Sterben will der Mensch zu Hause
Publiziert in 10 / 2006 - Erschienen am 17. Mai 2006
Soll der Arzt dem Patienten sagen, dass dieser krebskrank ist? Wie soll er es ihm sagen? Was sind die Bedürfnisse der Angehörigen schwerstkranker Menschen? Was kann die palliative Chemotherapie leisten? Welches sind die Fehler bei der Therapie mit Opiaten? Diese und andere Aspekte der palliativen Betreuung standen im Mittelpunkt der gut besuchten Tagung „Palliative Care - Netzwerk der palliativen Betreuung“, die am 6. Mai auf Einladung des Sanitätsbetriebes Meran und der Sektion Vinschgau der Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin SÜGAM in der Lehranstalt für Wirtschaft und Tourismus in Schlanders stattgefunden hat. Palliativ heißt übrigens lindernd, aber nicht heilend. Von palliativer Schmerztherapie oder Palliativpflege wird bei unheilbar Kranken (Krebs-Diagnose) gesprochen.
„Die Verringerung der Aufenthalte in den sanitären Einrichtungen und die Verbesserung der Qualität der Hausbetreuung sind die Ziele des palliativen Betreuungsnetzes,“ sagte die Primarärztin Enrica Dal Negro (Dienst für Basismedizin im Sanitätsbetrieb Meran) in ihrer Einführung. 2005 wurden im Sanitätsbetrieb Meran 138 Patienten von den Krankenpflegern für insgesamt 10.309 Tage betreut und zwar zu über 90 Prozent zu Hause. Das Betreuungsnetz, das im Vinschgau laut Dal Negro recht gut greift, umfasst unter anderem auch die Zusammenarbeit mit dem Palliativzentrum Martinsbrunn in Meran sowie die Zusammenarbeit mit dem Volontariat (Krebshilfe und andere Vereine).
Der Amtsdirektor für Gesundheitssprengel Alfred König sagte, dass zusätzlich zu einem Zentrum für „Palliatice Care“ auch das soziosanitäre Betreuungsnetz mit dem Einbezug aller zuständigen Berufsgruppen und auch des Volontariates notwendig sei. Es gelte, die Lebensqualität des Kranken in seiner letzten Lebensphase zu verbessern. Der Kranke soll in Würde sterben können und das möglichst in seinen eigenen vier Wänden und im Kreis der Familie.
Mit sehr interessanten Ergebnissen einer Befragung von Angehörigen verstorbener Palliativpatienten wartete die Ärztin für innere Medizin Susanne Pragal auf, die im Krankenhaus Schlanders unter anderem auch onkologisch tätig ist. In Bezug auf die Aufklärung ergab die Befragung, dass der Arzt dafür Zeit haben soll. Auch ein geeigneter Raum ohne Störung ist notwendig. Keinesfalls gehe es an, dem Patienten die Nachricht einer lebensbedrohlichen Krankheit zwischen Tür und Angel zu überbringen. Weiters wird gewünscht, dass der Arzt eine genaue Diagnose mit der Beschreibung der Erkrankung und der momentanen Ausbreitung stellt. Es sollten aber nicht alle Punkte in einem einzigen Gespräch verpackt sein. Die Angehörigen gilt es alle im gleichen Ausmaß aufzuklären.
Krebs-Diagnose nicht zwischen Tür und Angel mitteilen
Das Thema Aufklärung brachte Susanne Pragal mit einem Zitat von Max Frisch auf den Punkt: „...man soll dem Anderen die Wahrheit wie einen Mantel hinhalten, in den er hineinschlüpfen kann, und sie ihm nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren hauen.“
Bezüglich der Rolle, die der Hausarzt einnehmen soll, ergab die Befragung, dass von diesem regelmäßige Hausbesuche erwartet werden. Es sollte eine Betreuung während der ganzen Woche gewährleistet sei, also auch am Wochenende. Großen Wert legen die Befragten auch auf eine durchgehende Erreichbarkeit des Hausarztes. Der Übergang des Patienten vom stationären in den ambulanten Bereich sollte gut vorbereitet und geplant werden. Auch Hilfen bei der Organisation der Pflege zu Hause erwarten sich die Angehörigen. Pflegehilfsmittel sollten schnell und unbürokratisch geliefert werden. Über therapeutische Maßnahmen ist genau aufzuklären. Auftretende Symptome sind ernst zu nehmen und zu kontrollieren. Gewünscht wird schließlich auch die Möglichkeit einer psychologischen und spirituellen Betreuung des Patienten und der Angehörigen. Gespräche sind auch nach dem Tod für die Angehörigen und die professionell Betreuenden wichtig. „Auch Angehörige sind Betroffene, ihre Bedürfnisse decken sich überwiegend mit denen der Patienten,“ schloss Susanne Pragal.
