„Ziel verfehlt“
Publiziert in 34 / 2016 - Erschienen am 28. September 2016
An 8 Standorten Pestizidrückstände nachgewiesen. Schuler reagiert prompt.
Vinschgau – „Die Abstandsregelung bei Pflanzenschutzmitteln hat ihr Ziel verfehlt“, heißt es in einem offenen Brief der Umweltschutzgruppe Vinschgau (USGV) an Landesrat Arnold Schuler und an Landesrätin Martha Stocker. Unter Abschnitt 2 der neuen Vorschriften, die von der Landesregierung 2014 erlassen wurden, wird die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln auf landwirtschaftlichen Grundstücken geregelt, die unter anderem an Schulgelände, Kinderspielplätze, Sportplätze, private Gärten und Radwege angrenzen. Mit den darin enthaltenen Auflagen sollte gewährleistet werden, dass keine Abdrift von Pflanzenschutzmitteln auf diese Flächen gelangt, die vor allem von besonders gefährdeten Personengruppen aufgesucht werden. Im Mai 2016 wurden im Auftrag der USGV an 8 Standorten im Vinschgau Pflanzenproben entnommen. „Bei allen Probe-
entnahmeorten (Grundschulen Tartsch, Eyrs, Tschars, Sportplatz Goldrain, Kinderspielplatz Kompatsch-Naturns, Radweg Plaus, Privatgarten und Grünlandwiese in Prad) handelt es sich um Standorte, die sich in der Nähe von Apfelplantagen befinden“, heißt es im Brief. Die Proben wurden im Labor für Lebensmittelanalysen der Landesagentur für Umwelt in Bozen auf Pestizidrückstände analysiert, die Analyseergebnisse vom Toxikologen Peter Clausing interpretiert. Als besonders problematisch stufe Clausing folgende Befunde ein: an allen 8 Standorten konnte mehr als ein Pestizid nachgewiesen werden; die Häufung von Funden verschiedener Pestizide in den Proben der Grundschule Tschars und der Grünlandwiese in Prad (jeweils 9 verschiedene Pestizide); der Nachweis von Chlorpyrifos in allen 8 Proben; der Nachweis von Fluazinam in 7 von 8 Proben; die Höhe der Chlorpyrifos–Konzentrationen, des (gemessen am ADI Wert) giftigsten Pestizids. Die Funde seien laut Clausing alarmierend, weil sie auf die mögliche Exposition einer besonders empfindlichen Bevölkerungsgruppe, nämlich von Kindern, hinweisen. „Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Pestizide nicht isoliert auftreten, sondern verschiedene Wirkstoffe gleichzeitig auf Umwelt und Mensch einwirken. Die toxikologische Bewertung solcher Kombinationswirkungen ist komplex und wissenschaftlich ungelöst“, so die USGV. Und weiter: „Wir stellen fest, dass die Vorschriften zur Verwendung von Pflanzenschutzmitteln ihr Ziel verfehlen. Wenn in 8 von 8 Proben ein Cocktail von Pestizidrückständen nachgewiesen wird, liegt dafür ein klarer Beweis auf der Hand.“ Die Landesräte Schuler und Stocker werden aufgefordert zu erklären, wie sie den gesetzlich seit 2009 verankerten Schutz von besonders empfindlichen Personengruppen, zu denen auch Kinder gehören, erreichen wollen.
