„Himmelwärts führt mein Weg“
Publiziert in 10 / 2005 - Erschienen am 26. Mai 2005
Fair und ehrlich. Das wollte er sein und das war er auch. Fair und ehrlich den Menschen gegenüber, fair und ehrlich der Natur gegenüber. Die Natur waren für den 43-jährigen Extrembergsteiger und Abenteurer Christian Kuntner aus Prad vor allem die Berge. Zuerst waren es die Berge seiner Heimat, später Berge in Peru und in Alaska und seit 1991 die Achttausender im Himalaja.
13 der 14 höchsten Gipfel der Erde hatte er bestiegen. Der letzte, der 8091 Meter hohe Annapurna in Zentralnepal, war sein letzter. Er wurde am 18. Mai auf einer Höhe von etwa 6600 Metern von einer Eislawine erfasst. Die inneren Verletzungen waren so schwer, dass Christian Kuntner wenig später starb. Stephan Andres aus Laas sowie weitere seiner Expeditionsbegleiter wurden verletzt.
Erst im Mai des Vorjahres hatte Christian Kuntner zusammen mit Stephan Andres den Lhotse (8516 Meter) bezwungen.
Christian Kuntner war im Grunde nie ein Mann der Medien und der breiten Öffentlichkeit, wenngleich seine bergsteigerischen Leistungen Hochachtung verdienen. Er sammle nicht Rekorde, sondern gehe für sich allein, hat er immer wieder gesagt. Wer ihn kannte, wusste, dass das stimmt. Auf künstlichen Sauerstoff und auf Hochträger hat er stets aus Überzeugung heraus verzichtet.
Der Gefahr am Berg sah er ins Auge. Er war sich des Risikos bewusst und nahm es bewusst auf sich. Er wusste, dass es Glück brauchte, und er wusste, dass man das Glück nicht im Rucksack mitnehmen kann.
Dennoch ist er immer wieder aufgebrochen. Es war, als müsste er da oben irgendetwas finden, etwas, das nur für ihn bestimmt war. „Himmelwärts führt mein Weg“ hatte er den Lichtbildervortrag getauft, den er 2001 über seine Nanga-Parbat-Expedition gehalten hatte.
Jetzt ist Christian Kuntner tot. Das Leid seiner Eltern und seiner Schwester ist groß, ebenso die Trauer in Prad, in seinem Heimattal Vinschgau und in ganz Südtirol. Weil er ein ehrlicher Mensch war, hatte Christian Kuntner auch den Mut, anzuecken und seine Meinung zu sagen. Er klagte nicht selten über Missstände in Südtirol und sparte auch nicht mit Kritik an allzu medien-, rekord- und geschäftssüchtigen Bergsteigerkollegen.
Christian Kuntner war auch ein Einzelgänger, ein Steppenwolf. Wer mit ihm zusammen saß, spürte, dass er zwar da war und zuhörte. Seine lebendigen, stechenden Augen aber verrieten, dass er schon längst irgendwo anders war. Er war einer, der sich auf jede Expedition freute und gerne weg zog, aber auch einer, der wieder gerne heim kam.
Wenn man sah, wie er mit einem Sack voller Filme und Dias das Fotogeschäft Wieser in Schlanders aufsuchte, wusste man, dass er wieder von einer Expedition heimgekehrt war. Dieses Mal traf dort nur eine Karte von ihm ein, zehn Minuten vor der Nachricht seines Todes.
Nachfolgend die wichtigsten Leistungen und Abenteuer von Christian Kuntner, der beruflich als technischer Zeichner tätig war:
1988 Expedition nach Peru (Südamerika)
Besteigungen:
Huascaran 6768m
Nevado Alpamayo 5686m
Nevado Vallunarayo 5686m
Nevado Ischinka 5546m
Yerupaya 6634m
1989 Expedition nach Alaska (Nordamerika)
Besteigung:
Mount Mc. Kinley 6192m
1990 Expedition nach Pakistan
Besteigungen:
Gasherbrum II 8035m
Broad Peak 8047m
An beiden Achttausendern läßt ihnen das schlechte Wetter auf 7800m keine Chance mehr zum Gipfelsieg.
