Im Hintergrund Lisa und Rudolf Gutgsell; vorne Maria Ricky Herzl und Erich Gutgsell

Zurück zu den Bergen

Publiziert in 34 / 2015 - Erschienen am 30. September 2015
Als Pflegekind in Stilfser Brücke aufgewachsen. Nach vielen Jahrzehnten hat Maria Ricky Herzl ihre Heimat wiedergefunden. Noch immer voll im Leben. Prad - Vergleicht man das Leben mit einem Topf, aus dem Tag für Tag geschöpft wird, so hat Maria Ricky Herzl reichlich daraus gelöffelt. Den Großteil ihrer Kindheit verbrachte sie in der Nachkriegszeit als Pflegekind bei der Familie Gutgsell in ­Stilfser Brücke. Vor wenigen Jahren ist sie zu ihren Bergen, die sie während ihres bewegten Lebens nie vergessen hat, zurückgekehrt. Geboren ist Maria Ricky Herzl am 9. Juli 1944 in Istrien, genauer gesagt im Hotel Kristal in Opatija. Ihr Vater Adolf Herzl war italienischer Schiffskapitän. Ihre Mutter Hilda Kohn stammte aus einer österreichischen Adelsfamilie in Wien. Am Ende des Kriegsjahres 1944 stand die Familie Herzl vor der Entscheidung, entweder für Italien zu optieren oder für das kommunistische Jugoslawien unter Tito. Das Paar entschied sich für Italien. Zunächst aber reiste die Familie nach Wien zu den Eltern von Hilda. Dort bekam Maria Ricky die Pocken und wurde in ein Spital gebracht. Während der Kriegswirren und des Einfalls der Russen in Wien waren Adolf und Hilda gezwungen, die Stadt zu verlassen. Maria Ricky ging buchstäblich verloren Zu dieser Zeit ging das Kleinkind Maria Ricky buchstäblich verloren. Ihrem Vater ist es erst nach fast einem Jahr gelungen, seine Tochter zu finden. Sie war zusammen mit anderen Kindern nach Bad Gastein gebracht worden. Adolf Herzl hatte von einem Busfahrer erfragt, dass in den Thermen von Bad Gastein viele Kinder aufgenommen worden waren. Eine Krankenschwester erinnerte sich, dass man zwar ein blondes Mädchen in Obhut habe, doch aus Italien dürfte dieses Kind nicht stammen. Aber es handelte sich tatsächlich um die strohblonde Maria Ricky. Ihre Mutter erschrak, als sie ihr bis auf die Knochen ausgehungertes Kind zum ersten Mal wiedersah. Die Familie hatte sich zunächst in Meran niedergelassen und zog erst Jahre später nach Genua. In Meran erfuhren die Herzls, dass es im Vinschgau eine Familie gibt, die bereit sei, Maria Ricky als Pflegekind aufzunehmen. Das war die Zeit, als die zweieinhalb Jahre alte Maria Ricky von Lisa Brenner und Rudolf Gutgsell im damaligen Gasthaus in Stilfser Brücke aufgenommen wurde. Sie lebte bis im Alter von zehn Jahren in Stilfser Brücke und wuchs zusammen mit den Kindern der Pflegefamilie auf, vor allem mit Erich Gutgsell. Wenn Maria Ricky von ihren Kinderjahren erzählt, sprudelt es nur so aus ihr heraus. „Du kannst alles“ Ein lustiges Kind sei gewesen, für fast jeden Spaß zu haben und immer voller Lebenslust und Tatendrang. Sie war ein sehr aufgewecktes Mädchen. Ihr Ziehvater habe immer gesagt. „Du kannst alles.“ Lisa sei für sie stets eine herzensgute Mutter gewesen. Nicht vergessen hat Maria Ricky die abenteuerlichen Schlittenfahrten von Stilfser Brücke bis nach Prad und das gesellige Leben im Gasthaus. Nicht nur Leute des Ortes, sondern auch Stilfser, Gomagoier, Suldner und Trafoier kehrten ein. Maria Ricky: „Damals hat man noch viel Musik gemacht, gesungen und getanzt. Der Rudl spielte Gitarre, ein anderer nahm die Ziehharmonika unter die Arme und wieder ein anderer spielte Zither.