Zu Besuch bei den Tirolern in Brasilien
Publiziert in 5 / 2006 - Erschienen am 8. März 2006
Schlanders/Brasilien – Im Jänner reiste eine Gruppe von Südtirolern unter der Führung des Schlanderser Schützenhauptmannes Karl Pfitscher nach Brasilien und nach Argentinien. Zu den Höhepunkten der gut zweiwöchigen Rundreise gehörte ein mehrtätiger Besuch der Colonia Tirol im brasilianischen Bundesstaat Espirito Santo. Die Streusiedlung Tirol wurde 1859 von europäischen Auswanderern, vorwiegend aus Nordtirol, gegründet. Die Schützenkompanie Schlanders und die Länder Nordtirol und Südtirol sind schon seit Jahren bemüht, den „Tirolern“ in Espirito Santo zu helfen.
„Der Vinschger“: Wie viele Menschen leben derzeit in der Colonia Tirol und wie geht es ihnen?
Karl Pfitscher: Zurzeit leben im Dorf Tirol, das eine Streusiedlung ist, etwa 700 bis 800 Leute. Es gibt dort kein richtiges Dorf. Es geht unseren ausgewanderten Landsleuten dort zwar jetzt etwas besser als noch vor 12 Jahren, aber es braucht noch Hilfe. Das Ziel ist es, dass das Dorf von der Hilfe zur Selbsthilfe kommt.
„Der Vinschger“: Wann sind die ersten Hilfsprojekte seitens der Schützenkompanie Schlanders angelaufen und was wurde bisher erreicht?
Karl Pfitscher: Die ersten Hilfsprojekte haben wir als Schützenkompanie Schlanders im Jahr 1994 im Herbst begonnen. Es wurden das Kirchendach und der Kirchturm saniert sowie auch des Dach des Widums. Leider hat damals dort die
beauftragte Firma nicht die Arbeiten zu unserer Zufriedenheit ausgeführt, denn es wurden schon bald lecke Stellen bei allen drei Projekten festgestellt. Als wir mit unserem Hilfsprojekt im Jahr 1997 auch die vollständige Innen- und Außensanierung der Kirche vornahmen, haben wir aus Südtirol die bekannte Restaurierungsfirma Hubert Mayr aus Percha im Pustertal mit den Arbeiten betraut, die nicht nur die gesamte Restaurierung der Kirche vornahm, sondern auch die lecken Stellen sanierte. Die Arbeiten wurden fachmännisch ausgeführt.
Auch restaurierten wir bei einem Bauer die Maniok-Mühle, die heute wieder funktioniert. Die Mühle muss jetzt auch für andere Bauern zugänglich sein und sie wird zudem den Besuchern von Dorf Tirol gezeigt, damit man sehen kann, was man mit der Mühle alles machen kann. Beteiligt haben wir uns auch beim Projekt „Schaugarten“ des Landes Südtirol
und des Bundeslandes Tirol.
„Der Vinschger“: Sie haben die Colonia Tirol nun schon zum fünften Mal besucht. Hat sich die Lage seit Ihres ersten Aufenthaltes bis jetzt gebessert?
Karl Pfitscher: Ich würde sagen ja, aber es ist noch viel zu tun. Am dringendsten wäre die Sanierung der Straße ab der Abzweigung von der Hauptstraße bis in die Urwaldlandschaft nach Dorf Tirol. Als wir im Jänner hinein gefahren sind, blieben wir zweimal im Dreck hängen. Es hatte vorher geregnet und der Boden ist aus Lehm. Wir mussten zweimal rund 45 Minuten zu Fuß gehen. Es war aber auf jeden Fall für alle Beteiligten es Erlebnis. Wir als Verein „Tirol-Brasil“ haben auch schon beim Landeshauptmann vorgesprochen, und er hat seine Hilfe versprochen und wird im März nach Dorf Tirol fahren und sich dann selbst ein Bild vor Ort machen.
„Der Vinschger“: Gibt es Vertrauensleute in Brasilien, zu denen Sie steten Kontakt haben?
