Stille Revolutionäre in Burgeis
Publiziert in 18 / 2012 - Erschienen am 9. Mai 2012
Burgeis – Sie sind Protestler und Aufwiegler. Auf 7.000 Quadratmetern Wiese, Acker und Garten verweigern sie sich der Monokultur und verbrüdern sich mit Schädlingen und Ungeziefer.
Wer die Wahl haben will, braucht nicht die Qual zu haben, sondern muss Edith und Robert Bernhard in Burgeis besuchen. Möglichst im späteren Sommer. Zuerst im Garten „hinterm Schloss“, dann im Kartoffelacker bei Schluderns oder auch in der Flur „Gruamatzins“ zwischen Burgeis und Mals, wo unter Umständen der „schwarze Wunderweizen“ reift. Natürlich kann man die beiden auch an einem trüben Wintertag mit Schneefall antreffen. Wenn die steile Gasse zu ihrem Haus in Burgeis auf Vinschgerisch „haal“ wird, nehmen sich die „Ökologie-Preis-Träger 2011“ mehr Zeit. Dabei ist Zeit für die gelernte Chemielaborantin Edith (65) aus Kramsach und dem ehemaligen Mitarbeiter des Wohnbauinstituts, Robert (67), auch im Ruhestand ein kostbares Gut. Zeit und Rhythmus geben ihnen die Natur und die Vielfalt vor, denen sie sich auf ihrem Streuobst-, Beeren-, Kartoffel- und Getreidefeld oder im Gemüse-, Kräuter- und Schaugarten verschrieben haben.
Edith und Robert Bernhard sind überzeugte Revolutionäre und stehen schon bei Tagesanbruch bereit, mit Harke, Brennesselwasser und Gießkanne für ihre Freiheit zu kämpfen. Die Freiheit zu ernten und zu essen, was sie selbst aussuchen und anbauen. Mit dem Ausdruck „kämpfen“ kann Robert nichts anfangen. „Das machen die Obstbauern, die kämpfen und bekämpfen das ganze Jahr lang alle möglichen Schädlinge“, wirkte er sehr bestimmt. Schon war man mitten im Thema. Auf dem Tisch stand ein Korb voller Samensäckchen, selbst abgefüllt, beschriftet und mit Bild versehen. Von Edith und Robert im Gemüsegarten gesät oder angepflanzt, geerntet, verkostet und überprüft. Edith legte das 700-Seiten starke Handbuch für Bio-Gemüse dazu, suchte die Seiten mit den Bildern von Gelben Rüben, zeigte mit dem Finger drauf und sagte: „Nächstes Jahr werd ich versuchen, diese Sorte auszusäen.“ Es klang wie, nächstes Jahr suchen wir uns ein noch schöneres Plätzchen zum Urlauben.
Warum tut man sich das an, warum braucht es Vielfalt? Als ob die beiden nur auf die Frage gewartet hätten: „Wenn man nur eine Sorte hat und das Wetter ungünstig ist, steht man da.“ So einfach ist das. Dann wurde Robert seinerseits kämpferisch: „Es gibt nur mehr wenige Konzerne auf der Erde, die das Saatgut besitzen und bestimmen, was und wie viel die Menschen essen. In Burgeis gibt es vielleicht noch zwei oder drei, die selbst Kartoffeln anbauen. Weiß ich denn, wie die Kartoffel behandelt ist, die ich im Geschäft kaufe?“ Auch Edith und Robert wissen es nicht; sie vermuten aber das Schlimmste, auf jeden Fall, dass überhaupt kein Leben mehr drin ist. Wichtig ist ihnen zu wissen, wann die 15 Kartoffel-Sorten, die sie kennen und anbauen, am besten gedeihen. Den Beweis, dass sie sehr konkret und tagtäglich mit Sortenvielfalt umgeht, erbrachte Edith mit dem gemischten Salat aus Zuckerhut, Pastorenbirne, Avocado, Walnüssen und Oliven, den sie zum „Gebackenen Kürbis mit Kartoffeln“ servierte. Es machte ihr sichtlich Freude, die wohlschmeckende Vielfalt zu erklären: „Zum Red Kuri-Kürbis habe ich die Kartoffeln Rote Emma, Highland Burgundi red, Trüffelkartoffel, die eigentlich Wittelotte genannt wird, und weiße Zyklame gegeben, mit Koreander, Origano, Peperoncino, Rosmarin, Pfeffer und Oliven-Öl-Pasta gewürzt und ins Backrohr geschoben.“
Bevor sich Edith wieder an ihren Webstuhl setzen konnte, ließ sie einen Blick auf ihre Bohnensammlung werfen. Indes hatte Robert den gemeinsamen Schatz in die Stube gebracht, aufbewahrt in einem großen Pappkarton. Plötzlich lag die Menschheitsgeschichte auf dem Tisch. Jahrtausende der Evolution im Getreideanbau vom Gänsefußgras über das Einkorn, den Emmer zu Dinkel und Hartweizen. Alles sorgfältig in Folien verpackt, wissenschaftlich betitelt und beschriftet, bereit zu einer Ausstellung. Ohne Übertreibung: Robert hatte etwas Einmaliges, nichts fürs Heimatmuseum, sondern für die Ernährungswissenschaft in den Karton gepackt. Darunter die Überraschung: Dinkelähren mit blauem, samtigen Winterspelz, vor ungefähr 100 Jahren auf dem Dachboden in Burgeis gefunden, eingewickelt in einer Zeitung aus dem Jahre 1890.
Günther Schöpf

Günther Schöpf