“ Nach dem Abschluss der 4. Schulklasse in Stilfser Brücke wurde Maria Ricky von ihren Eltern abgeholt und nach Meran gebracht, wo sie die so genannte Vorbildungsschule besuchte und zunächst in einem Heim untergebracht war: „Ich stand andauernd unter Strafe, weil ich oft durch eine kleine Gartentür abhaute“, erinnert sie sich. Durch Gartentür abgehauen Damals wurden im Plankenstein-Kino Sissi-Filme gezeigt, „auf die ich besonders scharf war.“ Zu dieser Zeit war es vor ­allem die Mutter Hilda, die darauf drängte, ihre Tochter wieder voll und ganz in die Familie zurückzuholen, die nun nach Genua zog. Dass sie bildhübsch war, singen konnte und vor Selbstvertrauen und Lebensfreude nur so strotze, sei ihr selbst nie aufgefallen. Paul, einer ihrer Brüder, der bereits Filmschauspieler war, überredete sie, sich beim damals größten Modehaus in Genua vorzustellen. Sie wurde sofort als Model verpflichtet. Aber nicht nur auf Laufstegen großer Modestädte auf der ganzen Welt war Maria Ricky zu sehen, sondern nach und nach auch im Fernsehen. Sie war als Moderatorin tätig, gestaltete eigene Sendungen, interviewte Künstler und bekam Zugang zu vielen Prominenten der damaligen Zeit. Ein Geheimrezept für ihre Erfolge habe sie nie gehabt, „aber ich hatte auch nie Angst, auf Menschen zuzugehen.“ Und auch keine Angst, sich immer neuen Herausforderungen zu stellen. So führte sie etwa ein historisches Hotel in Rapallo sowie die Beauty-Farm und den Antiquitäten-Markt des geschichtsträchtigen „Palazzo Ducale“ in Genua mit 8 Angestellten. Dass sie neben Deutsch auch Italienisch und Englisch sprach, kam ihr natürlich sehr zugute. Auf besonderes Echo stießen in den 80er Jahren zum Beispiel die Interviews, die Maria Ricky mit Menschen aus Ligurien geführt hat, die nach Amerika ausgewandert waren. Nicht minder erfolgreich war eine Fernsehserie, bei der es darum ging, den Zuschauern die Poesie näher zu bringen. Maria Ricky war es sogar gelungen, den fernsehscheuen Dichter Nicola Ghiglione ins Studio zu holen. Mit ihrem ersten Mann ­Piergiorgio Ghio hatte Maria Ricky zwei Töchter, Alessandra und Vanessa. Inzwischen ist sie Großmutter von 7 Enkelkindern. Keine Spur von Sich-Zurück-Ziehen Von Ruhe, von Sich-­Zurück-Ziehen oder gar von Nichts­tun kann bei Maria Ricky keine Rede sein. Obwohl sie erst seit wenigen Jahren in Prad lebt, steht sie im Dorf und darüber hinaus voll im Leben. Sie singt etwa im Chor mit, ist Mitglied der Zeitbank, moderiert die bekannten Tiroler Abende in Prad und hilft im ­Vintschger Museum in Schluderns als Museumsführerin aus. „Wenn einige Besucher nur Deutsch sprechen und einige nur Italienisch, kriege ich das dennoch locker hin.“ Und auch politisch legte sie sich ins Zeug. Bei den vergangenen Gemeinderatswahlen im Frühjahr kandidierte sei auf der Liste der SVP Prad und erreichte einen Achtungserfolg. Maria Ricky: „Wenn es schon immer heißt, dass sich Frauen mehr einbringen sollten, wollte ich das Meinige dazutun.“ Auch wenn sie von sich selbst scherzt, nur mehr „eine alte Hex“ zu sein, ist Maria Ricky ein positives Beispiel dafür, wie ältere Menschen ihren Erfahrungen aktiv einbringen können. Bei Maria Ricky kommt noch hinzu, dass sie ihre geliebten Berge wieder vor sich hat. Und auch einige ihrer Freunde und Bekannten, welche ebenfalls noch wissen, wie es war, als sie noch alle Kinder waren. sepp
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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