Wie Corona „ganz oben“ erlebt wurde
Österreichs ehemaliger Gesundheitsminister Rudi Anschober zu Gast in Schlanders.
SCHLANDERS - „Um solch periphere Strukturen wie ihr sie hier habt, lohnt es sich zu kämpfen. Es ist ein hohes Gut: aus medizinischer Sicht, aus gesundheitlicher und aus regionalpolitischer“. Der ehemalige österreichische Gesundheitsminister Rudolf Anschober fand lobende Worte für das Krankenhaus Schlanders. Freilich, die Alarmstimmung bei der dritten Veranstaltung dieser Serie war nicht mehr derart bedrückt wie vor einigen Jahren. Der Erhalt des Schlanderser Krankenhauses scheint derzeit und künftig gesichert. Herausforderungen gebe es aber nach wie vor zu meistern, wie auch der KVW-Bezirksvorsitzende Heinrich Fliri und sein Sellvertreter, Josef Bernhart - der die Veranstaltung gekonnt moderierte und das Gespräch mit Anschober mit viel Wissen leitete – betonten. Um sich darüber immer wieder bewusst zu werden, den Stellenwert des Bezirkskrankenhauses stets zu untermauern, auch darum gehe es bei der KVW-Veranstaltung „Ein Herz für die Peripherie“.
Mit Anschober konnte ein hochkarätiger Gast gewonnen werden. Die Mensaräumlichkeiten im Krankenhaus, dort wo alles über die Bühne ging, waren hoffnungslos überfüllt. Im Foyer wurde ein zusätzlicher Bildschirm aufgestellt und die Veranstaltung übertragen. Bewusst habe man sich für das Krankenhaus, und nicht für das Kulturhaus entschieden. Man wolle damit auch Zeichen setzen in dieser „Nach-Corona-Zeit“. „Und das Kulturhaus der Kultur zurückgeben“, betonte Josef Bernhart. Gastgeber Primar Robert Rainer, der ärztliche Leiter des Schlanderser Krankenhaus, zeigte sich überwältigt von den vielen Besuchern aus nah und fern. Interessierte sowie auch viele aktive und ehemalige Politiker waren gekommen.
Morddrohungen und Polizeischutz
„Pandemia: Krisen meistern, Zukunft sichern“, lautete das Motto der Veranstaltung. „Pandemia“ ist auch der Titel von Anschobers Buch. Darin hat er seine Erfahrungen aus der Krise verarbeitet. Rudi Anschober von den Grünen hatte sein Amt als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in der Bundesregierung Kurz 2 im Jänner 2020 angetreten, führte Österreich lange durch die Coronavirus-Krise. Im April 2021 erfolgte der Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen. Ihm sei „die Kraft ausgegangen“. Die viele Arbeit, Morddrohungen und Polizeischutz, es war ein Leben, das er nicht mehr wollte. Eine Rückkehr in die Politik schließt der 62-Jährige aus. Aber: „Ich habe es immer mit viel Leidenschaft gemacht. Es ist ein Beruf, den es braucht. Viele Politiker, die verantwortungsvoll arbeiten, wollen auch etwas bewegen“.
Wenn er heute auf die Pandemie zurückblickt, weiß er: „Die Vorbereitungen fehlten. So gut wie alles fehlte. Es gab kaum Kapazitäten, zu wenig Schutzanzüge“. Solche Fehler dürfe man kein zweites Mal machen. Insbesondere in der Startphase habe er gemerkt, „dass wir aufpassen müssen, nicht in alte Reflexe zurückzufallen“. Jeder Staat habe auf sich geschaut. So habe Deutschland ein Ausfahrverbot für medizinische Hilfsmittel verhängt, ein Lkw mit Schutzmasken steckte an der Grenze zu Österreich fest. „Es braucht in solchen Fällen eine europaweite Koordination“, so Anschober. Zusammenhalt – zwischen den Staaten und zwischen den Menschen – sei in einer Krise ohnehin das Um und Auf. Solidarität laute das Zauberwort. Auch bei den Corona-Maßnahmen. „Bei einer Pandemie sind wir aufeinander angewiesen. Krisen kann man nur gemeinsam meistern“, betonte Anschober.
Fehler vor Augen geführt
Die Corona-Pandemie habe vieles vor Augen geführt. Fehler, die in den Jahren vor der Pandemie gemacht wurden, offen aufgedeckt. Es sei ein großer Fehler gewesen die Produktionsstandorte für medizinische Schutzsachen von Europa auszulagern. „Man wollte dort produzieren, wo es am billigsten ist. Wir müssen die Produktionsstandorte zurückholen, auch was die Medikamente betrifft, die heute größtenteils in Asien produziert werden“, mahnte Anschober.
In der Pandemie habe man gelernt, „dass es nichts Wichtigeres gibt als die Gesundheit“, so der ehemalige Bundesminister. Hier gebe es künftig große Herausforderungen zu meistern. „Ich bin überzeugt davon, dass es in den Gesundheitssystemen, ob zentral oder peripher, künftig große Probleme geben wird, wenn wir nicht so einiges ändern“, malte er düstere Szenarien an die Wand. Stichwort Fachkräftemangel. Dies betreffe Österreich, Südtirol, Italien und die meisten anderen europäischen Länder. Allein in Österreich fehlen bis 2030 bis zu 100.000 Pflegekräfte. „Wir müssen für bessere Voraussetzungen sorgen“, so Anschober. Es gelte Gehälter zu erhöhen, die Vereinbarkeit Familie und Beruf zu verbessern, Dienstzeiten anzupassen und vieles mehr. „Die Gesellschaft wird älter. Wir alle werden Pflege brauchen“, brachte es der Autor auf den Punkt.
Angespannte Personalsituation in Schlanders
Auch im Krankenhaus Schlanders gebe es derzeit eine angespannte Personallage, einige Abteilungen sind geschlossen, wie der Schlanderser Bürgermeister und Präsident der Bezirksgemeinschaft Dieter Pinggera betonte. „Ich appelliere an die Führungskräfte, an alle Anwesenden, dass alles unternommen wird, um die bestmöglichen Rahmenbedingen zu schaffen“, so Pinggera. Florian Zerzer, der aus Mals stammende Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes, wollte „das Positive hervorheben“. Es sei gelungen, den Sanitätsbetrieb wieder attraktiver zu gestalten. Man versuche für Pflegepersonal und für junge Ärzte attraktiv zu sein. Eine Diskussion um den Erhalt des Krankenhauses Schlanders stehe nicht mehr im Raum, die Zusammenarbeit mit Meran funktioniere hervorragend. Zerzer weiß aber auch: „Es gibt viele Herausforderungen. Aber wir werden es schaffen, weil wir so tolle Mitarbeiter haben“.