Im Bild (v.l.): die Amtstierärztinnen Agate Torggler und Marion Tartarotti, Moderator Thomas Strobl vom Filmclub Schlanders, der Landwirt Alexander Agethle, Daniela di Pilla (Filmclub-Mitglied und Übersetzerin) sowie die Dokumentarfilmerin, Autorin und Landschaftsarchitektin Anna Kauber.
Der Dokumentarfilm „In questo mondo“ portraitiert Hirtinnen aus verschiedenen Regionen Italiens und zeigt ihre tiefe Beziehung zu den Tieren und zur Natur auf.

Hirtinnen im Portrait

Filmabend mit Diskussion. Frauen verhalten sich Tieren gegenüber oft anders als Männer. Bringt uns der Weg zurück zur Natur nach vorne? 

Publiziert in 5 / 2023 - Erschienen am 14. März 2023

Schlanders - Sie schuften viel und hart, leben abgeschieden von den Menschen, arbeiten in engster Beziehung mit ihren Tieren und der Natur, erwirtschaften wenig bis nichts, möchten ihre Tätigkeit aber dennoch nicht aufgeben und gegen keinen anderen Beruf tauschen. Das sind einige der Ansichten, die alle Hirtinnen teilen, denen die Dokumentarfilmerin Anna Kauber aus Parma über die Schulter und in die Seele geschaut hat. Zwei Jahre hat sie gebraucht, um gesprächsbereite Hirtinnen zu finden, zu besuchen und zu überzeugen, sich der Welt zu öffnen. „Ich war allein als Frau unterwegs, hatte nur eine kleine Kamera bei mir und war nicht darauf aus, zu werten, sondern die Hirtinnen vorurteilslos in ihrer Realität kennenzulernen“, sagte Anna Kauber am 4. März im Anschluss an die Vorführung ihres 140-minütigen Dokumentarfilms „In questo mondo“. Zur Filmvorführung mit anschließender Diskussion hatte der Filmclub Schlanders in Zusammenarbeit mit BASIS Vinschgau Venosta in den Veranstaltungsraum KASINO eingeladen, der bis auf den letzten Platz besetzt war.

Hirtinnen sehen sich als Teil der Natur

Rund 17.000 Kilometer hatte Anna Kauber mit ihrem Fiat Panda zurückgelegt, um im Laufe von zwei Jahren Hirtinnen im Alter zwischen zwischen 20 und 102 Jahren aus Sardinien, den Abruzzen, der Basilikata, dem Veneto und andern Regionen Italiens zu portraitieren. Entstanden sind nicht Monologe und lange Interviews, sondern bewegende und bildstarke Einblicke in eine Wirklichkeit, von der sich die große Mehrheit der Menschen längst meilenweit entfernt hat. Ebenbürtige Protagonisten sind neben den Hirtinnen deren Schafe, Ziegen und Hunde, die fast alle einen Namen tragen, und die Natur. Die Hirtinnen sehen sich als Teil der Natur. Sie leben in und mit ihr. Mehrfach herauszuhören ist aus den wenigen kargen, ehrlichen und authentischen Sätzen der Hirtinnen, dass sie mit dieser harten Arbeit zwar nicht reich werden, aber dennoch glücklich sind. Keine bereut es, Hirtin geworden zu sein, obwohl es durchaus auch Alternativen zu diesem für Frauen doch ungewöhnlichen Beruf gegeben hätte. 

Völlig anderer Zugang zu den Tieren

Auf die Frage von Thomas Strobl vom Filmclub, warum sie sich für Hirtinnen und nicht für Hirten entschieden habe, meinte Anna Kauber, dass Frauen aufgrund ihrer Weiblichkeit eine besondere Beziehung zu den Tieren und der Natur insgesamt haben. So hätten Frauen in der Regel mehr Geduld, seien weniger grob und gäben alles, um ein Tierleben zu retten. Dem stimmten beim Gespräch auch die Amtstierärztinnen Marion Tartarotti und Agate Torggler sowie der Landwirt Alexander Agethle aus Schleis zu. „Frauen entwickeln Tieren gegenüber oft innige, tiefe Gefühle“, sagte Marion Tartarotti. Auch Agate Torggler meinte, „dass Frauen anders sind, anders als die Männer, aber auch anders untereinander.“ Wie ein Tierarzt dem der Vinschger am Rande der Veranstaltung bestätigte, merke er immer sofort, ob die Kühe im Stall von einem Mann oder einer Frau gemolken werden. Laut Alexander Agethle haben Frauen einen völlig anderen Zugang zu Tieren: „Die Geburt und der Milchfluss sind sehr weibliche Vorgänge.“ Die Landwirtschaft werde seit 50 bis 70 Jahren aus einer sehr maskulinen, rationellen und maschinellen Perspektive gesehen. Es werde alles der Wirtschaftlichkeit untergeordnet.

Weg von der Maxime der Erträge

Am meisten Sorge bereitet Alexander Agethle derzeit, „dass sich Landwirte wegen des kapitalistischen Produktionssystems aus der Landschaft zurückziehen.“ Es sei höchst an der Zeit, sich von der Maxime der Erträge zu verabschieden und eine Wende einzuleiten. Thomas Strobl griff noch etliche weitere Themen auf, zum Beispiel das Tierwohl. Zustimmen mussten ihm die Amtstierärztinnen, dass es in Italien zum Beispiel immer noch erlaubt ist, Ferkel bis zum 10. Lebenstag ohne Betäubung zu kastrieren. Marion Tartarotti wurde Tierärztin, weil sie Tiere seit jeher liebt. Manches habe ihr während ihrer Tätigkeit wehgetan, „doch mit der Zeit wurde ich etwas abgehärtet. Alles kann man nicht retten. Wir haben es mit Nutztieren zu tun.“ Handlungsbedarf, auch auf gesetzlicher Ebene, sieht Marion Tartarotti in punkto Tierquälerei. Als Amtstierärztin habe sie mehr Möglichkeiten, gegen Tierquälerei vorzugehen. Neben der tiergerechten sei laut Alexander Agethle auch auf die wesensgerechte Haltung zu achten: „Eine Kuh muss weiden dürfen.“ Angeschnitten wurde auch das Töten der Nutztiere. Eine Hirtin im Film sagte: „Das beste Tier, das du essen kannst, ist das, das du liebst.“ Zusammenfassend warf Thomas Strobl eine Frage in den Raum, die wohl noch viele Besucherinnen und Besucher des Filmabends beschäftigen dürfte: Kann uns ein Weg zurück zur Natur nach vorne bringen?

Josef Laner
Josef Laner

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