Arnold Schuler:
„Es kommt auf die Menge an.“
„Spuren von Pflanzenschutzmitteln bedeuten nicht automatisch ein Gesundheitsrisiko.“ So reagiert Landesrat Arnold Schuler auf den offenen Brief. In Südtirol werde Pflanzenschutz durch Vorschriften des integrierten Anbaus bzw. von biologischen Anbauverbänden streng geregelt und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß beschränkt. „Nur weil etwas messbar ist, muss es noch lange nicht bedenklich für die Gesundheit sein“, sagt Schuler, „es kommt vielmehr auf die Menge an“. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sei erforderlich, um Pflanzen vor Schaderregern zu schützen. Auch bei einem sachgerechten Einsatz dieser Mittel können Rückstände im Erntegut und in den daraus gewonnenen Lebens- und Futtermitteln verbleiben. Mit der heutigen Labortechnik seien selbst Mengen im Spurenbereich messbar: „Man findet deswegen heute alle möglichen Spuren von Stoffen und eben auch von Pflanzenschutzmitteln. Dies bedeutet aber nicht automatisch eine Gesundheitsgefahr.“ Vor 50 Jahren konnte bis zu 1 Part per Million (ppm) gemessen werden. Das ist ein Milligramm pro Liter oder
Kilogramm. Die Nachweismethoden für Spurenstoffe sind in den letzten 50 Jahren immer empfindlicher geworden. Heute kann bereits 1 Part per Quadrillion (ppq) nachgewiesen werden. Praktisch bedeutet dies, dass man ein einzelnes Roggenkorn in einem 20.000 Kilometer langen Güterzug voll Weizen nachweisen kann. Was man sucht, das kann man also auch finden.“ Grundsätzlich gelte: „Ein Vergleich von Rückständen auf Gras oder in Wasser mit den Rückstandshöchstwerten auf Lebensmitteln ist zwar fachlich unzulässig, weil Gras ja nicht gegessen wird, aber es kann helfen, die Werte einzuordnen und ein Gefühl für diese zu bekommen.“ Für jedes Lebensmittel gelten eigene Rückstandswerte. „Die gesetzlich festgelegten maximalen Rückstandsmengen in Milligramm pro Kilogramm liegen generell weit unter der für den Menschen toxikologischen Menge (Faktor 100).“ Rückstandshöchstgehalte geben die maximal zulässige Kon-
zentration eines Pflanzenschutzmittelwirkstoffs in einem Lebensmittel an. Die Überschreitung eines Rückstandshöchstgehalts stellt einen Gesetzesverstoß dar, die Ware darf nicht in Umlauf gebracht werden. „Dies muss aber nicht bedeuten, dass der nachgewiesene Rückstand auch ein Risiko für Verbraucher darstellt. Rückstandshöchstgehalte sind nämlich keine toxikologischen Grenzwerte“, so Schuler. Zu den Probeentnahmen an 8 Standorten im Vinschgau hält er fest: „Die im Gras gefunden Rückstandsmengen liegen größtenteils weit unter den maximal erlaubten Rückstandshöchstgehalten von Lebensmitteln mit Ausnahme von zwei Ausreißern, die genauer untersucht werden sollen.“ Einzelne Rückstandsmengen auf dem Gras seien zwar höher, „aber Rückstände auf Gras, das nicht zum Verzehr bestimmt ist, lassen sich nicht mit Rückständen auf Lebensmitteln vergleichen.“ Was die toxikologische Bewertung der Kontaminationen betrifft, so seien die Werte niedrig. Selbst der Toxikologe Peter Clausing komme zum Schluss, „dass viele der Rückstandswerte vergleichsweise gering sind.“ Insgesamt könne gesagt werden, „dass sich die heurige Situation zum Jahr 2014 in den wieder beprobten Orten verbessert hat, obwohl die Witterung im heurigen Frühjahr nicht einfach war. So wurden etwa in der diesjährigen Grasprobe des Sportplatzes
Goldrain zwei Mal weniger Chlorpyrifos und acht Mal weniger Fluazinam als im Jahr 2014 gefunden.“ Trotzdem müsse weiterhin alles getan werden, um die Rückstände auf ein Minimum zu reduzieren. Es gibt sicher auch noch Verbesserungspotential, insbesondere in der Ausbringungstechnik, beim Verzicht auf bestimmte Pflanzenschutzmittel, Rückstandsanalysen usw. Schuler ersucht die USGV erneut, „die Landesverwaltung bzw. die Bürgermeister vor Ort bei den Untersuchungen und den Probenentnahmen miteinzubinden, nicht nur weil diese für etwaige Maßnahmen verantwortlich sind, sondern auch um die Ursachen verstehen zu können.“
Josef Laner