhe-sme.org/) ausgerufene Woche soll in allen europäischen Ländern die Aufmerksamkeit der Menschen darauf lenken, dass die psychische Gesundheit ein wertvolles Gut ist. Drei Jahre Coronakrise haben in ganz Europa eine Zunahme von psychischen Störungen um 25 Prozent verursacht und gezeigt, dass genau diese Krankheiten inzwischen die größte gesundheitliche Gefahr für die Menschheit darstellen. Glücklicherweise sinkt diese Zahl inzwischen langsam wieder – wohl auch, weil viele Menschen entdecken, wie viel sie selbst zu ihrer psychischen Gesundung beisteuern können. Und all das gelingt noch besser, wenn es gemeinsam angegangen wird.

Die Corona-Zeit hat eine große Sehnsucht nach Nähe entstehen lassen. Sich endlich wieder frei bewegen, andere Menschen treffen, gemeinsam feiern, im Kino dicht gedrängt sitzen können, sich umarmen, auf die Schulter klopfen, miteinander raufen oder sich küssen dürfen, ohne Infektionsängste zu entwickeln, ohne Verbote zu übertreten: Das allein schon schenkt mehr psychische und soziale Gesundheit. Ganz Europa, die ganze Welt genießt diese Freiheiten neu. Sie werden uns leider immer weniger bewusst, weil wir uns rasch daran gewöhnen.

Wir alle haben gemerkt, wie gut regelmäßige Bewegung tut. Sie kräftigt, macht den Kopf frei, baut Spannungen ab, gleicht psychisch aus und schützt sogar vor der Weltkrankheit Nummer eins, der Depression. Dazu genügt eine kleine andauernde Menge. Schon 30 Minuten Ausdauerbewegung fünfmal pro Woche reichen. Zur Gewohnheit soll sie werden, einen neuen bewegten Lebensstil begründen. Und das geht viel leichter, wenn man sich zusammenschließt. Gemeinsames Laufen, gemeinsames Wandern, Fahrradfahren, Tennis- und Fußballspielen ist Trumpf. Am besten, man beginnt damit in der Woche der psychischen Gesundheit und hört dann einfach nicht mehr auf. Schon die alten Griechen wussten, was eine Tugend ist: Nichts anderes nämlich als eine gute Gewohnheit. Die gelingt notfalls auch alleine, zu zweit oder in der Gruppe aber noch viel leichter.

„Geteiltes Leid ist halbes Leid“ sagt das Sprichwort. Wann immer Schwierigkeiten auftreten, möchten wir sie besprechen. Frauen tun dies lieber und können es im Durchschnitt auch besser als Männer, aber auch Männer können lernen, von schwierigen Gefühlen und Erlebnissen zu berichten. Sie werden merken, dass aufmerksame Gesprächspartner tatsächlich schon Stützen und Hilfsquellen sind, dass man im Gespräch auf neue Lösungen kommt und dass gute Pläne auch in schlechten Situationen Erleichterung bringen.

Die dritte Lehre aus der Krise ist, dass wir alle Beschäftigung brauchen. Eingebunden zu sein in sinnvolles Tun, in Hilfsbereitschaft und Entgegenkommen, ist nicht nur für die Mitmenschen ein Vorteil, sondern vor allem für uns selbst. Wir arbeiten, um glücklicher zu werden. Der Flow, das glückliche unkritische Aufgehen in einer Beschäftigung, kommt viel häufiger am Arbeitsplatz als in der Freizeit vor. Arbeitslosigkeit ist gefährlich, Arbeit gibt Struktur und erlaubt, Pläne zu schmieden. Wer nicht unbegrenzt Freizeit hat, dem wird sie kostbar und schön. Daher gilt, für uns alle, im Besonderen aber für Migranten: Lasst uns mitarbeiten, wir wollen uns nützlich machen. Und natürlich auch Geld und Lebensunterhalt dadurch sichern.

Zur Bewegung, Besprechung und Beschäftigung kommt noch die Bildung. Wir alle sind neugierig, wollen mehr erfahren und lernen. Diese große Fähigkeit erschöpft sich in seelischen Krisen, in der Erholung taucht sie aber wieder auf. Bildung verbindet uns mit den Kenntnissen der ganzen Menschheit, verbessert unsere gesellschaftliche Rolle, ermöglicht uns später, sogar mehr Geld zu verdienen. Vor allem aber schult sie uns darin, schwierige Ziele hartnäckig anzusteuern. Sie trainiert das Durchhaltevermögen.

In der Coronakrise hat fast jeder gelernt, wie wichtig Bewegung, Besprechung, Beschäftigung und Bildung sind, um psychisch zu überleben. Seit der Krise merken wir, wie viel leichter es ist, vieles davon wieder gemeinsam zu erleben und durchzuführen. Lassen wir die Erinnerung an die Krise in der Europäischen Woche der psychischen Gesundheit wieder aufleben, damit wir schätzen, wieviel besser es uns jetzt geht.

Das Netzwerk psychischer Gesundheit Südtirol begeht die Woche auch heuer mit verschiedenen Initiativen zur Sensibilisierung. Am Montag, den 13. Mai errichtet die Europäische Allianz gegen Depression im Krankenhaus Brixen von 9 bis 17 Uhr einen Informationsstand, an dem die neuen Broschüren „Depression -was tun?“ zweisprachig aufliegen. Sie werden vom Rotary Club Brixen Bruneck finanziert. Am Stand werden zu verschiedenen Zeiten Richard Santifaller als Betroffener und Roger Pycha als Psychiater anwesend sein, um auf Anliegen der psychischen Gesundheit einzugehen. Die Initiative nennt sich „Experten der psychischen Gesundheit zum Anfassen“. Denn Experten sind sowohl Therapeuten als auch Menschen, die viel eigenes Leid erleben mussten. Wenn sie zusammenarbeiten, sind sie stark.

Roger Pycha im Auftrag des Netzwerks Psychischer Gesundheit

Red

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