Zeit ist Muskel
Auch beherzte Laien können Leben retten
Schlanders - Wenn sich ein Herzkranzgefäß verschließt, zählt jede Minute: Daher kommt das Prinzip „Time is Muscle“, zu Deutsch „Zeit ist Muskel“, nach dem die Mediziner handeln. Je länger der Verschluss in der sogenannten Herzkranzarterie besteht, desto mehr Herzmuskelgewebe, das von diesem Blutgefäß versorgt wird, geht zugrunde. Deshalb muss das Gefäß so rasch wie möglich mit einem Herzkatheter-Eingriff wieder durchgängig gemacht werden. Solche Eingriffe sind nur in spezialisierten Zentren möglich, d.h. in Südtirol gibt es nur in Bozen ein Herzkatheterlabor. Im Krankenhaus Meran ist Rupert Paulmichl der Primar auf der Abteilung Kardiologie. Er referierte vergangene Woche im Rahmen der Schlanderser Gesundheitstage auf Einladung der SVP-Frauengruppe Schlanders zum Thema: „Kardiologie – was gibt es Neues?“
Todesursache Nummer 1
Der Primar hatte sich den Herzinfarkt als Schwerpunkt seines Referats ausgewählt und bezeichnete ihn als Todesursache Nummer 1 in den industrialisierten Ländern. Auflagerung von Fetten und Kalk an der Gefäßinnenwand, der Alterungsprozess, verschiedene Risikofaktoren oder eine mögliche Arteriosklerose können zu einer koronaren Herzerkrankung führen bzw. diese beschleunigen, so Primar Paulmichl. Ein gesunder Lebensstil sei eine gute Prävention, allerdings keine Garantie! In der Kardiologie unterscheide man mehrere Typen von Herzinfarkt, erklärte Rupert Paulmichl: der STEMI sei der klassische Herzinfarkt, bei dem zwischen der Diagnose und der Öffnung des Blutgefäßes im Herzkatheterlabor maximal 90 Minuten vergehen dürfen. Eine häufige Form des Herzinfarkts sei der NSTEMI, bei dem die Zeitspanne für den Patienten nicht so eng ist, so der Primar. Eine Diagnose nach erfolgtem EKG entscheidet über den weiteren Behandlungsverlauf, deshalb sei die elektronische Übermittlung des EKGs vom Hubschrauber oder Rettungswagen aus an den Kardiologen eine der hilfreichsten Neuerungen.
Effiziente Transportlogistik
Auch eine effiziente Transportlogistik sei sehr wichtig und natürlich eine lückenlose medizinische Überwachung des Patienten. Ist eine verschlossene Koronararterie als Ursache des Herzinfarkts identifiziert, führt der Herzspezialist einen Ballonkatheter zur erkrankten Gefäßstelle. Dabei wird heutzutage die aggressive Blutverdünnung von der mechanischen Eröffnung im Herzkatheterlabor abgelöst. Dabei erweitert der Kardiologe das enge Gefäß, indem er einen kleinen, länglichen Ballon im Katheter aufbläst. In der Regel wird anschließend eine Gefäßstütze in Form eines Stahlnetzes, ein sog. medikamentenbeschichteter Stent implantiert. Er verhindert, dass sich das Herzkranzgefäß wieder verschließt. Herzkatheteruntersuchungen sind invasive Untersuchungen und erfordern keinen chirurgischen Eingriff. Der Zugang zum Gefäß erfolgt über das Handgelenk, das örtlich betäubt wird. Die begleitende medikamentöse Therapie sei von extremer Bedeutung, erklärte der Referent. So erhielten Stent-Patienten zwei Medikamente, die auf verschiedene Weise die Blutplättchen hemmen, sich wieder im Gefäß zu verklumpen. Als eine Sonderform von Herzinfarkt bezeichnete Primar Paulmichl das Tacho-Tsubo oder auch „Broken-Heart-Syndrom“. Ein „gebrochenes Herz“ bringt Beschwerden wie bei einem Herzinfarkt. Es bezeichnet eine schwerwiegende Funktionsstörung der linken Herzkammer. Die durch das Broken-Heart-Syndrom auftretenden Veränderungen des Herzmuskels verschwinden in der Regel innerhalb von einigen Wochen wieder, erklärte der Kardiologe. Bei Schmerzen im Brustkorb, Ausstrahlung in die Arme, Luftnot und Kaltschweißigkeit klingeln in der Notfallmedizin die Alarmglocken. Das seien klassische Anzeichen eines Herzinfarkts, wobei Frauen oft eine verschleierte Symptomatik haben, so der Primar. Sehr oft passieren Herzinfarkte bei starker Belastung, auch im Sport; viele passieren aber auch erst nachts. Wenn in den Tagen zuvor leichte Anzeichen zu spüren sind, bestehen gute Chancen, vorzubeugen und den Infarkt zu vermeiden. In der anschließenden Diskussion mit einem überaus interessierten Publikum plädierte der Kardiologe für den Mut, bei Bedarf die Defibrillatoren zu nutzen. Sie seien relativ einfach in der Anwendung, es gebe neuerdings sog. AED-Geräte, die durch Laien bedient werden können. „Beherzte Laien können nach Absetzen des Notrufes durch eine Herzmassage bei Herzstillstand Leben retten“, sagte Rupert Paulmichl, ein gebürtiger Schlanderser, dessen Vater über 15 Jahre Gemeindearzt in Laas war.