v.l.n.r. Stadträtin für Kultur Gemeinde Sterzing Verena Debiasi, LR Philipp Achammer, Co-Künstlerischer Leiter Roberto Tubaro, Präsident Stefan Festini Cucco, Co-künstlerischer Leiter Max von Pretz, Vizebürgermeister der Stadt Bozen Stephan Konder, Stadträtin Gemeinde Bozen Johanna Ramoser

Die große Freiheit

Grenzen? Nein, danke! In dieser Musik ist alles möglich: Mit über 50 Konzerten im ganzen Land erkundet das Südtirol Jazzfestival 2024 die junge und experimentelle europäische Szene

- Frank Zappa meinte einst: „Der Jazz ist nicht tot, er riecht nur komisch“. Fast 70 Jahre später ist der Jazz so lebendig wie selten zuvor. Jazz „riecht” nicht – er “duftet”, von frisch, herb und fruchtig bis hin zu süß und lieblich. Heute prägt den Jazz eine Generation, die kaum noch zwischen Rock, Punk, Folk, Noise, Hip-Hop, Jazzeinsprengseln und R&B unterschiedet. Auch die zweite Ausgabe des Südtirol Jazzfestival unter der künstlerischen Leitung von Stefan Festini Cucco, Max von Pretz und Roberto Tubaro folgt dieser Entgrenzung und präsentiert vor allem europäische Bands, deren Musik alles aufzusaugen scheint, was man heute hören kann oder früher irgendwann einmal gehört hat – und die damit die Zukunft des Jazz gestalten.

Die Opening-Night im Bozner Quartier Rombrücke am 28. Juni zeugt von der innovativen programmatischen Ausrichtung. In einem aufgelassenen Industriegelände (Eingang: Lanciastraße 1) begrüßt das für diesen Anlass zusammengestellte Human Magnetic Reception Ensemble, kurz HUMRE, – wie ein Empfangskomitee mit Blechblas- und Perkussionsinstrumenten – die Besucherinnen und Besucher. In der Fabrikhalle, in der das Mailänder Unternehmen Feltrinelli ab 1938 Holzfaserplatten herstellte, präsentiert die estnische Saxophonistin Maria Faust mit einem Bläserensemble und einem 16-kopfigen Chor ihre „Mass of Mary”. Das ergreifende Stück, das den Opfern häuslicher Gewalt gewidmet ist,verbindet Einflüsse mittelalterlicher Kirchenmusik mit Jazz, zeitgenössischer Musik und estnischem Folk und ergänzt liturgische Texte mit Textcollagen. Anschließend erzeugt die Walliser Band Hippo mit ihren analogen Synthesizern und Effektgeräten einen melodischen und zugleich wilden Sound, bevor der Abend mit der Techno-Veranstaltung Synergy in Zusammenarbeit mit dem Hospiz Festival weitergeht.

Der experimentelle europäische Jazz stellt sich in Südtirol vor: Bis zum 7. Juli spielen 41 Bands an 37 Spielorten. 130 Musikerinnen und Musiker aus vielen Ländern haben die drei Festivalmacher in diesem Jahr eingeladen. Aus Deutschland reisen etwa das Trio Malstrom mit einem Mix aus Jazz, freier Improvisation und Rockelementen der 1990er Jahre und das Nils Kugelmann Trio an, dessen Debütalbum „Stormy Beauty“ 2023 mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde. Österreich ist mit der Kult-Band Shake Stew, dem kammermusikalischen Trio HAEZZ und dem von der Saxophonistin Yvonne Moriel angeführten Quartett Sweet Life vertreten, die Jazz und Elektronik mit Dub-Effekten, Hip-Hop, Reggae-Vibes und Weltmusikelementen effektvoll anreichern.

Der Schlagzeuger und Komponist Tilo Weber ist mit mehreren Projekten vertreten, ebenso die Pianistin Olga Reznichenko, die in Südtirol nicht nur mit ihrem eigenen Trio zu hören sein wird, sondern auch mit dem Trio Crutches, und dem Projekt Beatdenkers Polyplay, das rhythmische Konzepte aus unterschiedlichen Musiktraditionen mit futuristischen Beats und einem elektro-akustischen Hybridsound kombiniert. Unter der Leitung des jungen Saxophonisten Fabian Dudek sitzt sie in einem Septett an den Tasteninstrumenten, das dessen Komposition Day by Day vorstellt, und beteiligt sich an der Verbindung von Jazz und Kino im Bozner Filmclub. Mit dem Saxophonisten Daniel Erdmann und der Schlagzeugerin Francesca Remigi begleitet sie dort den Stummfilm Mr. Radio aus dem Jahr 1924. Im Semiruralipark in Bozen ist die Band Nancelot zu hören, ein Querflötenquartett mit Schlagzeug, das mit dieser besonderen Besetzung ganz neue musikalische Perspektiven eröffnet.

Die exzentrische französische Szene darf in diesem Programm nicht fehlen. Das Quartett Inui bewegt sich zwischen Jazz und elektronischer Trance. Das Duo Nosax Noclar mit den Klarinettisten Bastian Weger und Julien Stella erkundet eine bunte Klanglandschaft, die vom zeitgenössischen Jazz bis zu keltischer, türkischer, nordafrikanischer und armenischer Musik reicht und das Quintett Jet Whistle betritt eine musikalische Spielwiese, die vom Free Jazz bis zu den atonalen Klangexperimenten des Komponisten Pierre Boulez reicht.