Karl Pfitscher: Da Camilo Thomas im Herbst gestorben ist, ist es jetzt eine Gruppe von rund einem Dutzend Personen, die sich um die Dinge in Dorf Tirol kümmert. Wir als Verein „Tirol-Brasil“ sind immer im Kontakt mit Dorf Tirol und den
zuständigen Leuten dort.
„Der Vinschger“: Sprechen die „Tiroler“ in Brasilien überhaupt noch die deutsche Sprache?
Karl Pfitscher: Die deutsche Sprache sprechen noch die alten Leute, aber es gibt auch junge, die die deutsche Sprache sprechen. Zurzeit haben wir als Verein neben der Kirche eine Schule gebaut, die erst kürzlich fertig gestellt wurde. Weiters sind wir mit einem Projekt befasst, wonach ein deutscher Lehrer aus Niederösterreich nach Dorf Tirol kommt, um den Leuten die deutsche Sprache wieder näher zu bringen.
Die Spesen hat der Verein übernommen und ab 2007 werden wir mit einem Zivildiener aus Österreich dieses Projekt weiterführen.
„Der Vinschger“: Wird die Colonia Tirol auch in Zukunft mit Hilfsprojekten aus dem Vinschgau bzw. aus Nord- und Südtirol rechnen können?
Karl Pfitscher: Das Dorf Tirol in Brasilien wird damit rechnen können, dass wir wieder Hilfsprojekte unterstützen und in die Wege leiten, aber nicht mehr so wie früher. Es soll künftig alles über den neu gegründeten Verein „Tirol-Brasil“ abgewickelt werden. Somit haben wir auch mehr Kraft
und Unterstützung beim Land Südtirol und beim Bundesland Tirol. Es war auch mein Wunsch und der von Alt-Landeshauptmann Alois Partl aus dem Bundesland Tirol, dass man nur einen Verein für Gesamttirol gründen soll. Ich habe zurzeit die Ehre, in diesem neu gegründeten Verein als Obmann-Stellvertreter mitzuwirken zu können. Wir suchen und brauchen noch Mitglieder und es würde uns alle freuen, wenn
auch viele Vinschger dem Verein „Tirol-Brasil“ beitreten würden. Man kann sich bei mir unter der Handy-Nummer 335 5448000 melden.
„Der Vinschger“: Ihre Reisegruppe hat dieses Mal auch die Stadt Dreizehnlinden im Bundesstatt Santa Catarina besucht. Was sind die größten Unterschiede zwischen Dreizehnlinden und der Colonia Tirol?
Karl Pfitscher: Wer das nicht gesehen hat, kann sich das nicht vorstellen. Da sind Welten dazwischen. Die Tiroler in Dorf Tirol im Norden leben noch wie fast vor hundert Jahren und die Tiroler in Dreizehnlinden im Süden – sie sind rund 2000 Kilometer vom Dorf Tirol entfernt - haben fast einen Lebensstandart wie wir ihn bei uns hier kennen. Finanzielle Unterstützung brauchen die Leute in Dreizehnlinden keine. Die Freude über einen Besuch aus dem alten Tirol ist aber immer groß. Ich kann nur jedem Vinschger empfehlen, das Dorf Tirol im Norden und Dreizehnlinden im Süden zu besuchen. Von Dreizehnlinden sind wir nach Vacaria gefahren und besuchten den Obstanbau- und Blumenbetrieb von Lazzeri. Von den insgesamt rund 680 ha sind 130 ha Wald, 520 ha Obstanbau und rund 30 ha Blumen. In diesem Betrieb arbeitet unser Landsmann aus Kortsch, Thomas Pedross, als Vorarbeiter („gerente técnico“). Zum Abschluss ging die Reise noch bis Buenos Aires und bis Rio de Janeiro. In Rio wurden wir vom Österreichischen Generalkonsul Mag. Reinhold Johannes Steinberger empfangen, der die Probleme des Dorfes Tirol bestens kennt und auch über die Lage in unserem Land Südtirol gut informiert ist.
Die Reise hat allen Teilnehmern gut gefallen.
Interview: Sepp Laner

Josef Laner