1991 Expedition nach Tibet
Besteigung:
Cho Oyu 8201m
Am Cho Oyu stand er mit der erfolgreichsten Extrembergsteigerin der Welt, Wanda Rutkiewicz aus Polen.
1992 Expedition nach Nepal
Besteigungen:
Manaslu 8164m
In Begleitung waren der bekannte und erfolgreiche Pole Krzysztof Wielicki und Marco Bianchi aus Mailand.
1993 Expedition nach Pakistan
Besteigung:
Broad Peak 8047m
In nur 37 Tagen von Haustür zu Haustür bezwangen Marco Bianchi und Christian Kuntner den Broad Peak im Karakorum.
1994 Expedition nach Nepal
Besteigung:
Dhaulagiri 8167m
Wieder in einer Seilschaft mit Marco Bianchi. Wie im Jahr zuvor erreichten sie gemeinsam den Gipfel.
1995 Expedition nach Tibet
Besteigung:
Mount Everest 8848m
Erste italienische Besteigung über den Nord-Ost-Grat und wieder in Begleitung von Marco Bianchi.
1996 Expedition über Pakistan nach China
Besteigung: K2 8611m
Gemeinsam mit Marco Bianchi und Krzysztof Wielicki erreichten sie an der Nordseite über die Japanerroute den Gipfel.
1997 Expedition nach Nepal
Besteigung:
Annapurna I 8091m
1997 Expedition nach Tibet
Besteigung:
Shisha Pangma 8013m
An beiden Bergen herrschten äußerst schlechte Witterungsverhältnisse. Eine Besteigung wurde somit unmöglich.
1998 Expedition nach Tibet
Besteigung:
Shisha Pangma 8013m
Sein Freund Stephan Andres und er erreichten über die Nordseite mit Skiern den Gipfel.
1998 Seidenstraße:
Donatella Catteruccia und Christian Kuntner durchfahren mit den Mountain Bikes die wohl längste Handelsstrasse der Welt. Fast 10.000 km auf schlechtesten Straßen, über höchste Pässe und durch heißeste Wüsten.
1999 Expedition nach Pakistan
Besteigungen:
Gasherbrum I 8068m
Gasherbrum II 8035m
Gemeinsam mit Abele Blanc erreicht er beide Gipfel.
2000 Expedition nach Nepal
Besteigung:
Makalu 8463m
Gemeinsam mit Abele Blanc und Stephan Andres erreicht er am 15. Mai 2000 den Gipfel. Auf den Tag genau, 45 Jahre nach der Erstbesteigung.
2001 Expedition nach Pakistan Besteigung:
Nanga Parbat 8125m
Gemeinsam mit Abele Blanc und Stephan Andres erreicht
er am 30. Juni 2001 den Gipfel des westlichsten Achttausender des Himalaya, den Nanga Parbat den "Nackten Berg" wie ihn die Einheimischen nennen.
2002 Expedition nach Nepal
Besteigung:
Annapura 8091m
Die schlechten Witterungsverhältnisse zwangen zur Umkehr.
2003 Expedition nach Nepal
Besteigung:
Kangchenjunga 8586m
Gemeinsam mit Silvio Mondinelli, Kobi Reichen, Mario Merelli und Carlos Pauner kletterte er am 20. Mai 2003 über eine neue Route zum dritthöchsten Gipfel der Erde. In der 1000m abschließenden Gipfelwand wurde eine neue Route zum Gipfel eröffnet.
Expedition nach Nepal
Besteigung:
Annapura 8091m
Die schlechten Witterungsverhältnisse zwangen zur Umkehr.
2004: Gemeinsam mit Stephan Andres erreicht Christian Kuntner am 15. Mai den Gipfel des Lhotse. Es ist dies sein 13. Achttausender.

Josef Laner