Einfach, klar und verständlich informieren
Der Psychologe Erwin Steiner (psychoonkologischer Dienst, Krankenhaus Brixen) sprach zum Thema „Das schwierige Gespräch - Was kommt nach der Diagnosemitteilung?“. Er sprach sich dafür aus, den Patienten klar, einfach, verständlich und eindeutig zu informieren. Was man sagt, soll wahr sein. Es gehe vor allem darum, wie informiert wird. Der Großteil der Patienten, die von den Ärzten nicht aufgeklärt wurden, kennen die Diagnose aus anderen Quellen: Pflegepersonal, Angehörige usw. Nach einer Erst-Information soll man dem Patienten eine Wartezeit einräumen und ihm Emotionen zugestehen. Die Prognose sollte nicht mit einer exakten Angabe der voraussichtlichen Lebenserwartung verbunden werden. Weiters sollte nie der Eindruck erweckt werden, dass für den Patienten nichts mehr getan werden kann. Zumal Krebserkrankungen körperlich oft nicht erfahrbar sind, kommt ein besonderer Aspekt hinzu: Der Patient sagt, er fühle sich gesund, „aber Befund ist nicht Befinden,“ sagte Erwin Steiner. Primar Anton Theiner, der ärztliche Direktor im Krankenhaus Schlanders, sagte, dass es im Bereich der Diagnosemitteilung nach einiges aufzuholen gebe.
Über die Möglichkeiten der palliativen Chemotherapie, die sich jetzt auch neuer Substanzen bedienen kann, informierte die Fachärztin für Onkologie Judith Stocker (Krankenhaus Bozen). Der Facharzt für Anästhesie Karl Ungericht sprach über den Einsatz von Schmerzpumpen und rückenmarksnahen Verfahren.
Überholte Anschauungen in Bezug auf Opiate
Wunibald Wallnöfer (Gemeindearzt in Prad und Sprengelkoordinator Obervinschgau) räumte in seinem Referat „Fehler bei der Therapie mit Opiaten“ mit überholten Anschauungen auf, die leider noch immer verbreitet sind. Überholt ist unter anderem die Meinung, wonach Opiate schwere körperliche und psychische Dauerschäden hinterlassen oder wonach sie zu einer gefährlichen Atemdepression führen. Falsch ist weiters die Anschauung, wonach der Patient kurz vor dem Tod steht, wenn man ihm Morphin gibt. Das Einsparen von Opiaten aus Gründen der Suchtangst ist laut Wunibald Wallnöfer nicht gerechtfertigt. Solange er Schmerzen hat, bedarf der Krebskranke eines Opiats, das ausreichend wirkt. Es gelte, den Patienten und die Angehörigen aufzuklären. Auch über Schmerztherapien, richtige Dosierungen, die Handhabung von Schmerzpflastern und Fehlermöglichkeiten informierte Wallnöfer.
Von der Tatsache, dass sich an der heurigen Tagung zusätzlich zu vielen Krankenpflegerinnen und -pflegern auch über 20 Ärzte beteiligten, waren Wunibald Wallnöfer, Ugo Marcadent (Gemeindeart in Latsch und Sprengelkoordinator Untervinschgau) sowie Hansjörg Gluderer (Gemeindearzt in Schlanders und SÜGAM-Vorsitzender Vinschgau) besonders erfreut. Moderiert haben Anton Theiner, Hansjörg Gluderer und Sanitätsdirektor Roland Döcker. Maria Oberprantacher, die Pflegedienstkoordinatorin im Passeiertal, stellte das druckfrische, auf das Passeiertal abgestimmt Buch „Zu Hause sein“ vor. Es ist dies ein Begleiter für Angehörige von Patienten.

Josef Laner