Während der französische Cellist Valentin Ceccaldi mit seiner Band Bonbon Flamme in anarchisch freien Kollektivimprovisationen eine wilde Mischung aus progressivem Rock und freiem Jazz erzeugt, tritt sein Bruder Theo Ceccaldi (Bratsche & Violine) mit dem Trio Velvet Revolution auf und wagt mit Tilo Weber bei einem Matineekonzert im Waaghaus in Bozen ein improvisiertes Konzert, bei dem man hören kann, wie eine live nicht reproduzierbare Musik im „Hier und Jetzt“ entsteht.

Aus Nordeuropa kommt die Band Y-Otis des schwedischen Saxophonisten Otis Sandsjö, mit ihrem „Liquid-Jazz”, der sich an Hip-Hop und an zeitgenössischer elektronischer Musik orientiert. Der isländische Gitarrist Sigurdur Rögnvaldsson lässt sich mit seiner Band LÚNA vomJazz-Rock der frühen 70er Jahre beeinflussen und die dänische Saxophonistin Mette Rasmussen tritt im Bunker H in Bozen mit der in Äthiopien geborenen und in Vietnam und Schweden aufgewachsenen experimentellen Sängerin Sofia Jernberg auf. Freies Instrumentalspiel und freier „Gesang“ eröffnen in diesem Konzert einen verblüffenden Möglichkeitsraum für das, was die menschliche Stimme sein kann.

Beim Südtirol Jazzfestival wird nicht nur spannende Musik gespielt, sondern auch – in Workshops und Künstlerresidenzen – neue Musik entwickelt und dann in Konzerten präsentiert. Im Stanglerhof in Völs arbeitet die aus Brixen stammende Bassistin Ruth Goller, die heute in der britischen Jazzszene zu Hause ist, mit dem in Leipzig lebenden SchlagzeugerDaniel Klein und dem Trentiner Vibraphonisten Mirko Pedrotti in eine Residency zusammen. In Bozen hat das Südtirol Jazzfestival die Sängerin Camilla Battaglia und den Pianisten Simone Graziano aus der italienischen Szene sowie den Schweizer Perkussionisten und Künstler Julian Sartorius zu einer mehrtägigen Residenz eingeladen, deren musikalische Ergebnisse im Kapuzinerpark präsentiert werden.

Die Konzerte des Festivals finden an Orten in allen Südtiroler Landesteilen statt, die eigentlich keine Konzertstätten sind. Das „Basislager“ des Festivals ist nach wie vor der Kapuzinerpark in Bozen, und auch in diesem Jahr stehen wieder attraktive Spielstätten, wie das Kloster Neustift, die Brennerei Roner in Tramin, der Ost West Club in Meran, der Getränkeladen Harpf in Bruneck, der Stanglerhof in Völs sowie das Waaghaus und die Parkanlagen der Hotels Mondschein und Laurin in Bozen auf dem Programm. Im hochalpinen Raum wie auf dem Speikboden im Pustertal oder vor dem Eingang des Poschhausstollens in Ridnaun finden wieder Open-Air-Konzerte statt und das vom Posaunisten Matteo Paggi formierte Trio Wordsbegleitet eine dreitägige Jazzwanderung, die bei der Gardenaccia-Hütte im Gadertal beginnt und bei der Juac-Hütte in Wolkenstein endet. Neue Veranstaltungsorte in diesem Jahr sind das Ottmanngut in Meran, das Rittner Horn, der Campus Brixen der Freien Universität Bozen, das Gasthaus Restaurant Jocher am Vigiljoch in Lana, das Haus Goethe in Bozen und der Stadtplatz in Sterzing.

Im Sudwerk des Batzenhäusl in Bozen finden wieder die Late-Night-Konzerte statt – vom Solokonzert des Schlagzeugers Oli Steidle bis zum Duo Training, das mit Ruth Goller die surrealistische Versuchsanordnung des „Cadavre Exquis“ zum Kompositionsprinzip macht. In einem Nachtkonzert in der Messe Bozen erkundet Goller mit ihrem Quartett Skylla einen Klangraum, der bulgarischen Folk ebenso einschließt wie den Free Jazz. Ebenfalls im Sudwerk findet die zweite Ausgabe von Kabarila statt – ein fünfstündiges Jazz-Ritual, das in unveränderter Besetzung (Lukas Kanzelbinder, Delphine Joussein, Johannes Schleiermacher, Julian Sartorius und die Tänzerinnen und Tänzer Dante Murillo, Daphna Horenczyk, Jaroslav Ondrus) für fünf Jahre am selben Ort stattfindet. Neben Musik und Tanz, ist das Publikum ein wichtiger Bestandteil dieses Rituals und kann tanzend mitwirken oder zuhörend genießen.

Alle Infos und das ausführliche Programm unter: www.suedtiroljazzfestival.com

S
üdtiroler Jazzfestival

Zum Newsarchiv
Vinschger Sonderausgabe

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.